Bayern 2 - Zum Sonntag


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Uwe Birnstein Was würde Jesus dazu sagen?

Was hilft in wirren Zeiten? Vernunft.? Durchblick? Sachliche Distanz? "Der Glaube", antworten die Kirchen – und überlassen den Gläubigen dann meistens, wie der denn konkret die Welt entwirren kann. Ein Kirchenmann, der vor 125 Jahren geboren wurde und heute fast vergessen ist, hat eine konkretere Ansage gemacht.

Stand: 27.08.2016

Uwe Birnstein | Bild: Privat

Was hilft in wirren Zeiten? Vernunft.? Durchblick? Sachliche Distanz? "Der Glaube", antworten die Kirchen – und überlassen den Gläubigen dann meistens, wie der denn konkret die Welt entwirren kann. Ein Kirchenmann, der vor 125 Jahren geboren wurde und heute fast vergessen ist, hat eine konkretere Ansage gemacht.

Niemöller wollte der Gesellschaft Sinn vermitteln

Martin Niemöller hat, so erzählte er selbst, schon als Kind die Frage gestellt, die so einfach wie beunruhigend ist: "Was würde Jesus dazu sagen?" Niemöller hat während seines Lebens viel erlebt, das diese Frage herausforderte. Den Ersten Weltkrieg verbrachte er als Offizier in diversen U-Booten im Mittelmeer und vor der Küste Afrikas, versenkte als Kommandant auch Handelsschiffe. Danach studierte er Theologie, wollte der scheinbar orientierungslos gewordenen Gesellschaft durch die christliche Botschaft wieder Sinn vermitteln. Der Pastor wählte die Nazis, begrüßte 1933 die Machtübernahme Hitlers. Doch als sich die evangelische Kirche freudig der Nazi-Ideologie unterstellte, wachte Niemöller auf. Die Frage "Was würde Jesus dazu sagen" fruchtete in wachsendem Mut; er wurde zum Mitbegründer der sogenannten Bekennenden Kirche, die sich dem Unrechtssystem in den Weg stellte. So konsequent war er, dass die Nazis ihn 1937 inhaftierten.

Im Frühjahr 1945 wurde er aus dem Konzentrationslager zur Hinrichtung nach Südtirol gebracht – mit anderen auf dem Weg von amerikanischen Truppen befreit. Fortan baute Martin Niemöller die evangelische Kirche neu mit auf, setzte sich gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und gegen das atomare Wettrüsten ein. Sein Maßstab war nun lebens- und leiderprobt: "Was würde Jesus dazu sagen?" fragte er weiter und nervte damit manche Theologen, die diese Frage als banal abtaten. Ja, darf man denn als Pfarrer so naiv fragen?, mokierten sie sich, Theologie sei doch ein sehr komplexes Gebilde, und christliche Ethik und Moral könne man doch nicht so einfach auf diese Frage reduzieren, da gilt es doch abzuwägen, hin und her, bis eine in evangelischer Freiheit formulierte Antwort herauskommt, die zu allen Seiten offen ist!

Die Frage ist ganz einfach

Ähnlich geht es heutigen Christen, wenn sie diese einfache Frage stellen: Was würde Jesus dazu sagen? Es ist erstaunlich, wieviel Unruhe und Gegenwehr sie provoziert. Als gäbe es da gar nicht den garstigen Graben der Geschichte, der uns so wesentlich trennt von Jesus, dem Wanderprediger, der vor 2000 Jahren durch die Provinz im Nahen Osten zog, Frauen und Männer schlossen sich ihm an, die von seiner einfachen Botschaft fasziniert waren: den Armen und Mühseligen zu verkünden, dass das Reich Gottes schon angebrochen ist. Dass diejenigen, die Frieden stiften, die Fremde aufnehmen, die Kranke und Gefangene besuchen, Hungrigen zu essen geben, den Willen Gottes tun. Das klingt gar nicht komplex, sondern ziemlich konkret. Da ist wenig Spielraum, abwägen: Aber wenn ich dem da zu essen gebe, dann könnte der nächste meine Hilfe ausnutzen. Oder: Wenn ich ins Gefängnis gehe und mich für diesen Menschen einsetze: Wer sagt mir, dass er nicht wirklich ein unverbsserlicher Krimineller ist, der hinter Gitter gehört? Oder: Wenn ich dem Bettler da einen Euro gebe, wer garantiert mir, dass der sich keinen Fusel dafür kauft, ich unterstütze doch das System der Bettelei, sollen die doch arbeiten!

Erstaunlich: Die Botschaft dieses Jesus ist merkwürdig aktuell und zeitlos. Sie wirkt weiter – unterstützt jene, die sich darum bemühen, Bedürftigen Gutes zu tun. Und fährt jenen in die Parade, die mit Recht und Ordnung argumentieren. Oder, noch schlimmer: Die sich durch unaufhörliches Abwägen in die Starre des Nichtstuns versetzen.

Der Blick in die Zeitungen bringt auch in der letzten Woche viele Beispiele. Da wird in Münster ein Flüchtling aus Ghana in Handschellen aus einem Kloster geholt, von der Polizei. Die Kirche hatte dem 32-Jährigen Asyl gewährt, wollte abschieben, dass er nach Ungarn gebracht wird, wo ihn menschenunwürdige Behandlung erwartet hätte. Recht muss Recht bleiben, meinten die zuständigen Beamten, und ließen die Mann in Handschellen abführen. Was würde Jesus dazu sagen?

Ein weiterer Aufreger der Woche: Ob man sich Vorräte bunkern sollte für schlimme Zeiten. Katastrophen können schließlich immer kommen, Terroranschläge, Erdbeben, Krieg. Da ist es doch gut, wenn man sich eine gewisse Weise aus Konserven und Kanistern am Leben halten kann! Ist es naiv, sich nicht in diese hysterische Stimmung hineinfallen zu lassen – mit einem Spruch Jesu aus der Bergpredigt im Sinn und auf den Lippen: "Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet?"

Verbote haben selten einer menschlicheren Gesellschaft geführt

Und dann ist da das Burka-Verbot. Ja, da gibt es Menschen, die meinen, sich verhüllen zu müssen, bringen das mit ihrem Glauben in Einklang. Das kann man gut finden, kann sich auch darüber aufregen, es als Machtinstrument der Männer über die Frauen deuten. In jedem Fall sollte man es respektieren und anerkennen: Verbote haben selten zu Toleranz oder zu einer menschlicheren Gesellschaft geführt. Wenn, dann hilft Überzeugung. Was würde Jesus dazu sagen? Er hat die Chance genutzt, mit Andersgläubigen ins Gespräch zu kommen und hat sie mit seiner Botschaft überzeugt.

So einfach ist das. Auch in wirren Zeiten. Oder?


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