Bayern 2 - Zum Sonntag


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Ulrich Schneider Was Luther zur AfD zu sagen hätte

Wieso hat die AfD derzeit so viel Erfolg? Wieso ist die Angst vor Fremden so groß? Es gibt wohl keine einfache Antwort auf diese Fragen. Trotzdem muss man sie stellen, sagt Ulrich Schneider, denn das heißt Reformation.

Stand: 09.09.2016

Ulrich Schneider | Bild: BR/Ulrich Schneider

Es hat sich abgezeichnet in den letzten Wochen. Dennoch war ich entsetzt am vergangenen Sonntag, als ich das AfD-Ergebnis der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern sah. Zum zweiten Mal nach Sachsen-Anhalt über 20 Prozent! Zum ersten Mal als zweitstärkste Fraktion in einem Landtag! Damit ist diese Partei im neunten Landtag vertreten! Mit schlichten Parolen ist es der AfD wieder gelungen, Angst und Fremdenhass zu schüren und damit Wählerstimmen zu gewinnen.

20.000 Flüchtlinge - und über 20 Prozent für die AfD?

Über eine Million Menschen sind im vergangenen Jahr nach Deutschland geflüchtet. Gerade mal zwanzigtausend davon leben in Mecklenburg-Vorpommern. Woher kommt die Angst vor „Überfremdung“? Und warum sind die Vorbehalte dort am größten, wo es kaum Zuwanderung gibt? Und: Wer war eigentlich an allem schuld bevor die Flüchtlinge im vergangenen Jahr kamen?

Das Wahlergebnis im Nordosten Deutschlands beschäftigt mich in dieser Woche. Darüber diskutieren Kolleginnen und Kollegen, viele in den Talkshows und noch mehr in den sozialen Medien. Einfache Antworten findet keiner. Wie bei der Frage, was die Flüchtlinge für unser Land bedeuten, helfen auch bei dieser Frage keine einfachen Parolen. Trotzdem ist es wichtig nachzufragen! Gerade nach solchen Ereignissen.

Zum Autor:

Ulrich Schneider ist Geschäftsführer des Vereins "Reformationsjubiläum 2017", von 2011 bis 2013 war er für die Grünen Mitglied des Deutschen Bundestags.

In wenigen Wochen beginnt das Jahr des Reformationsjubiläums. Ab dem 31. Oktober werden wir in vielen Aspekten in den Blick nehmen, was vor 500 Jahren begann: in Wittenberg, in Mitteldeutschland, in Europa. So sammelt ein Show-Truck auf dem Europäischen Stationenweg reformatorische Geschichten in 68 Städten und 19 europäischen Ländern. Damit verbindet sich Europa als Gemeinschaft all derer, die miteinander ihre Welt hinterfragen und gestalten. Damit bringen wir aber auch Geschichten von überall dorthin zurück, wo alles begann. In der Himmelfahrtswoche 2017 finden dann in vielen Städten Mitteldeutschlands kleine Kirchentage statt und gemeinsam mit dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin feiern wir am letzten Maiwochenende den großen Festgottesdienst zum Reformationsjubiläum vor den Toren Wittenbergs.

Reformation - nicht vor 500 Jahren, sondern seit 500 Jahren

Vor allem aber findet in den Sommerwochen danach die Weltausstellung Reformation unter der Überschrift „Tore der Freiheit“ in der Lutherstadt an der Elbe statt. Die Herausforderungen in Kirche und Gesellschaft können und werden mit vielen Ausstellern aufgegriffen. Menschen – Christinnen, Christen, Angehörige anderer Religionen, Menschen ohne konfessionelle oder religiöse Bindung – treffen sich in Wittenberg, diskutieren miteinander und hinterfragen die Welt. Anlass dafür ist, dass der Mönch und Theologieprofessor Martin Luther vor 500 Jahren seine Welt hinterfragt und sich zusammen mit anderen aufgemacht hat, aus seinem Glauben neue Antworten zu finden.

Selbst denken, selbst urteilen – das sind reformatorische Errungenschaften. In der mittelalterlichen Welt, in der Fürsten und Bischöfe bestimmten, was ihre Untertanen zu denken und zu glauben hatten, forderte Martin Luther auf, die Welt und den Glauben zu hinterfragen, selbst zu denken und zu entscheiden. Die Reformation schenkte eine erste Ahnung der Freiheit. Und weil Reformation nicht vor 500 Jahren war, sondern seit 500 Jahren ist, blicken wir 2017 nicht einfach historisch zurück sondern fragen, was diese Entdeckung unserer Freiheit heute und in Zukunft bedeutet: Nicht nur im Blick auf die Menschen, die in unserer Welt auf der Flucht sind, sondern indem wir all die Themen in den Blick nehmen, die Kirche, Gesellschaft und Politik in unseren Tagen umtreiben.

Luther hat zum kritischen Hinterfragen aufgefordert

Reformation heißt, die Welt zu hinterfragen. Und wir laden ein, Fragen zu stellen: Kann ich stärker werden, wenn ich schwachen helfe? Verändern wir die Welt oder verändert die Welt uns?

Oder eben: Warum sind die Vorbehalte und AfD-Erfolge dort am größten, wo es kaum Flüchtlinge gibt?

Und wir laden ein, gemeinsam um Antworten zu ringen, Antworten die überzeugen, Antworten, die uns Tore öffnen in die Freiheit des 21. Jahrhunderts. Diese Antworten sind nicht so einfach, wie uns AfD, Pegida und andere glauben machen wollen. Genau deshalb müssen wir uns die Zeit nehmen, darüber zu diskutieren und zu streiten.


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