Bayern 2 - Zeit für Bayern


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Schwitzen statt Beten Fitnessstudios – die Kirchen von heute

Man muss nicht an Gott glauben, um zu glauben. Aber an irgendetwas glauben wir alle. Für immer mehr Menschen spielen Sport und Gesundheit eine große Rolle. Viele gehen lieber in die Fitness-Tempel oder ins Fußballstadion als in die Kirchen.

Von: Ulrike Nikola

Stand: 07.06.2017 | Archiv

Die Fan-Gemeinden der Spielvereinigung Greuther Fürth heißen Greuther Weiber, Sportfreunde Ronhof und Rohrer Teebeutel. Sie alle eint die Begeisterung für den Fußball. Im Stadion singen sie im Chor, schwenken Fahnen mit dem Kleeblatt, dem Vereinswappen der Spielvereinigung Greuther Fürth, verfolgen  die Mannschaftsaufstellung und schwören ewige Treue.

Das Fußballstadion als Kathedrale

Im Stadion kommen Menschen im selben Glauben zusammen. Das bedeutet letztlich Kirche, sagt Pfarrer Michael Wolf. Als er noch im mittelfränkischen Rohr predigte, gründete der leidenschaftliche Fan der Greuther Fürther den Fanclub "Rohrer Teebeutel" – mit Wimpeln, gemeinsamen Stadionbesuch und Weihnachtsfeier.

"Ich bin auch regelmäßig im Stadion bei Fußballspielen. Da fällt mir immer wieder auf, dass es ganz viele Ähnlichkeiten gibt zwischen den Abläufen im Gottesdienst und im Stadion – vertraute Lithurgien. Man nennt es im Stadion nicht so, aber da gibt es die ganz traditionellen Dinge: der Einzug und dann wird dieses und jenes Lied gespielt und die Fans wissen genau, was kommt. In der Kirche ist es ähnlich, da weiß man: jetzt kommt dieses Lied und dann steht man auf und setzt sich hin."

Michael Wolf, Pfarrer

Mehrere Kilo menschliche Asche auf dem Spielfeld

Die Kapelle in der Arena auf Schalke

In den USA bitten Baseball-Fans darum, dass ihre Asche nach ihrem Tod auf dem Spielfeld verstreut wird. So liegen auf dem Rasen des legendären Wrigley-Field-Stadions in Chicago mehrere Kilo menschlicher Asche. Auf einem Hamburger Friedhof gibt es ein eigenes Areal für HSV-Fans, deren Gräber in den Farben ihres geliebten Fußball-Clubs geschmückt sind. Bei Schalke 04 gibt es sogar eine Kapelle im Stadion, in der sich fußballbegeisterte Paare trauen und ihre Kinder taufen lassen und in der sie zu ihrem Fußballgott beten. Fußball und Religion haben viele Parallelen.

Wer will noch einen Platz im Himmel?

In der Kirche wird heutzutage immer noch viel über das Jenseits gepredigt. Über das Leben nach dem Tod. Wer im Hier und Jetzt Gutes tut, dem ist ein Platz im Himmel sicher. Das hat sich nach 500 Jahren Reformation nicht vollkommen verändert. Doch damit erreicht man die Menschen heute eher nicht mehr, meint Pfarrer Michael Wolf.

Der Körperkult als Ersatzreligion

Frau trainiert im Fitnessstudio

Für ein Leben nach dem Tod gibt es keine Beweise. Und deshalb glauben seit der Aufklärung immer weniger Menschen daran. Sie wollen das ewige Leben im Hier und Jetzt. Dafür trainieren sie ihre Körper, um möglichst lange fit und gesund zu bleiben. Sonntags gehen sie lieber in den Fitness-Tempel als in die Kirche. Sie stemmen Gewichte und schwitzen auf den Spinning-Rädern. Denn eisernes Training und Selbstdisziplin für körperliche Idealmaße versprechen eine größere Erlösung als Beichten und Geißeln. Der Ablass wird mit Schweißperlen gezahlt und so dient der Körperkult längst als Ersatzreligion.

Fitness-Tempel der Superlative

Ende des Jahres 2016 hat in Nürnberg ein Fitnessstudio der Superlative eröffnet: Auf 6.500 Quadratmetern verteilt auf fünf Etagen stehen Laufbänder, Hantelbänke und Beinpressen. Es gibt so ziemlich alles, was das Fitness-Herz begehrt. Vom speziellen Crossfit-Bereich bis zur ultra-hippen Multivisionsshow fürs Radtraining.

Während immer weniger Menschen eine Kirche, Synagoge oder andere religiöse Einrichtungen besuchen, steigt die Zahl der Fitness-Anhänger immer weiter an und damit auch die Zahl an Fitness-Studios. Dabei streben alle nach Superlativen und Maximierung. Manche trainieren nicht nur an sieben Tagen in der Woche, sondern gehen sogar morgens und abends ins Fitnessstudio. Dort treffen sie Gleichgesinnte trinken auch mal gemeinsam einen Eiweiß-Shake.

Wenn der Sport zum Hochamt wird

Szene beim Challenge Roth 2016

Das Hochamt wird schließlich auf Stadtmarathons und Triathlon-Events gefeiert. Jedes Jahr steigt im mittelfränkischen Roth der legendäre Langstreckentriathlon Challenge. Mit rund fünftausend Athleten und über 200.000 Zuschauern an der Wettkampfstrecke ist es das größte Sportereignis in Bayern. Die Einzelstarter schwimmen 3,8 Kilometer, fahren 180 Kilometer mit dem Rad und absolvieren anschließend noch einen Marathon mit 42 Kilometern. Für das monatelange Training davor müssen sie sehr viel Zeit opfern.

Unrealistische Wünsche an die Medizin

Einmal auf dem Siegertreppchen stehen. Oder zumindest eine Teilnehmer-Urkunde mit nach Hause nehmen. Das Hochgefühl nach einem erfolgreichen Wettkampf hält nicht dauerhaft an. Schneller, höher, weiter soll es gehen. Das kann ein ganz schön großer psychischer Druck sein. Das erlebt Professor Wolfgang Söllner, Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Nürnberger Klinikum, immer wieder, wenn er mit seinen Patienten spricht. Das sind Menschen, die nach einem Sinn suchen – vor allem wenn sie krank sind. Die Ängste haben oder sich mit dem Tod auseinandersetzen. Früher spendete der religiöse Glaube vielen Hoffnung. Das hat sich verändert.

"Mit der Aufklärung sind religiöse Vorstellungen in den Hintergrund getreten, hat sich ein Rationalismus durchgesetzt und nun braucht es einen Ersatz. Und eine Möglichkeit eines solches Ersatzes kann natürlich die Ideologie des ewigen Fortschreitens sein, immer mehr machen – im Sinne der Workaholics. Das Problem ist nur, wenn man nicht zum Rationalen und zum Realitätsprinzip zurückfindet. Dann kommt man in so einen Jugendlichkeitswahn, Fitnesswahn, Altern ohne alt zu werden und dann gibt es unrealistische Wünsche an die Medizin nach immer jung bleiben, immer fit bleiben."

Professor Wolfgang Söllner, Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Nürnberger Klinikum

In der Schönheitschirurgie werden Falten geliftet und Fett abgesaugt, Augenlider und Pobacken gestrafft. Doch nicht nur die Zahl der kosmetischen Korrekturen steigt, auch medizinisch notwendige Behandlungen gibt es immer häufiger. Denn die Menschen werden immer älter, die Lebenserwartung nimmt zu und damit auch die Anforderungen an die Medizin und Pflege.


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