Bayern 2 - Land und Leute


30

Dr. Schwammerl und die APO Die wilden 60er in München

Von: Renate Eichmeier

Stand: 12.03.2017 | Archiv

"Politik ist für mich eigentlich: Die Reichen wollen, dass es so bleibt, wie es ist, und die Armen wollen dagegen was machen. Das ist eigentlich der Kern der ganzen Politik und der Geschichte. Wenn man das wissenschaftlich ausdrücken würde, dann hieße es 'die Klassenkämpfe'. Aber das ist heute altmodisch, so kann man das heute nicht mehr sagen."

(Winfried Hauck alias 'Dr. Schwammerl')

"Winni" zog es in die Ferne

Eigentlich war Winfried Hauck eine bürgerliche Karriere in die Wiege gelegt. 1937 in eine gut situierte Buchhändler-Familie geboren, Abitur, Germanistik-Studium, Promotion. Doch Winni, wie ihn seine Freunde nennen, zieht es in die Ferne. Während in Deutschland die 50er Jahre zu Ende gehen, macht sich Winfried von München aus auf nach Frankreich, Marokko und schließlich Kolumbien. Dort lernt er Eliane aus Haiti kennen. Die beiden heiraten und gehen 1965 gemeinsam nach Chile, wo Winfried an der Universität von Concepción für den DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) arbeitet. Bis dahin eher unpolitisch, schließt er sich der aufkommenden linken Studentenbewegung an. Mit einem Hungerstreik sorgt er für Schlagzeilen in chilenischen Zeitungen.

Dr. Schwammerl und die wilden 60er

Benno Ohnesorgs Tod förderte die Radikalisierung der Studentenbewegung

Der angeschossene Benno Ohnesorg wird ins Krankenhaus transportiert

Auch an den deutschen Universitäten rumort es. Im Juni 1967 wird der Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration in Berlin von einem Polizisten erschossen. Als Winfried und Eliane im September nach München zurückkehren, stehen die Zeichen auf Sturm: Es geht gegen die autoritären Strukturen an den Unis, die unaufgearbeitete NS-Vergangenheit, gegen die Notstandsgesetze, die schlimmen Zustände in Jugendheimen, den Vietnamkrieg … Obwohl fast zehn Jahre älter als die aufbegehrenden Studenten, taucht Winfried in die APO-Szene ein. "Dr. Schwammerl", wie er wegen seiner geringen Körpergröße genannt wird, arbeitet in linken Gruppen und nimmt Jugendliche auf, die aus Heimen ausgerissen sind. Es gibt Ärger mit der Justiz; am Schluß endet alles im Chaos. Auch nach den wilden APO-Jahren bleibt "Dr. Schwammerl" seinem sozialen Engagement treu: Er arbeitet als Deutschlehrer für Ausländer. Später, als Rentner, beginnt er zu malen, "Bilder gegen Gewalt und Rassismus", wie er sagt. Heute, mit fast 80 Jahren, blickt Winfried Hauck zurück auf ein bewegtes Leben.

Dr. Schwammerl 2017

"Man kann sich das heute nicht vorstellen, innerhalb welch kurzer Zeit Umbrüche stattfinden können, die normalerweise Jahre brauchen. Was sich da im Bildungssystem, im Sozialwesen alles geändert hat. Ja, man sagt, eine Revolution ist wie die Lokomotive der Geschichte. Also in kürzester Zeit passieren Dinge, die sonst zig Jahre brauchen. Und da wird es alles konzentriert, zusammengerafft, das ist wie eine Explosion. Und heute wäre es bitter notwendig, sowohl an den Unis wie überhaupt im Arbeitsleben: ein bisschen mehr von diesem Aufbruchsgeist."

(Winfried Hauck)


30