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"Augustus" Weitere Wiederentdeckung von John Williams

Der 1965 erschienene Roman "Stoner" über das unspektakuläre Leben eines Literaturdozenten machte US-Autor John Williams posthum berühmt. Nun liegt auch "Augustus" vor, die Geschichte eines alles andere als mittelmäßigen Charakters.

Von: Andreas Trojan

Stand: 05.10.2016

Buchcover "Augustus" von John Williams | Bild: dtv, Montage: BR

"Augustus" erschien erstmals Anfang der 70er-Jahre. John Williams hat seinen historischen Roman als Briefroman angelegt: Die Figuren um Gaius Octavius, den späteren Kaiser Augustus, schreiben über ihn, am Schluss des Romans verfasst dieser selbst einen langen Brief. Seine Tochter Julia, seine Ehefrau Livia, die Dichter Horaz, Vergil und Ovid, mächtige Männer wie Julius Caesar, Maecenas, Marcus Antonius, Cicero kommen zu Wort – und noch einige andere Briefeschreiber.

Literarische Wahrheit

"Falls es aber Wahrheit in diesem Werk gibt, dann handelt es sich um literarische, nicht um historische Wahrheit." Diese Aussage von John Williams, zu finden in der Vorbemerkung zur Erstausgabe seines Romans, ist nicht einfach zu deuten. Historische Wahrheit liegt dann vor, wenn geschichtliche Dokumente untersucht, in eine logische und nachvollziehbare Anordnung gebracht und gedeutet werden. Aber was ist eine literarische Wahrheit? Literarische Fiktion lebt im Raum des Möglichen und nicht des Faktischen. Die Briefeschreiber in John Williams Roman sind historisch verbürgte Persönlichkeiten, doch die Briefe, die sie verfassen, sind rein fiktiv. Trotzdem beleben sie das, was man Geschichte nennt.

Augustus, ein "unterschätzter Junge"?

"Manchmal glaube ich, wir haben den Jungen unterschätzt – dann wieder bin ich davon überzeugt, dass ihn der Zufall der Ereignisse fähiger wirken lässt als er ist. Ich weiß es nicht. Es ist alles zu undurchschaubar." Diese Zeilen schreibt Cicero an Brutus, an einen der führenden Männer bei der Ermordung Caesars. Cicero hat diese Worte so nie gewählt, aber sie haben einen – durchaus historisch! – wahren Kern: Von Anfang an war man sich nicht im Klaren darüber, über welches politische, diplomatische und strategische Potenzial Gaius Octavian, der spätere Augustus, verfügte. Seine Fähigkeiten wurden lange unterschätzt. Dem Weg Octavians an die Macht hat das sicherlich genützt.

John Williams

Die fiktiven Briefe hat John Williams im Roman nicht streng chronologisch angeordnet. Zwar beginnt die Handlung des Romans mit einem Brief Caesars 45 vor Christus, also knapp vor seiner Ermordung, doch dann durchmischen sich die Texte mit Zeitangaben wie 38, 13, 21, 55 vor Christus oder 14, 55 nach Christus. Trotzdem wird in den Rückblenden und durch die verschiedenen Stimmen das Leben des Kaisers Augustus genau beschrieben. Am Anfang steht Julius Caesar, der seinen Großneffen und Adoptivsohn als Alleinerben offiziell in die Politik einführt. Dann folgt der Aufstieg Octavians zum Imperator Augustus. Die "Pax Augusta", die Friedenszeit unter der Herrschaft des Augustus, brachte schließlich – nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg – Rom eine nie da gewesene Blüte in Wirtschaft, Baukunst und Kultur. Den Geschichtsschreiber Nikolaos von Damaskus lässt John Williams folgende Aussage formulieren: "Octavius Cäsar ist Rom, und das ist vermutlich die Tragik seines Lebens."

Die geliebte Tochter, für den eigenen Machterhalt eingesetzt

John Williams geht es um ein besonderes Szenario: Er will die politische wie gesellschaftliche Stimmungslage rund um den Aufstieg des Augustus festhalten. Freunde und Feinde kommen zu Wort – und die Familie.

Besonders interessant und ergreifend ist das sogenannte "Tagebuch der Julia". Julia war das einzige leibliche Kind des Augustus. Zwar soll er sie sehr geliebt haben, aber er setzte sie auf besondere Weise als Schachfigur in seinem Machtspiel ein. Im Kindesalter verlobt, musste sie drei Ehen eingehen, die dem Machterhalt ihres Vaters dienten. Julia wird in der antiken Literatur als schön, klug, gebildet und selbstbewusst dargestellt. Sie wusste sich gegen ihre vom Vater aufgezwungene Rolle als "Roms Bruthenne", wie sie im Roman erklärt, zu wehren: Alsbald führte Julia ein ausschweifendes Leben mit vielen Affären, selbst Prostitution soll sie betrieben haben. Als eine angebliche Verschwörung gegen Augustus aufgedeckt wurde, an der einige Liebhaber Julias und sie selbst beteiligt gewesen sein sollen, verbannte sie Augustus auf immer aus Rom. Diese Frau ist wahrscheinlich die einzige Person in Williams‘ Roman, die dem Kaiser Paroli bietet. Einmal fragt sie ihn: "Deine Macht, dieses Rom, das du gerettet hast, das Rom, das von dir erbaut wurde? Ist es all das wert gewesen, was du getan hast?" Und der Kaiser antwortet seiner Tochter wie in Trance: "Ich muss daran glauben. Wir müssen beide daran glauben."

Ein großes Welttheater

Am Ende des Romans steht ein sehr langer Brief des Augustus an den Geschichtsschreiber Nikolaos von Damaskus, über 50 Seiten lang: Eine Art Rechenschaftsbericht seines Lebens und Tuns. In der Tat hat Augustus einen solchen Text verfasst und seinem Testament beigefügt. Er trägt den Titel "Res Gestae Divi Augusti", also "Die Taten des vergöttlichten Augustus". John Williams kannte die historischen Dokumente und Geschichtswerke über Augustus genau. Doch erst die literarische Imaginationskraft ermöglichte dem Autor, ein Wesen aus Fleisch und Blut zu kreieren. So sieht sich Augustus im Roman als Schauspieler in einer Komödie, doch wie jede Komödie mit Tiefgang ist auch die seine tragisch zu nennen.

"Er ist weder der Held, der sich gegen diese Mächte beweist, noch jener, der von ihnen vernichtet wird. Wie jede armselige, bedauernswerte Hülle eines Schauspielers lernt er einzusehen, dass er so viele Rollen gespielt hat, dass es ein Selbst gar nicht mehr gibt."

John Williams, Augustus

John Williams' Roman über den römischen Kaiser Augustus ist eine Art Welttheater. Vorgestellt wird eine Welt, in der Macht und Machterhalt im Zentrum des Handelns stehen. Keine der agierenden Personen kann sich dem entziehen – am wenigsten der Imperator Augustus. Er ist die personifizierte Macht. Doch jedes Triumphgefühl, jede Trauer, jede Geste der Liebe und der Freundschaft erlöschen mit seinem Tod. Was bleibt, ist der historische Augustus, eine Statue aus Fakten. John Williams ist es gelungen, die verlorene andere, persönliche Seite dieses Herrschers anschaulich dargestellt zu haben. Damit hat er beste literarische Überzeugungsarbeit geleistet.

Diwan

Für das Bayern 2-Büchermagazin hat Andreas Trojan "Augustus" von John Williams gelesen.
Samstag, 8. Oktober 2016, 14:05 Uhr (Wiederholung 21:05 Uhr)

John Williams: "Augustus", Roman, aus dem Englischen von Bernhard Robben, 480 Seiten, dtv Literatur, 24,00 Euro


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