Bayern 2 - Notizbuch


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Aufklärung in der Schule Wie lernt man unverkrampften Umgang mit Sexualität?

Mama, Papa, zwei Kinder, kleines Häuschen - das Familienbild der 50er Jahre entspricht längst nicht mehr der Realität, spiegelte sich bislang aber noch in den bayerischen Lehrplänen wieder. Das soll sich nun ändern. Bayern hat die Richtlinien für Familien- und Sexualerziehung überarbeitet. Aus diesem Anlass fragt Notizbuch Freitagsforum: Welchen Beitrag kann die Schule zu einem entspannten Umgang mit Sexualität leisten?

Stand: 01.07.2016

Sybmolbild: Schultafel mit der Aufschrift "Sex education", gezeichneten Spermien und einem Kondom darauf | Bild: Colourbox

In der neuen Richtlinie des Bayerischen Kultusministeriums für Familien- und Sexualerziehung sollen die Vielfalt der Lebensformen und die Themen Hetero-, Homo-, Bi-, Trans- und Intersexualität genauso besprochen werden wie sexualisierte Bilder in den Medien, sexuelle Identitätsfindung und Prävention vor sexueller Gewalt. Der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV) begrüßt die neue Richtlinie, ebenso die Beratungsstelle Pro Familia und Elternverbände. Aber es gibt auch kritische Stimmen. Eltern, die nicht möchten, dass ihre Kinder damit in der Schule konfrontiert werden oder die einfach Angst haben, dass ihre Werte verloren gehen.

Das Notizbuch-Freitagsforum greift das Thema auf und fragt: "Echtes Leben im Lehrplan - Welchen Beitrag kann die Schule leisten für einen unverkrampften Umgang mit Sexualität?"

Zu Gast bei Sybille Giel

Birgit Dittmer-Glaubig, Notizbuch-Moderatorin Sybille Giel und Dr. Elfriede Schießleder

Dr. Elfriede Schießleder, Vorsitzende des Bayerischen Landesverbandes des Katholischen Deutschen Frauenbundes e. V. und Berufsschullehrerin für Religion in Altötting

Birgit Dittmer-Glaubig, Konrektorin und Lehrerin an einer Mittelschule in München Schwabing, Abteilungsleiterin im BLLV und Autorin der Stellungnahme des BLLV zur neuen Richtlinie

Notizbuch:  Welche Note geben Sie der neuen Richtlinie?

Birgit Dittmer-Glaubig: Eine Zwei. Bis auf kleine Verbesserungsvorschläge sind wir im Grunde einverstanden.

Elfriede Schießleder: Mir gefällt gut, dass wir nichts mehr ausgrenzen und diffamieren. Die Schule muss Stellung beziehen und muss Realitäten benennen. Deshalb müssen wir in der Schule klarmachen - diese Themen betreffen unser Leben.

Die katholische Kirche ist aber noch nicht so weit zu sagen, dass schwule und lesbische Beziehungen gleichberechtigt sind...

Elfriede Schießleder: Die Haltung der Kirche ist, dass sie nicht diffamiert werden dürfen. Ich denke, die Familie ist der natürliche Lebensraum in dem Kinder entstehen. Gleichgeschlechtliche Paare brauchen, schon rein technisch gesehen, auch beide Geschlechter, damit sie überhaupt eine Familie werden. Also werden wir an der Normalfamilie, die ja auch die Mehrzahl der Orte ist, an denen Kinder aufwachsen, nicht vorbei kommen.

Wie sieht das vorurteilsfreie Ansprechen von Homo- Bi- Trans- anderen Lebensformen in der Schule in der Praxis aus?

Elfriede Schießleder, Berufsschullehrerin und Vorsitzende des Bayerischen Landesverbandes des Katholischen Deutschen Frauenbundes.

Elfriede Schießleder: Gerade an einer Berufsschule hat das Thema Sexualität einen großen Stellenwert. Die Schüler setzen sich durch ihr Alter sehr massiv mit der eigenen Sexualität auseinander. Es wäre fatal, gerade im Religionsunterricht so zu tun, als gäbe es nur die klassische Familie.  Ab dem Moment, wo schwul zum Beispiel als Schimpfwort gebraucht wird, muss es Aufgabe des Lehrers sein, zu sagen: stopp! Lasst uns erstmal ansehen, was es gibt und nicht urteilen, bevor wir etwas kennen.

Haben Sie schwule Schüler in den Klassen?

Elfriede Schießleder: Ich weiß von einem jungen Mann, der gerade eine Geschlechtsumwandlung durchmacht. Das weiß auch die Klasse.

Wie hat er das in der Klasse geäußert?  

Elfriede Schießleder: Er hat sehr gekämpft damit, wo er hingehört, es war auch eine reine Jungsklasse. Als er gesagt hat, ich werde jetzt zu einer Frau, ich nehme Hormone, haben die anderen erstmal geschaut, aber danach war klar: Er ist anders, er arbeitet daran sich selbst zu finden und das wurde akzeptiert.

Haben Sie das thematisiert in der Klasse?

Elfriede Schießleder : Ja, man muss das aufgreifen. Religion bietet den Raum, ethisch verantwortlich darüber zu sprechen.

Birgit Dittmer-Glaubig: Die Kinder benutzen sexuelle Begriffe ja immer wieder als Schimpfwörter.  Die werden dann von uns aufgegriffen -  weißt du wovon du redest, lass uns darüber sprechen. Wenn wir so auf die Kinder zugehen, erreichen wir wirklich ein Nachdenken. Es  gibt Kinder, bei denen tuscheln die anderen, dass sie schwul oder lesbisch sind. Da ist es sehr wichtig, dass man gleich drauf eingeht und erklärt, worum es eigentlich geht. Die Schüler sind dann dankbar dafür, dass es nicht totgeschwiegen wird.

Wie sprechen sie mit den Eltern?

Birgit Dittmer-Glaubig, Konrektorin und Lehrerin an einer Mittelschule in München Schwabing, Abteilungsleiterin im BLLV.

Birgit Dittmer-Glaubig: Wir versuchen, die Eltern mit ins Boot zu holen. Wenn Eltern sagen, wir wollen nicht, dass mein Kind über Sexualität spricht, suchen wir das Gespräch mit ihnen und erklären: Das Kind wächst in unserer Gemeinschaft, unserer Schule auf, Sie können davon ausgehen, dass wir das die Themen sanft besprechen. Sie können mich anrufen und fragen. Man muss Eltern klar machen, dass es in unserer Gesellschaft wichtig ist, dass Kinder Bescheid wissen und Persönlichkeit entwickeln können. Das geht nur, wenn ich sie aufkläre. Anders werden wir das Gute dieser neuen Richtlinien nicht umsetzen können.

Wie spricht man mit den Schülern am besten über diese Themen?

Elfriede Schießleder: Ich bin schon etwas älter,  das ist schon mal ein Vorteil.  Und manchmal steige ich ein, indem ich sage:  Mädchen sind alle zickig. Das hat noch jeden Jungen hervorgelockt.

So steigen sie ein? Wir wollen doch über neue Rollenbilder sprechen…

Elfriede Schießleder: Zuerst einmal muss ich doch die Realität wahrnehmen:  Die Jungs erleben die Mädchen als Zicken, die sich nicht entscheiden können, die sie nicht verstehen. Vor diesem Hintergrund ist es sehr hilfreich, dann eine Zykluskurve anzuschauen, mit dem Hormonwechsel, und zu sagen:  Das kann auch biologische Gründe haben. Oft kommt dann ein - so hab ich das noch nie gesehen…


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