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Die neue Stadtflucht Arbeiten im Paradies?

Laut, dreckig, teuer – in der Stadt zu leben, wird immer unattraktiver. Aufs Land auszuweichen, ist gerade in unseren digitalen Zeiten eine Alternative. Wir haben uns auf die Suche gemacht nach ländlichen Hot-Spots.

Von: Horst Konietzny

Stand: 16.11.2018 | Archiv

Man stelle sich vor: Ein echter Großstadtbayer, jung und kreativ, dem die Stadt schon lange stinkt: Feinstaub, Hektik, Lärm und exorbitante Mietpreise. Die existenzielle Frage lautet schon: "Wohnen oder Leben"? Ist für ihn ein "Digital Fichtel-Valley" die Erlösung? Von der Großstadt ins Fichtelgebirge?

Franz Josef Pschierer

Die Kreativen soll es bald in die strukturschwachen ländlichen Gebiete ziehen, um das zu verwirklichen, wovon der ehemalige Bayerische Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer (CSU) sprach: Erfolg am Land, im Land und ums Land herum. "Dort wo junge Start-ups schon sind, gehen andere hin. Deshalb haben wir ganz bewusst digitale Gründerzentren im gesamten Freistaat Bayern errichtet." Elf Gründerzentren gibt es ihm zufolge beriets, mit insgesamt 20 Standorten. Sie sollen nicht nur günstige Mieten bieten, sondern auch Co-working-spaces, um Kontakte und Netzwerkaktivitäten zu fördern. "Die jungen Leute suchen Ihresgleichen. Und diese Community gibt es eben Gott-sei-Dank nicht nur in München und Nürnberg, sondern immer mehr in den ländlichen Räumen", so Pschierer.

"Das muss von innen kommen"

Um diese ländlichen Räume geht es. Diesmal nicht unter den Vorzeichen von Krise, Strukturschwäche oder Abwanderungsbewegungen, sondern um Erfolg, auch dank flächendeckender Digitalisierung. Doch in einer Zeit sich immer weiter aufblähender Metropolregionen ist dieser Erfolg auch in Bayern nicht selbstverständlich. Das weiß Hortensia Völckers, die Chefin der Bundeskulturstiftung, nur zu gut. Die Stiftung will das Bewusstsein für den Wert öffentlicher Kulturorte auf dem Land erhöhen. Es soll das Verhältnis von Stadt und Land transformieren. Das dazugehörige Förderprogramm heißt passenderweise TRAFO.

Das Fichtelgebirge im Herbst

Damit will die Bundeskulturstiftung kulturelle Institutionen auf dem Land, die gefährdet sind durch Abwanderungsbewegungen und demographischer Wandel, bei einem Transformationsprozess unterstützen, erklärt Völckers: "Das ist ein delikates Thema. Ein Transformationsprozess muss von Innen kommen. Von den Menschen, die dort leben und arbeiten. Selbst gedacht und initiiert werden. Sonst funktioniert es nicht."

Kulturelle Identität ist der wichtige Faktor, der die die Besonderheit der Regionen außerhalb der großen Städte ausmacht. Ihr USP, der Unique Selling Point, wie es die Marktstrategen heute ausdrücken. Museen wie das nah an der polnischen Grenze gelegene Oderbruch-Museum haben sich vorgenommen, die Identität einer Region zu erforschen, sinnlich abzubilden und zu würdigen. Sie sind Orte, an denen sich Gegenwart abbildet und bildet, öffentliche Begegnungsorte, wie sie gerade im ländlichen Raum rar gesät sind. Sogenannte "Dritte Orte" also nicht Zuhause, nicht am Arbeitsplatz, sondern eben an einem dritten Ort.

Begegnungen in Bibliotheken

Lisa Hartung, Wirtstochter aus Coburg und Kulturmanagerin in München, plant eine Rückkehr in die alte Heimat. Die Dritten Räume treiben auch sie um: "Die große Frage ist: wie kommen Leute wieder zusammen? Wo gibt es Orte, wo man Partizipation gern und lustvoll erlebt? Wie sollen die gestaltet sein?" Gaststätten gebe es ja kaum mehr. Dagegen öffnen sich zum Beispiel Bibliotheken, auch abends für Begegnungen. So könnten "verschiedene Kulturräume verschiedene Funktionen übernehmen", sagt Hartung.

Am Land zu neuen Formen der Begegnung und des Austausches zu kommen und das bei guter Luft, ist natürlich genau das Versprechen, das zur Revitalisierung der ländlichen Räume anregen soll – aber nicht nur. Der nächste Schlüsselbegriff für die Entwicklung des ländlichen Raumes sind gleichwertige Lebensverhältnisse.

Internet, Internet, Internet

Ausbau von Glasfaseranschlüssen

Sie herzustellen, sieht Ex-Wirtschaftsminister Pschierer als große Herausforderung für die Politik. Das gelte für den Arbeitsmarkt, aber auch für das Thema Digitalisierung. Und in letzterem sieht er eine große Chance: "Weil die alte Trennung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz zum Teil aufgehoben wird. Es ist völlig egal, von wo aus Sie heute bestimmte Tätigkeiten ausüben." Dienstleistungsberufe, Planer, Architekten, Ingenieure, freie Berufe – "es ist völlig egal, wo der heute sitzt. Durch die Anbindung über das Netz kann er heute selbstverständlich auch in ländlichen Räumen seine Existenz hier vorhalten."

Der allerwichtigste Aspekt heute ist eine leistungsfähige Internetversorgung, und zwar flächendeckend und überall, davon ist Astrid Köppel aus Wunsiedel überzeugt. "Ich habe früher im Bereich der regionalen Entwicklung gearbeitet, da habe ich das schon immer gepredigt und es ist Wahrheit geworden. Wenn die Internetverbindung passt, dann kann man überall prima ortsunabhängig arbeiten."

Politik hui, Politik pfui

Dass möglichst viele originelle Start-ups im Gründerland Bayern genau das können, auch und vor allem in den ländlichen Regionen, dafür sollen die bereits erwähnten Gründerzentren sorgen. In Hof, wo vor vielen Jahren noch keine wissenschaftlichen Einrichtungen existierten, entsteht gerade eines der modernsten Textil-Forschungsinstitute Europas, erklärt Ex-Minister Pschierer.

Gut, dass sich die Politik kümmert, doch gibt es auch viel nachzuholen. Astrid Köppel ist von der Kommunalpolitik regelrecht genervt: "Sie macht oft den Eindruck, dass sie gar nicht versteht, was für ein Potenzial da ist, was für Kreativität in der Region vorhanden ist oder wieder dazu kommt. Da würde ich mir manchmal konkreter Offenheit und Unterstützung wünschen." Nicht nur mit Geld, sondern mit Aufmerksamkeit, Besucher direkt zu Projekten zu führen, zum Beispiel. "Das ist ja ein Aushängeschild für die Region."

Das Amt, dein Freund

Aber auch umgekehrt, von Bürger zu Kommune, ist Kommunikation auf dem Land der Schlüssel zum Erfolg. Sabine Gollner, Vorsitzende der Künstlerkolonie Fichtelgebirge, amüsiert sich manchmal über Städter, die nicht verstehen, warum sie mit den Ämtern sprechen sollten, wenn sie sich ansiedeln. "In den Städten ist das ja wirklich ganz anders. Bei uns sind die Politiker wirklich zum Anfassen. Du musst zum Bürgermeister! Wenn du es nicht machst, wirkt das sehr unhöflich." Denkmalstatus, Brandschutz – immer wieder hat Gollner Städter gesehen, die deshalb ins Straucheln kommen, weil sie nicht mit den Ämtern sprechen. "Die wollen ja, dass Leute Objekte beleben."

"Stadt lernen ist leichter als Land lernen."

Astrid Köppel

Astrid Köppel ist überzeugt davon, dass es leichter ist, vom Land in die Stadt zu gehen, sich dort einzugewöhnen und die kulturellen Möglichkeiten zu erschließen. "Umgekehrt haben Leute aus der Stadt oft eine romantische Vorstellung vom Leben auf dem Land. Ziehen dann raus und wundern sich, wenn sie auch mal sozial stolpern." Da gelte es, sich zu öffnen und zu erforschen, wie das Leben auf dem Land eigentlich ist.

"Macht Kollektive!"

Aber kann das Land eigentlich ländlich bleiben, wenn die Städter dorthin ziehen? Oder werden sie zu kleinen Städten? Die Grundstückspreise steigen, Spekulanten klopfen an. "Die Gentrifizierung fängt schon an", mahnt Gollner. Sie rät der neuen Landbevölkerung, zu kaufen: "Macht Kollektive, macht Genossenschaften!"

Eine Initiative, die an der wachsenden Attraktivität ländlicher Gebiete teilhaben möchte, nennt sich Ko-Dorf: Miniaturhäuschen, die in drei Größen von 30 bis 70 Quadratmetern angeboten werden sollen, eine Art Co-Working-Space mit direktem Zugang zu Wald, Wild und Weiden. Der Journalist Frederik Fischer ist einer der Initiatoren, der das Stadtleben satt hat: "Wir versuchen nicht das Dorf neu zu erfinden, sondern im Endeffekt ist es eine Weiterentwicklung des Feriendorfes. In der Form, dass wir das, was sich bewährt hat, annehmen, aber an digitaler Arbeit ausrichten." Gemeinschaftsflächen wie Gemeinschaftsküchen oder Veranstaltungsräume sollen dabei als Co-Working-Spaces dienen.

Bei allem Optimismus ...

Die Ko-Dörfer könnten mal im menschenleeren Brandenburg stehen, aber auch in Bayern könnte es geeignete Stellen geben. Immer jedoch außerhalb der Ortsmitten, und das aus zwei Gründen: Zum einen, weil solche Projekte im Bestand deutlich teurer und komplizierter umzusetzen wären, ist sich Fischer sicher. Zum anderen ist die Furcht vor der Gentrifizierung groß, "die wir nicht vorantreiben wollen", betont er.

Bei allem Optimismus: Die Idee, dass Städter in großer Zahl in die Ortskerne ziehen und sich Alteingesessene und Neuzugezogenen reibungslos verstehen, hält er für sehr gewagt. Für Fischer ein Grund mehr, die Ortskerne zu meiden. "Unsere Annahme ist, dass es deutlich unwahrscheinlicher ist, dass es zu Konflikten kommt, wenn man uns auch ignorieren kann."


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