Bayern 2 - Nachtstudio


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Der Heilige als Hooligan Der Kult um das Opfer

Auf dem Schulhof ist „Du Opfer!“ eine Beleidigung. Doch aus Internetforen, AfD-Veranstaltungen und Wutbürger-Versammlungen schallt es uns lautstark und schrill entgegen: „Die da oben machen uns zu Opfern!“ Der Begriff „Opfer“ hat Konjunktur. Frank Halbach will wissen, was dahinter steckt.

Von: Frank Halbach

Stand: 26.05.2017 | Archiv

"Im Grunde genommen appellieren die Populisten, die ich autoritäre Nationalisten nenne, an den Täterinstinkt derjenigen, die sie ansprechen. Das heißt, hier hat sich über Jahrzehnte hinweg ein großes Rachebedürfnis, ein großes Ressentiment, eine große Wut gegenüber der etablierten Politik, gegenüber anderen Eliten aufgestaut. Und was Trump, Putin, Erdoğan und europäische Nationalisten tun, ist im Grunde genommen, den Täterinstinkt der Revanchegegen diese Eliten zu steigern. Das wird allerdings in der Tat mit einer Opferrhetorik unterlegt, kein Täter würde gerne Täter sein; es ist attraktiver ein Opfer zu sein und aus einer Art Notwehrsituation heraus zu reagieren."

Claus Leggewie

Er verspricht Ansehen, er schafft Ansprüche und er entzieht sich jeglicher Kritik: der Status als Opfer. Deshalb lassen wir uns nicht nur zu Opfern erklären, sondern machen uns selbst zu Opfern. Die Welt ist klar unterteilbar in Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Eigenes und Fremdes und sie ist bedroht von finsteren Mächten. Das Opfer verlangt nach "konservativer Revolution" - eine Reaktion auf Postkolonialismus, Globalisierung und gesellschaftliche Veränderungen, wie beispielsweise die Emanzipation der Frau. Der Verlust von Privilegien wird als Diskriminierung empfunden und mit "Selbstviktimisierung" begegnet - wir, der Mittelstand, der Steuerzahler, die westlichen Welt, die weißen Männer sind nichts mehr wert. Die Bevorzugten sehen sich als Opfer der Opfer.

Rivalität, Neid und Eifersucht sind ansteckend. Aber eine menschliche Gesellschaft erscheint nur dann als überlebensfähig, wenn sie die Gewaltausbreitung innerhalb der eigenen Gruppe unterbindet, so der Kulturanthropologe René Girard. Indem wir irgendjemanden zum Sündenbock machen, stiften wir Einheit. Den Schuldigen auszustoßen, ihn zu opfern, "reinigt" und stabilisiert die Gruppe. Wie der Mythos an sich, spricht der Opfermythos stets im Postulat unbestreitbarer Tatsachen, als heilige Wahrheit. Als ein Apriori generiert er sich gewissermaßen "präfaktisch". Heute sprechen die Verfolgertexte in unhinterfragbarem Duktus - "postfaktisch".

Der Heilige als Hooligan

Der Kult um das Opfer
Von Frank Halbach

Mit Katja Bürkle, Shenja Lacher, Bijan Zamani
Regie: Frank Halbach
BR 2017, 55'27


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