Bayern 2 - Zum Sonntag


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Hans-Joachim Vieweger Abtreibung – der Kampf der Weltanschauungen

Heute haben in Deutschland zigtausende gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA demonstriert. Zugleich sind in Berlin mehrere Tausend Menschen zum jährlichen „Marsch für das Leben“ zusammengekommen – eine Kundgebung, die unter dem Motto steht „Ja zum Leben – für ein Europa ohne Abtreibung und Euthanasie“.

Stand: 16.09.2016

Zum-Sonntag-Autor Hans Joachim Vieweger | Bild: BR/ Hans Joachim Vieweger

Im vergangenen Jahr war ich erstmals bei diesem „Marsch für das Leben“ – und danach ziemlich aufgewühlt. Zum einen positiv, weil mich das bunte Miteinander der Teilnehmer beeindruckt hat: Junge und Alte, Deutsche zusammen mit Migranten, dazu Menschen, die extra aus Polen angereist waren. Da ging der evangelische Pastor Uwe Holmer mit seinen 86 Jahren mit, ebenso wie der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer – ein schönes Zeichen der Ökumene.

Parolen gegen den Glauben

Doch dem stand etwas anderes entgegen: Ich war erschrocken darüber, welcher Hass den Teilnehmern entgegenschlug: Der „Marsch für das Leben“ wurde mehrfach durch linksradikale Störer blockiert, unterstützt von hämischen Demonstranten, die neben vielen christenfeindlichen und wie ich finde nicht zitierbaren Parolen unter anderem skandierten, dass der Abschlussgottesdienst ausfallen müsse – tatsächlich führten die Blockaden dazu, dass der Gottesdienst erst mit mehreren Stunden Verspätung begann und viele Teilnehmer daher nicht mehr bleiben konnten.

Zum Autor:

Hans-Joachim Vieweger ist Journalist und Mitglied der evangelischen Landessynode.

Ich habe mich gefragt, warum es nicht möglich ist, dass das Demonstrationsrecht für den Schutz des menschlichen Lebens ungehindert ausgeübt werden kann, warum dieser aggressive Widerstand? Was habe junge Frauen davon, wenn sie sich zur Provokation die Kleider vom Leib reißen – und das sogar während eines Gottesdienstes? Warum Parolen gegen den Glauben, gegen Gott und Kirche, wenn es auf den ersten Blick doch nur um unterschiedliche Positionen zum Thema Abtreibung geht?

Für das Leben oder für die freie Entscheidung

Ich vermute, in der Frage des Lebensschutzes prallen tatsächlich zwei Weltanschauungen aufeinander. Auf der einen Seite stehen vor allem Gläubige, die das Leben als unverfügbar ansehen. Und das am Lebensanfang wie am Lebensende. Die glauben, dass wir als Menschen nicht einfach entscheiden dürfen, ob Leben lebenswert ist oder nicht. Dass Gott der Herr des Lebens ist und nicht wir. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, für die Selbstbestimmung und Autonomie die höchsten Werte sind. Demnach hat niemand das Recht, anderen vorzuschreiben, wie sie persönlich zu leben haben – was dazu führt, dass Abtreibung dann als „Menschenrecht“ proklamiert wird – gegen das Recht das ungeborenen Kindes auf Leben. Die Schlagworte, die im Amerikanischen für diese Debatte verwendet werden, markieren den Unterschied: ProLife – für das Leben oder ProChoice – für die freie Entscheidung.

Mitarbeiter Gottes

Wenn man die jeweiligen Positionen konsequent weiterdenkt, wird klar, dass die Frage, wie Menschen zum Thema Abtreibung stehen, mehr Implikationen hat, als man im ersten Moment vermuten dürfte. So hat Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si eine Verbindung geschlagen vom Schutz der Schöpfung zum Schutz des menschlichen Lebens. Wenn man den Wert eines Armen, eines menschlichen Embryos oder einer Person mit Behinderung nicht erkenne, so Franziskus, werde man schwerlich die Schreie der Natur hören. Dabei knüpft Franziskus an seinen Vorgänger Johannes Paul II. an, der davor gewarnt hatte, dass sich der Mensch „statt seine Aufgabe als Mitarbeiter Gottes am Schöpfungswerk zu verwirklichen, (…) an die Stelle Gottes setzt und dadurch die Auflehnung der Natur hervorruft.“

Schön, dass die katholische Kirche bei diesem Thema so klar ist. Schade, dass sich meine evangelische Kirche beim Thema Abtreibung nicht so recht entscheiden kann – ob sie es nun mehr mit der Selbstbestimmung hält oder mit der Überzeugung, dass wir unser Leben aus Gottes Hand empfangen. Doch ich bin überzeugt: Beides passt nicht zusammen.


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