Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton


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Die schwarze Mappe 1) Das norwegische Waisenkind

Ihre persönliche Geschichte ist ein Teil der deutschen Geschichte: Gisela Heidenreich, geboren in Norwegen, hat die ersten Lebensmonate in einem "Lebensborn"-Heim zugebracht. In der Schule wird sie verspottet, weil sie nicht weiß, wie ihr Vater heißt. Doch Gisela Heidenreich erkämpft sich ihre Vergangenheit, beginnt ihre Geschichte und die der Eltern zu ergründen und aufzuarbeiten.

Von: Gisela Heidenreich

Stand: 03.04.2015 | Archiv

Erst ist die Mutter des kleinen Mädchens die Tante und die Tante die Mutter, dann ist plötzlich die Mutter die Tante und deren beiden Söhne sind keine Brüder mehr, sondern Vettern. Und der Vater des Mädchens ist angeblich in Russland vermisst. Kein guter Start ins Leben! Doch nicht genug: Als sich die leibliche Mutter endlich zu dem Mädchen bekennt, verleugnet sie es auch schon wieder als Kind der Schwester. Welche Erklärung kann es für ein Kind geben, wenn die Mutter nicht stolz sagt: "Das ist meine kleine Tochter"? Heißt das nicht, es gibt keinen Grund, auf die Tochter stolz zu sein? Das kleine Mädchen kann nicht wissen, dass es für seine Mutter in Bad Tölz eine Schande ist, ein uneheliches Kind zu haben.

Nach außen blieb sie das norwegische Pflegekind der Tante

Bad Tölz

Gisela Heidenreich wurde von ihrer Mutter Emilie Edelmann nach Bad Tölz gebracht, an den Ort, an dem alles angefangen hatte: Ihre Mutter hatte dort als Sekretärin des Kommandanten der Funker­ausbildung, SS-Standartenführer Ernst Kemper, gearbeitet. Ihre ältere Schwester lebte mit ihrer Familie und der Großmutter in einem eigenen Haus in Bad Tölz. Bei dem schweren Luftangriff auf München im Oktober 1943 war das Gebäude an der Hermann-Lingg-Straße, in dem Familie Edelmann gewohnt hatte, zerstört worden.

Emilie Edelmann hatte ihrer Familie gegenüber ihre Schwangerschaft verheimlicht und behauptet, dass die Versetzung nach Oslo aus rein dienstlichen Gründen erfolgt sei. Ob und wann sie die Schwester informierte, dass sie auf eigenen Wunsch versetzt worden war, um in aller Heimlichkeit zu entbinden, bleibt ein Geheimnis - in der Familie wurde nie darüber gesprochen.

Den beiden Söhnen der Schwester wurde jedenfalls erklärt, die Tante habe aus Oslo ein "norwegisches Waisenkind" mitgebracht und das würde jetzt wie ein "Schwesterl" bei ihnen aufwachsen. Irgendwann war die wahre Identität des kleinen Mädchens wohl innerhalb der Familie kein Geheimnis mehr. Nach außen blieb das Kind das norwegische Pflegekind der Tante.

"Lebensborn e.V." zur "Aufnordung des deutschen Blutes"

Gisela Heidenreich als Kind mit ihrer Mutter

Gisela Heidenreich kam 1943 in Oslo zur Welt. Auf die Frage, warum sie nicht in Deutschland geboren sei, bekam sie von ihrer Mutter nur die lapidare Antwort: "Damals war Norwegen deutsch, und ich hatte dort dienstlich zu tun". Emilie Edelmann arbeitete in Norwegen bei der SS-Organisation "Lebensborn e.V." zur "Aufnordung des deutschen Blutes" – als kleine Sachbearbeiterin, wie sie behauptete. Ihre wahre Rolle im "Lebensborn" und im Naziregime hat sie versucht zu verschweigen, auch den Vater ihrer unehelichen Tochter, den SS-Standartenführer Ernst Kemper, und die große Liebe ihres Lebens, den NS-Diplomaten Horst Wagner, für Gisela Heidenreich lange ein geheimnisvoller Fremder, dessen schwarze Mappe ihre Schulmappe war.

Übersicht zur dreiteiligen Sendereihe "Die schwarze Mappe":

BAYERN 2 – AM KARFREITAG
Freitag, 3.4.2015, 18.05 – 19.00 Uhr
Die schwarze Mappe (1)

Das Kind, die Zeugin und der Täter
Das norwegische Waisenkind
Von Gisela Heidenreich

BAYERN 2 – AN OSTERN
Sonntag, 5.4.2015, 18.05 – 19.00 Uhr
Die schwarze Mappe (2)

Das Kind, die Zeugin und der Täter
Zeugin in Nürnberg 1947/48
Von Gisela Heidenreich

BAYERN 2 – AN OSTERN
Montag, 6.4.2015, 18.05 – 19.00 Uhr
Die schwarze Mappe (3)

Das Kind, die Zeugin und der Täter
Der Diplomat als Täter
Von Gisela Heidenreich

Buchtipps:

Gisela Heidenreich


  • Das endlose Jahr: Die langsame Entdeckung der eigenen Biographie - ein Lebensborn-Schicksal
  • Autorin: Gisela Heidenreich
  • Taschenbuch: 320 Seiten
  • Verlag: Fischer Taschenbuch Verlag
  • Auflage: 3 (11. November 2010)
  • ISBN-10: 3596160286
  • ISBN-13: 978-3596160280


  • Sieben Jahre Ewigkeit: Das geheime Leben meiner Mutter
  • Autorin: Gisela Heidenreich
  • Taschenbuch: 432 Seiten
  • Verlag: Knaur TB (1. Juli 2009)
  • ISBN-10: 3426779714
  • ISBN-13: 978-3426779712


  • Geliebter Täter: Ein Diplomat im Dienst der "Endlösung"
  • Autorin: Gisela Heidenreich
  • Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
  • Verlag: Droemer (2. November 2011)
  • ISBN-10: 3426274329
  • ISBN-13: 978-3426274323

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