Bayern 2 - Zum Sonntag


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Heinrich Bedford-Strohm Engel als Boten Gottes

Ein Schutzengel, der seine Flügel über dir ausbreitet. Oder aber ein Rache- oder gar Todesengel. Die Bilder in den Köpfen der Menschen sind vielfältig. Als junger Pfarrer fragte sich Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm: Lenkt der Engel nicht von Jesus ab?

Stand: 29.09.2016

Heinrich Bedford-Strohm | Bild: Heinrich Bedford-Strohm

„Der da wacht über mich!“, sagt die alte Dame. Sie zeigt auf eine kleine goldene Engelsfigur, die an der Wand hängt. Es ist ruhig an ihrem 80. Geburtstag. Als ich komme, läuft der Fernseher leise im Hintergrund. Auf den Pfarrer hat sie schon gewartet. Sie strahlt eine Dankbarkeit und Zufriedenheit aus, die anstecken. Es ist kein Kreuz, auf das sie zeigt, sondern ein Engel. Ich fragte mich damals - als junger Pfarrer: Lenkt der Engel von Christus ab? Sollten wir nicht auf Engel verzichten, weil wir Jesus haben?

Zum Autor:

Heinrich Bedford-Strohm ist Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Die Antwort ist: Nein. Vorgestern, am 29. September, war Michaelistag. Der Tag des Erzengels Michael und aller Engel. Zur Zeit der Reformation war der Michaelistag einer der wichtigsten Feiertage. Nach wie vor finden wir ihn in unserem Gottesdienstbuch. Wir feiern den Dienst der Engel als Boten Gottes.

Lenkt der Engel von Christus ab?

Engel werden mit vielen, unterschiedlichen Funktionen verbunden, die mit den Wünschen, aber auch mit den Ängsten der Menschen verknüpft sind. Schutzengel bewahren vor Gefahr und Unglück. Liebesengel führen in die Wonnen der Liebe ein. Freudenengel lassen die Seele tanzen. Aber auch ganz andere Engel stellen wir uns vor: Racheengel sühnen. Todesengel läuten das Ende des Lebens ein. An der Sprache sieht man, wie unterschiedlich die Bilder sind, die Menschen mit Engeln verbinden.

Manche stellen sich Engel als Wesen vor, die aus einer Geisteswelt heraus auf das irdische Leben wirken. Bestenfalls auf den Gemälden Alter Meister oder in den Engelsfiguren haben Engel Körper. Ob sich Engel manchmal wünschen, ganz irdisch zu werden? In seinem Film „Der Himmel über Berlin“ hat Wim Wenders davon erzählt: In die Wohnzimmer schauen sie, die Engel, und fühlen sich in die Menschen ein. In den Bibliotheken sitzen sie neben den Studierenden und geben ihnen gute Gedanken. Sie helfen den Menschen, aber sie selbst schweben immer über dem wirklichen Leben. Da passiert es. Einer der Engel verliebt sich. Er begibt sich hinein in die menschlichen Gefühle. Er hofft, er leidet, er freut sich und trauert. Seine Liebe endet tragisch. Trotzdem will er nicht einen Moment die menschliche Erfahrung missen.

Engel sollen kein Kultobjekt sein

In der Welt der Bibel haben Engel immer mit dem täglichen Leben der Menschen zu tun. Sie tauchen in die Alltagswelt ein und bringen dort hinein die Botschaft Gottes. Sie begegnen den Menschen nicht in einem heiligen Raum. Schauplätze der biblischen Engelsgeschichten sind Acker, Straße, Kammer oder Arbeitsplatz. Genauso ist es mit der göttlichen Botschaft, die sie überbringen: sie spricht mitten ins Leben und verändert es. Von Anfang an sind die Engel keine Konkurrenten Jesu Christi, sondern Übersetzer seiner frohen Botschaft, die den Menschen mitten ins Leben spricht. Trotzdem: Engel wollen und sollen kein Kultobjekt sein, das man verehrt. Engel handeln, singen und reden immer zur Ehre Gottes. Auf ihn verweisen sie. Engel sind vielmehr ein „Chiffre für Gottes unbegrenzte Möglichkeiten“, so sagt es der Theologe Claus Westermann.

Gottes Gegenwart im Alltag

Was unter den vielen Vorstellungen, die wir uns von den Engeln machen, wirklich zählt, sagt ein wunderbarer Satz aus dem Psalm 91. Ich verstehe gut, warum ihn viele Jugendliche als ihren Konfirmationsspruch auswählen: „Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen“. Engel helfen, dass wir Menschen Gottes Gegenwart im Alltag erfahren.

Deswegen hat die alte Dame an ihrem 80. Geburtstag allen Grund zur Freude und Dankbarkeit, dass der Engel an der Wand über sie wacht. Ich habe, als ich bei ihr war, auf den Engel und in das entspannte Gesicht der alten Dame gesehen. Und ich habe ihr Haus froh verlassen.


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