Bayern 2 - Zum Sonntag


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Weltverbesserer gesucht Regional-global Denken und die Welt verändern

Angesichts von CETA, TTIP und Co. fühlt man sich schnell klein und machtlos. Dabei liegt eine Lösung für viele große Probleme im Kleinen, meint Jutta Höcht-Stöhr, im regional-globalen Denken.

Von: Jutta Höcht-Stöhr

Stand: 15.07.2016

Zum-Sonntag-Autorin Jutta Höcht-Stöhr | Bild: Jutta Höcht-Stöhr

In dieser Woche ist eine Studie über die Zukunftsängste der Deutschen erschienen und die FAZ fasste sie unter der Überschrift zusammen "Die Angst der Deutschen vor dem Kontrollverlust".

Viele Menschen haben derzeit das Gefühl, ihr Leben nicht mehr selbst steuern zu können. Die Rahmenbedingungen werden immer globaler. Internationale Konzerne, deren Umsatz größer ist als der vieler Nationalstaaten, haben einen wesentlichen Einfluss auf die Politik. Und die aktuell diskutierten Freihandelsabkommen mit Kanada und Amerika sind für Bürgerinnen und Bürger kaum zu durchschauen. Die Befürchtung ist, dass dies alles eine große Umverteilungsmaschine des Reichtums von unten nach oben ist. Menschen fühlen sich ausgeliefert und haben Abstiegsängste.

Zur Autorin:

Jutta Höcht-Stöhr ist Leiterin der Evangelischen Stadtakademie München

Dass die Briten mit ihrem Brexit-Referendum nun mehrheitlich dafür plädiert haben, ihre Politik wieder nationaler zu gestalten, ist ein  Ausdruck dieser Ängste. Ob es eine Lösung ist, ist eine andere Frage.

Der Rückzug aufs Nationale und der Wunsch nach Mitgestaltung

Aber auch auf dem Festland Europas gibt es viele Anzeichen für Rückzug aufs nationale Terrain, obwohl mahnende Gegenstimmen sagen, dass ohne ein gemeinsames Europa aller Einfluss auf globale Prozesse schwinden wird.

Deutlich ist in all diesen Dynamiken aber der Wunsch, mehr Übersichtlichkeit zu schaffen  und das eigene Leben und die eigenen Lebensbedingungen wieder stärker steuern und gestalten zu können.

Geht das, ohne in nationalistische und rückwärtsgewandte Schemata zu verfallen?

In den Kinos läuft derzeit der Film "Tomorrow. Die Welt ist voller Lösungen". Junge französische Filmemacher hatten eine Studie in dem angesehenen Wissenschaftsmagazin Nature gelesen, in der amerikanische Wissenschaftler davor warnen, dass das Ökosystem der Erde in absehbarer Zeit ganz plötzlich kollabieren könnte, wenn wir uns nicht gravierend umstellen. Diese jungen Filmemacher beschlossen, keinen Film mit Krisenszenarien zu drehen, sondern haben sich weltweit auf die Suche gemacht nach Ideen und Projekten, die neue Lebensmöglichkeiten ausprobieren.

Geht's auch anders? Filmemacher suchen Weltverbesserer

Überraschend an den vielen Projekten, die sie zeigen, ist: Sie sind durchweg regional aufgestellt.

Netzwerke etwa in den USA, aber auch in Europa, die lokale Wirtschaftskreisläufe unterstützen. Ein solches Netzwerk in den USA heißt  "BALLE  - Business Alliance for Local Living Economies",  ein Zusammenschluss von Bürgern und Unternehmen, der lokale Wirtschaftskreisläufe stärkt. Unterstützt wird das mit regionalen Währungen – in der englischen Stadt Bristol beispielsweise. Neben der offiziellen nationalen Währung gibt es ein lokales Pfund, das nur bei Geschäften in der Region angenommen wird. Auf diese Weise werden lokale Unternehmen stark gemacht, Arbeitsplätze geschaffen und lange Transportwege vermieden. Ähnliche Modelle gibt es auch in Bayern, der "Chiemgauer" ist eins von ihnen. Am ambitioniertesten aber ist eine Regionalwährung in der Schweiz. Neben dem Schweizer Franken gibt es dort den "WIR-Franken", der von der WIR-Bank in Basel ausgegeben wird. Geschaffen wurde das Bezahlsystem nach der Weltwirtschaftskrise von1929. Inzwischen wickeln in der Schweiz 60.000 kleine und mittlere Unternehmen ihre Geschäfte miteinander in dieser Währung ab.

Regional-global denken und mehr mitbestimmen

Ihr Vorteil: sie ist nicht Teil eines spekulativen globalen Finanzsystems, dessen Krisenhaftigkeit seit 2008 in aller Bewusstsein ist. Es werden kleine und mittlere Unternehmen gestärkt – und sie sind es, die die meisten Arbeitsplätze schaffen. Die Regionalität schafft Transparenz und das Gefühl, die Dinge verstehen und steuern zu können.

Wichtig ist bei all den regionalen Projekten: Es ist ihnen bewusst, dass sie nicht die Alternative zum Gesamtsystem sind. Die globale Finanzwelt und die großen Strukturen wollen und werden sie nicht ersetzen, aber sie sind eine wichtige Ergänzung, komplementär zu dem was ist. Sie stärken die Beteiligung von Bürgern und gewinnen demokratische Handlungsfähigkeit zurück.

Am Ende des zwei Stunden dauernden Films ist man kein bisschen müde, sondern voller Energie. Die gezeigten Projekte haben nichts romantisch Rückwärtsgewandtes, nichts national Abschließendes. Sie sind Teil eines sehr modernen regional-globalen Netzwerks. Und geben einem das Gefühl zurück, selbst wirksam sein zu können.


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