Bayern 2 - Notizbuch


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Helikoptereltern Wenn Mama und Papa die Kindheit zupflastern

Was ist das Wertvollste, das Eltern haben? Ihr Kind! Das gilt es zu beschützen und zu umsorgen. Für die, die das zu sorgfältig tun, hat die Wissenschaft einen Begriff erfunden: Helikoptereltern. Sie nehmen ihren Kindern mehr, als sie ihnen geben.

Stand: 16.01.2015

Eltern schauen ihrer Tochter beim Schreiben über die Schulter | Bild: colourbox.com

Definition: Helikoptereltern

Der Begriff wurde in den 90er-Jahren durch US-amerikanische Soziologen geprägt. Helikoptereltern kreisen ständig über ihren Kindern, um jederzeit eingreifen zu können - wie Hütehunde, die rastlos ihre Herde umrunden und immer in Alarmbereitschaft sind.

Eltern, die ihre Kinder zu sehr behüten und kontrollieren, rauben ihnen das Wichtigste, was sie haben: ihre Kindheit. Im Babyalter brauchen Kinder zwar die sogenannten Helikopter-Eltern noch dringend, denn für sie ist es lebenswichtig, dass sich immer jemand kümmert und sie ein Urvertrauen aufbauen können. Dann aber muss der Helikopter bald landen: Wenn Kleinkinder die ersten Schritte in die Welt machen, müssen Eltern lernen loszulassen.

Das Problem: Die überbehüteten Kinder von heute dürfen sich nicht mehr ausprobieren. Sie dürfen sich auch nicht mehr langweilen, was der Grundstoff für Fantasie ist. Solche Kinder verarmen emotional und geistig und werden im schlimmsten Fall an der Entwicklung eines gesunden Ichs gehindert.

Lasst sie raus!

Gesprächspartner im Notizbuch

Ralph Dawirs ist Neurobiologe und arbeitet an der Universtität Erlangen. Als Entwicklungs- und Gehirnexperte forscht er zur Entwicklung des Gehirns und des Verhaltens.

Publikationen (Auswahl):

  • Riskante Jahre - Überlebenswichtige Anmerkung zur Kindheit
  • Die 10 größten Erziehungsirrtümer - Und wie wir es besser machen können
  • Endlich in der Pubertät - Vom Sinn der wilden Jahre
  • Hallo, hier spricht mein Gehirn - Eine Entdeckungsreise von der Zeugung bis zum Schulanfang

Psychologen stellen fest, dass der Aktionsraum von Kindern in den vergangenen Jahrzehnten stark abgenommen hat. Abenteuer in Wald, Wiese, auf Baustellen oder einfach auf der Straße sind eine Seltenheit geworden. Schuld ist der Termindruck, dem schon Dreijährige unterliegen. Ballett, Turnen, Logopädie, Englisch - ganze Familien bewegen sich heute im Takt der kindlichen Förder-Freizeit. "Verinselung von Kindheit" nennen Experten das. Man könnte auch Vereinsamung sagen. Und die fängt schon bei der ersten großen Reise eines Kindes, dem Schulweg, an. Mit dem Auto gebracht, von der Mama begleitet, die den Schulranzen nicht nur gepackt hat, sondern auch noch trägt. Selbstständigkeit sieht anders aus.

Die logische Folge: Diese Kinder müssen erst mühsam lernen, Risiken einzuschätzen, Misserfolge zu verkraften, ihre Grenzen zu spüren. Blaue Flecken und Schrammen sind nicht ausgeschlossen. Scheitern und trotzdem weiter machen - eine immens wichtige Erfahrung in der Entwicklung. Und für eine starke Persönlichkeit, voll Mut und Selbstvertrauen, ist folgendes besonders wichtig: Kindern zu zeigen, dass man sie bedingungslos liebt - auch dann wenn sie scheitern.

Helikoptereltern haben vor allem eines: Angst

Eine Pfütze ist noch lange kein Weltuntergang.

Auch wenn die Motive von Helikoptereltern verständlich sind, haben sie doch vor allem eines: Angst. Hinter jedem Busch hockt heute ein Kinderschänder, jedes Auto ist ein Todbringer, jeder Ast könnte ins Auge gehen. So das Gefühl der Eltern. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Rein statistisch ist das Leben eines Kinder heute weniger bedroht, als noch vor 30 Jahren. Sogar die Zahl der Verkehrstoten hat abgenommen.


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