Bayern 2 - Land und Leute


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Franziska zu Reventlow Die Gräfin und Bohdan von Suchocki

Auf den berühmt-berüchtigten Münchner Faschingsfesten der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ging es hoch her. Die Schwabinger Boheme feierte ohne Unterlass. Und Amor war Schützenkönig. Immer mit dabei: eine vielumschwärmte Schriftstellerin und Lebenskünstlerin von Adel. Im Fasching 1903 begegnete sie ihrer großen Liebe, dem polnischen Maler Bohdan von Suchocki.

Von: Ulrike Voswinckel

Stand: 01.10.2021 | Archiv

Franziska zu Reventlow | Bild: Sammlung Megele/Süddeutsche Zeitung Photo

Als es im Münchner Fasching noch die Elendenkirchweih, den Scharfrichterball, den Bauernball, die Nachkirchweih, das Kosmikerfest, das Werdenfelser Fest und viele andere Feste mehr gab, war die Schwabinger Boheme Nacht für Nacht auf den Beinen, und meistens ging das eine Fest in das nächste über, nur unterbrochen von kurzen Zwischenspielen auf dem Eis des Kleinhesseloher Sees. Im Zentrum immer die Gräfin Reventlow, die Vielumschwärmte und Phantasievollste von allen, deren Tagebüchern wir eine präzise Kenntnis des Schwabinger Lebensgefühls zu Anfang des letzten Jahrhunderts verdanken.

"Mit ihm tanzen ist wirklich schöner Wahnsinn ..."

Das von Franziska zu Reventlow (1904) gemalte Bild Bohdan von Suchockis

Im Fasching 1903 verliebte sie sich in Bohdan von Suchocki, der immer als Krieger mit Schwert und Panzerhemd auftrat: "Tanz mit Such, ich wieder Griechin, er Panzer. Mit ihm tanzen ist wirklich schöner Wahnsinn ..." Ihre Liebesbeziehung ist stürmisch und zärtlich und hält länger als Reventlows andere Affären. Der Briefwechsel zwischen beiden erstreckt sich von 1903 bis 1909, als Suchocki unglücklich und elend in Amerika sitzt und kein Geld zusammenbringt, um wieder nach München zu kommen. Es sind Liebesbriefe, die ihren Charme aus der sehr ungeschützten Sprache beziehen - Bohdan von Suchocki ist für Franziska zu Reventlow kein intellektueller Gesprächspartner, aber einer, dem sie rückhaltlos ihre Stimmungen, Nöte und ihre Sehnsucht anvertrauen kann. Er ist der Gegenpol zu den überspannten Kosmikern, die in dieser Zeit gerade ihren großen Krach inszenieren, und er ist es, mit dem sie zusammen mit Franz Hessel in das später berühmt gewordene "Eckhaus" in der Schwabinger Kaulbachstraße zieht, große Bergwanderungen in Oberbayern unternimmt und nach Italien reist, um dort das gemeinsame Kind zur Welt zu bringen.

Buchtipps:

Herrn Dames Aufzeichnungen: Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil

  • Autorin: Franziska zu Reventlow
  • Taschenbuch: 94 Seiten
  • Verlag: CreateSpace Independent Publishing Platform (7. März 2013)
  • ISBN-10: 1482666669
  • ISBN-13: 978-1482666663


"Wir sehen uns ins Auge, das Leben und ich" - Tagebücher 1895-1910

  • Autorin: Franziska zu Reventlow
  • Gebundene Ausgabe: 582 Seiten
  • Verlag: Stutz, K; Auflage: 2 (2011)
  • ISBN-10: 3888492084
  • ISBN-13: 978-3888492082


Der Meister der leisen Töne: Biographie Des Dichters Franz Hessel

  • Autorin: Magali Laure Nieradka
  • Taschenbuch: 232 Seiten
  • Verlag: Igel Verlag; Auflage: 2., Auflage (24. Februar 2014)
  • ISBN-10: 3868155902
  • ISBN-13: 978-3868155907

Zur Autorin der Sendung:

Die Autorin Ulrike Voswinckel

Ulrike Voswinckel, geboren in Hamburg, studierte Gemanistik und Romanistik. Die Autorin und Filmemacherin lebt seit 1967 in München und schreibt Radio-Features über Literatur, Kunst und Boheme in München (1900–1933) und Exilliteratur.

Buchtipp:

Freie Liebe und Anarchie: Schwabing - Monte Verità. Entwürfe gegen das etablierte Leben
Autorin: Ulrike Voswinckel
Taschenbuch: 184 Seiten
Verlag: Buch & Media (1. Juli 2009)
ISBN-10: 3869060271
ISBN-13: 978-3869060279

Der Monte Verità in der Nähe von Ascona war Anfang des letzten Jahrhunderts Anziehungspunkt für die intellektuelle Boheme. Ulrike Voswinckel schildert drei spannende Jahrzehnte der Suche nach alternativen Kunst- und Lebensformen. Stadtflüchtige, Vegetarier, Theosophen, Anarchisten, Spinner und Alternative zog es als Erste auf den malerisch am Lago Maggiore gelegenen "Berg der Wahrheit". Hier ließen sich die "Aussteiger" zu neuen Entwürfen gegen das etablierte Leben ihrer Zeit inspirieren. Man proklamierte das Prinzip der klassenlosen Gesellschaft und die Befreiung der Frau, pflegte die freie Liebe und lebte naturnah in Lufthütten oder im Wald, ausgestattet mit Sackleinen und Sandalen oder gar nackt. Kein Wunder, dass später auch die Schwabinger Boheme magnetisch von diesem Ort angezogen wurde. Erich Mühsam, Franziska von Reventlow, Oskar Maria Graf, Rudolf Laban, Isadora Duncan, Mary Wigman, Marianne von Werefkin, Leonhard Frank, Else Lasker-Schüler, später auch Rainer Maria Rilke und zahllose andere Künstler trugen dazu bei, Ascona zum "Schwabing von Schwabing" zu machen.

Bildergalerie zum "Monte Verità":


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