Bayern 2 - Kulturjournal


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Über Gott und die Welt Das 20. Philosophicum Lech

Schon zum 20. Mal lädt das Philosophicum Lech Wissenschaftler und das interessierte Publikum zum intellektuellen Austausch ein. In der unruhigen, unübersichtlichen Gegenwart geht es zum kleinen Jubiläum um ganz große Themen.

Stand: 20.09.2016

Landschaft bei Lech am Arlberg | Bild: picture-alliance/dpa

Dass das Gespräch dem Philosophieren guttut, wusste schon Platon, der den Dialog als eigene Textgattung der Philosophie etablierte. Dialoge wiederum brauchen Leute, die sie anstoßen: Die Idee, im schönen Lech einen intellektuellen Austausch zu institutionalieren, stammt vom Vorarlberger Schriftsteller Michael Köhlmeier. Und schließlich ist es förderlich, wenn die Sache auch noch einen klangvollen Namen bekommt - in diesem Fall "Philosophicum Lech". 1997 fand es zum ersten Mal statt, die Veranstaltung begeht heuer also mit der 20. Ausgabe ein kleines Jubiläum.

Kann nur noch ein Gott uns retten?

Das Philosophicum Lech widmet sich in diesem Jahr einem großen Thema: Gott und Welt. Was höchst allgemein, vielleicht beliebig klingt, hat so seine speziellen und diskutablen Implikationen. Über einer der Auftaktveranstaltungen in Lech steht zum Beispiel das berühmte Heidegger-Zitat "Nur noch ein Gott kann uns retten" aus dem noch berühmteren, lange unter Verschluss gehaltenen SPIEGEL-Interview von 1966.

Michael Köhlmeier, Initiator des Philosophicum Lech

Heidegger reagierte mit diesem intellektuellen Stoßseufzer auf eine, wie er es sah, seinsvergessene und technikbesessene Moderne - und hoffte nicht mehr darauf, dass die Philosophie oder sonst ein "bloß menschliches Sinnen und Trachten" es noch richten könnte. Natürlich war das sehr grundsätzlich gemeint, und Heidegger sah keinen anderen Ausweg als die "Bereitung der Bereitschaft" für die "Ankunft des Gottes" oder seine "Abwesenheit im Untergang". Heutzutage dagegen sind wir damit konfrontiert, dass sich die Sehnsucht nach Wirksamkeit höherer Mächte in der Geschichte sehr direkt und manchmal sehr brutal in religiös motivierter politischer Aktion konkretisiert.

Weltverhältnisse debattieren

Einer solchen Aktion eine intellektuelle Auseinandersetzung entgegenzusetzen, mag rührend wirken, wäre aber wohl immer noch weniger fatalistisch als Heideggers Feststellung, die Philosophie sei "am Ende". Sie ist es nicht, sondern bringt noch immer ihr ganz eigenes Instrumentarium in jenem Weltverhältnis zur Anwendung, das Denken heißt: Wie lässt sich etwa die Frage eigentlich sinnvoll stellen, ob es "den Gott", auf den zu hoffen sein soll, überhaupt gibt? Welche Beziehung zu dem, was wir Welt nennen, wollen wir, welche können wir eingehen? Was ist das überhaupt - die Welt? Was können wir von ihr wissen? Und welche Verantwortung tragen wir für sie? Das sind traditionelle Fragen der Erkenntnistheorie und Ethik, die in Lech in eine lebendige Debatte gebracht werden sollen. Und auch weniger klassische Motive kommen zur Sprache: Es geht um Gott und Geld, Luxus als Weltbeziehung, um Technik, Kriege, den Willen zum Glauben - und den Nutzen der Philosophie in einer zerrissenen Gegenwart.

Konrad Paul Liessmann

"In einer Zeit voller sozialer, politischer und kultureller Widersprüche und Differenzen, in einer Zeit des rasanten technologischen Fortschritts, in einer Zeit, in der atemberaubende wissenschaftliche Erkenntnisse mit einer Wiederkehr der Religionen Hand in Hand gehen, in einer Zeit, in der traditionelle Lebensmodelle und Gewissheiten fragwürdig geworden sind, aber die Sehnsucht nach Verbindlichkeit und Orientierung zugenommen hat, in einer Zeit der Umbrüche, Verwerfungen und Spannungen lohnt es sich, ohne Scheu wieder einmal grundsätzlich über Gott und die Welt nachzudenken."

Konrad Paul Liessmann, Wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech

Dialog zwischen Wissenschaft und Publikum

Es ist erklärtes Ziel des Philosophicum Lech, ein Publikum jenseits der philosophischen Fachwelt anzusprechen und zum Austausch mit den Experten anzuregen, und dazu braucht es Namen, die entsprechende Bekanntheit haben. In diesem Jahr sind davon einige im Programm der Tagung vertreten: Heinz Bude zum Beispiel, der zuletzt unsere "Gesellschaft der Angst" porträtiert hat, spricht über die Stimmung der Jetztzeit zwischen Gottessehnsucht und Systemfatalismus, Rüdiger Safranski über den Willen zum Glauben, Christoph Türke über Gott und Geld.

Der Bonner Professor Markus Gabriel, der mit seinem Buch "Warum es die Welt nicht gibt" einen Bestseller landete, bei seinen Fachkollegen aber einige Kritik erntete, steht ebenfalls auf der Rednerliste. Das Konzept geht auf: Bereits vor Beginn konnten für die meisten Veranstaltungen keine Anmeldungen mehr entgegengenommen werden. Und einen Preis vergibt das Philosophicum Lech auch: den Tractatus-Essaypreis. Prämiert werden "herausragende kulturwissenschaftliche Publikationen, die philosophische Fragen in erweitertem Sinne ambitioniert und einer breiten Öffentlichkeit verständlich diskutieren", wie es Konrad Paul Liessmann formuliert. "Die Originalität des Denkansatzes, die Gelungenheit der sprachlichen Gestaltung und die Relevanz des Themas sollen dabei besonders berücksichtigt werden.“ In diesem Jahr sah die Jury diesen Anspruch am besten im neuen Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa umgesetzt, der für "Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung" ausgezeichnet wird. Darin entwirft er ein Gegenmodell zur entfremdeten Lebensweise, die auf Steigerung, Effizienz und Effizienzsteigerung setzt, und umschreibt dieses Modell mit dem aus der Physik entliehenen Begriff der Resonanz.

"Denken ist nicht Untätigkeit, sondern selbst in sich das Handeln, das in der Zwiesprache steht mit dem Weltgeschick", so lautet ein anderer, weniger pessimistischer Satz, den Martin Heidegger im genannten Interview äußerte. "Weltgeschick", das ist ein großes Wort, "Zwiesprache" ein weniger großes, vielleicht sogar mit "Resonanz" verwandtes. Wie es sich - in geeigneter Interpretation - auch heute noch auf das doppelte Gegenüber des denkenden Subjekts anwenden lässt, auf Gott und die Welt, dem geht das Philosophicum Lech nach. Immer mit Blick auf den imposanten Widerpart einer prächtigen Landschaftskulisse am Arlberg gewissermaßen.

Kulturjournal

Knut Cordsen berichtet vom Philosophicum Lech 2016.
Sonntag, 25. September ab 18.05 Uhr auf Bayern 2.


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