Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton

O Tante Baum! Weihnachtsgeschichten der anderen Art

Weihnachten, das größte Fest des Jahres, mit seinen althergebrachten Ritualen, ist für die meisten von uns eine sehr emotionale und feierliche Angelegenheit. Das ruft natürlich die Spötter und Satiriker auf den Plan - oder auch die Komiker in der Familie. Justina Schreiber macht sich Gedanken über unseren Umgang mit gelebter, bisweilen aber auch erstarrter Tradition und erzählt von außergewöhnlichen Bescherungen.

Von: Justina Schreiber

Stand: 24.12.2016 | Archiv

Mutter und Sohn sitzen andächtig vor einem geschmücktem Christbaum unter dem Weihnachtsgeschenke liegen | Bild: picture alliance / Karl-Josef Hildenbrand/dpa | Karl-Josef Hildenbrand

Weihnachten lebt, und wenn es in der Erinnerung ist. Weihnachten ist nicht unterzukriegen. Trotz Kitsch, Kommerz und Krampf. Trotz seiner ritualisierten Form. Tja, vielleicht sogar wegen dieser dramaturgisch ausgeklügelten Form, die in ihrer bürgerlichen Ausprägung an ein mehraktiges Theaterstück erinnert: das Baumschmücken, der Kirchgang, das Glöckchen, der Gesang, die Bescherung, das Essen. Oder auch anders herum. Weihnachten lebt, auch weil sich Spötter, Kritiker und Gläubige Jahr für Jahr neu daran abarbeiten. Weihnachten lebt, weil in der Regel Kinder mit im Spiel sind. Und die können einfach nicht still sitzen oder sie verpatzen ihren Einsatz.

Manche empfinden Scherz und Ironie als religiöse Verunglimpfung

Thomas Mann 1955 in Weimar

Veralberte Weihnachtslieder, Faxen beim Kirchgang und andere blasphemische Scherze - das größte Fest des Jahres mit seinen traditionellen Zeremonien verlockt die Komiker in einer Familie förmlich zu Sabotage und Ulk. Ob nun - wie in Thomas Manns Roman "Buddenbrooks" - aus dem Tannenbaum ein "Tantebaum" wird, oder ob das Krippenspiel - wie in dem Kinderbuch "Hilfe, die Herdmanns kommen!" - eher unfreiwillig zur Lachnummer gerät, es gibt immer jemanden, der Scherz und Ironie im Rahmen der Feierlichkeiten zu Christi Geburt als religiöse Verunglimpfung erlebt. Besonders in katholischen Ländern wie Bayern ist die Gefahr groß, dass der befreiende Charakter von ungewöhnlichem Christbaumschmuck und satirischen Weihnachtserzählungen nicht erkannt wird.

Hermann Hesse wetterte 1927, Weihnachten sei in unguter Weise auch ...

Der Schriftsteller Hermann Hesse (1962)

"Ein Inbegriff, ein Giftmagazin aller bürgerlichen Sentimentalitäten und Verlogenheiten, Anlass wilder Orgien für Industrie und Handel, großer Glanzartikel der Warenhäuser, riecht nach lackiertem Blech, nach Tannennadeln und Grammophon, nach übermüdeten, heimlich fluchenden Austrägern und Postboten, nach verlegener Feierlichkeit in Bürgerzimmern unterm aufgeputzten Baum, nach Zeitungsextrabeilagen und Annoncenbetrieb, kurz nach tausend Dingen, die mir alle bitter verhasst und zuwider sind, und die mir alle viel gleichgültiger und lächerlicher vorkämen, wenn sie nicht den Namen des Heilands und die Erinnerung unserer zartesten Jahre so furchtbar missbrauchten."

(Hermann Hesse)

Vielleicht aber ist das von hohen Erwartungen begleitete heilige Fest der Liebe nur dann wirklich entspannt zu ertragen, wenn man es nicht hundertprozentig ernst nimmt ...

Heinrich Bölls "Nicht nur zur Weihnachszeit"

Die Hörspielversion von Heinrich Bölls bissiger Satire "Nicht nur zur Weihnachszeit" mit Heinz Rühmann als Erzähler, die der NWDR am 30. Dezember 1952 ausstrahlte, erregte große Empörung. Heinrich Bölls Ironie versetzte dem "restaurativen westdeutschen Selbstbewusstsein einen Schock". Umso heftiger protestierte der Leiter der kirchlichen Rundfunkzentrale gegen den Groß-Angriff auf das ach so empfindsame deutsche Gemüt. Böll konterte im Februar 1953 in einem offenen Brief:

Der Schriftsteller Heinrich Böll (1970)

"Mit dem deutschen Gemüt lässt sich ein großartiges Geschäft machen, und wer so in der Adventszeit durch die Straßen einer Großstadt schlendert, dem kann wirklich bange werden. Und es wäre zu empfehlen, den Schuhe, den Seife-, den Schokolade-anbietenden Engeln ein Spruchband in den Mund zu hängen mit dem Wort des großen Christen Chesterton: 'Reklame ist die Bettelei der Reichen. Kauft Y heißt: gebt mir mehr Geld, gebt mir noch mehr Geld, als ich schon habe.' Stellen Sie sich, sehr geehrter Herr Pfarrer, einen Advent ohne Reklame vor! Das müsste wirklich etwas wie Frieden in den Straßen unserer Städte sein."

(Heinrich Böll)

Buchtipps:

Nicht nur zur Weihnachtszeit: Erzählungen

  • Autor: Heinrich Böll
  • Taschenbuch: 160 Seiten
  • Verlag: dtv Verlagsgesellschaft; Auflage: 4. Auflage (1. Oktober 1992)
  • ISBN-10: 3423115912
  • ISBN-13: 978-3423115919


Buddenbrooks: Verfall einer Familie

  • Autor: Thomas Mann
  • Taschenbuch: 848 Seiten
  • Verlag: FISCHER Taschenbuch; Auflage: 3 (5. April 2012)
  • ISBN-10: 3596904005
  • ISBN-13: 978-3596904006


Hilfe, die Herdmanns kommen

  • Autorin: Barbara Robinson
  • Gebundene Ausgabe: 96 Seiten
  • Verlag: Oetinger; Auflage: 33 (1. August 1974)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 378911989X
  • ISBN-13: 978-3789119897

Hörbuchtipp:

(Relaunch) Hörbuch Box-Set | Bild: Der Hörverlag (Edel) zum Artikel Die Kinder der Manns Hörbuch Box-Set mit 6 CDs

"Die Kinder der Manns" dokumentiert eine außergewöhnliche Familiengeschichte und präsentiert zugleich ein Panorama des 20. Jahrhunderts: sechs spannende und informative Features mit vielen Originaltönen der Familie Mann sowie den Stimmen von Rufus Beck, Gert Heidenreich, Sophie von Kessel, Ilse Neubauer u. v. a. [mehr]