Bayern 2 - Land und Leute


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Oskar Maria Graf "Schandfleck der ganzen bayerischen Armee"

Ulrich Dittmann begibt sich auf die Spuren von Oskar Maria Graf als Soldat im Ersten Weltkrieg, der sich mit seiner pazifistischen Einstellung oft in Lebensgefahr brachte.

Von: Ulrich Dittmann

Stand: 21.09.2014 | Archiv

Oskar Maria Graf | Bild: Kurt Bethke/hr Historisches Archiv/SZ Photo

"Zehn Jahre war ich alt, als einer in mein Leben trat, erzogen von Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren, und meine Erziehung in die Hand nahm. Zehn Jahre, als einer zu befehlen begann, mich anschrie, prügelte und noch mehr prügelte. Zehn Jahre war ich alt, als ich anfing zu wissen, was Zwang ist, und anfing ihn zu hassen, sinnlos zu hassen."

(Oskar Maria Graf)

So beginnt Oskar Maria Grafs Epilog zur 1922 erschienenen Autobiographie "Frühzeit" und auch noch der seiner 1927 veröffentlichten, doppelt so umfangreichen Lebensgeschichte "Wir sind Gefangene". Die Konfrontation mit dem vom Militär heimkehrenden Bruder und Vormund isolierte ihn nicht nur von seiner Herkunft, sondern löste eine anhaltende Desorientiertheit aus und überschattete Grafs Leben auch noch lange nach Revolution und Kriegsende: Sie hat ihn aber auch gegen den Mobilmachungstrubel und die Kriegseuphorie seiner Generation gefeit.

Gesinnungsmilitaristen beteten den Krieg an

Der Schriftsteller Ernst Toller

Obwohl er literarisch ehrgeizig als Lyriker im April 1914 debütierte, verfiel er nicht der Massenhysterie, die deutschen Zeitungen im August 1914 täglich bis zu 50 000 Kriegs-Gedichte bescherte, auch von berühmtesten Dichtern - darunter späteren Pazifisten. Graf gehört für die Historiker zu den wenigen Künstlern, die die Torheiten des alten Reiches mit seiner Glorifizierung des Militärs und der Kriegsverherrlichung durchschauten. Die Gesinnungsmilitaristen dagegen - aber auch Dichter wie Georg Heym, Ernst Toller und Rainer Maria Rilke - beschworen den neuen Gott und beteten den Krieg an.

"Ideen und Ereignisse drangen heran. Ich verschloß mich ihnen nicht, o nein! Ich fand sie unterhaltlich und belächelte sie tief zu innerst ungläubig. (...) Der Krieg kam und war mir nichts als eine einzige Narretei. Dieser galt es so schnell wie möglich auszuweichen."

(Oskar Maria Graf)

Bewundert von Thomas Mann

Als "Schandfleck" bezeichnete ihn ein Vorgesetzter im Jahre 1915 nach Widersetzlichkeiten gegen die militärische Gehorsamspflicht. Dass er "als Einzelner der ganzen Kriegsmaschine" des Ersten Weltkriegs widerstand, bewunderte Thomas Mann.

Lebensgefährlicher Pazifismus

Die so gegensätzlich bewertete beispiellose Konsequenz in der Kriegsablehnung bildet auch das Leitmotiv von Oskar Maria Grafs weiterer wechselvoller Biographie. Sein für ihn oft lebensgefährlicher Pazifismus ist jedoch nicht nur als solcher interessant und für seine Leser wichtig: Dass er die Verweigerung ganz unterschiedlich, aber zeitgerecht in Autobiographie, Erzählungen und Romanen darstellte und verarbeitete, zeigt die Nähe von Erzählkunst und Ethos in seinem Werk.

Werke (Auswahl)

1927

Wir sind Gefangene

Oskar Marias Grafs erster Teil seiner Autobiografie beginnt mit dem Bruderzwist. Unverständnis schlägt ihm hier entgegen, als er bekennt, Schriftsteller werden zu wollen. Derartige Berufsvorstellungen werden mit Fäusten beantwortet. Oskar wird 1911 von seinem Bruder Max aus dem Elternhaus in Berg am Starnberger See geprügelt. Er flieht nach München, wo er erst dreimal war. Eine abenteuerliche Lebensreise ins Chaos zwischen 1905 und dem Ende der Münchner Räterepublik.

1931

Bolwieser

Bahnhofsvorsteher Xaver Bolwieser ist Mitte 30 und mit der Tochter eines reichen Brauereibesitzers verheiratet. Eine gute Partie. Er glaubt, es geschafft zu haben. Doch seine Ehe ist freudlos. Bolwieser, dem Klatsch der Kleinbürger ausgesetzt, kann die heile Welt nicht aufrecht erhalten. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Unsicherheiten kündigt sich auch sein privater Niedergang an: Er schwört einen Meineid und muss ins Gefängnis

1937

Anton Sittinger

Grafs Thema in diesem Gesellschaftsroman ist die Mitverantwortung der Kleinbürger, insbesondere der Mitläufer, am Zustandekommen der totalitären Herrschaft der Nationalsozialisten. Postinspektor Anton Sittinger, ein unpolitischer Spießer und Duckmäuser, ist ein Chauvinist, der seine Frau tyrannisiert. Er übersieht die Bedrohungen durch den heraufziehenden Faschismus. Sittinger sucht nur seinen Vorteil und arrangiert sich mit den neuen Machthabern.

1940

Das Leben meiner Mutter

Das Buch erschien 1940 zunächst in Englisch und erst 1946 auf Deutsch. Zu lesen ist mehr als nur die Familiengeschichte Oskar Maria Grafs anhand der Lebensbeschreibung seiner Mutter: Grafs Erinnerungsbuch ist ein authentisches Zeitdokument seiner Heimat, eine soziale Chronik dörflichen Lebens von der zweiten Hälfte des 19. bis zum ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, in der in Berg am Starnberger See die moderne Technik ebenso Einzug hält wie der Fremdenverkehr

1966

Gelächter von außen

Grafs Autobiografie, zweiter Teil, erschien 1966, ein Jahr vor seinem Tod. Sie umfasst den Zeitraum von 1918 bis 1933: die Revolution und Räterepublik in München, die Weimarer Republik und Hitlers Aufstieg bis zu Grafs Aufbruch ins Exil. Er schildert sein Leben als Schieber, seine Atelierfeste, durchzechte Abende in der Schwabinger Künstlerkneipe "Simpl" und Begegnungen mit Schriftstellerkollegen wie Rilke, Brecht, Toller und anderen.

Lebensdaten

*22. Juli 1894 Berg am Starnberger See
+28. Juni 1967 New York


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