Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton


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Rainer Werner Fassbinder Der Anführer

Es gibt Leithammel - und - es gibt Leitwölfe. Rainer Werner Fassbinder war ein Leitwolf. Über 40 Filme hat er gedreht. Sein früher Drogentod am 10. Juni 1982 war ein schwerer Verlust für das deutsche Autorenkino. - Thomas Kernert, selbst eher ein Omega-Tierchen, hat sich diesen großen, kleinen bayerischen Anführertyp etwas genauer angesehen ...

Von: Thomas Kernert

Stand: 16.08.2014 | Archiv

Rainer Werner Fassbinder | Bild: picture-alliance/dpa

"Ich möchte ein Haus mit meinen Filmen bauen. Einige sind der Keller, andere sind die Wände, und wieder andere sind die Fenster. Ich hoffe, dass es am Ende ein Haus sein wird."

(R. W. Fassbinder)

Innovativ, exzessiv, aggressiv

Rainer Werner Fassbinder und Hanna Schygulla

Kurt Raab, ein langjähriger Fassbinder-Vertrauter, nannte seinen Herrn und Meister einmal einen "Leithammel". Aber das war aus der Position des Mitläufers heraus gesagt. Für einen Hammel war Fassbinder viel zu produktiv, zu innovativ, zu exzessiv, zu aggressiv. Fassbinder war ein Wolf: Über vierzig Filme hat er gemacht, großes, internationales Kino und kleine, private Milieustudien, vielteilige Fernsehserien und einseitige Skandalstücke. Wenn der ehemals "Neue deutsche Film" jemals ein Gesicht besaß, dann nicht die intellektuellen Züge von Kluge oder Wenders, sondern Fassbinders "Tartarengesicht" (Hanna Schygulla). Die New York Times feierte ihn einst als den "faszinierendsten, begabtesten, fruchtbarsten und originellsten jungen Filmemacher in Westeuropa". Kein Wunder, dass sich das Autorenkino von Fassbinders frühem Drogentod 1982 bis heute nicht erholen konnte. Der Schock sitzt so tief, dass man seitdem fast nur noch Unterhaltungskomödien dreht.

"Sein Tod erscheint als hervorragende Regieleistung. Die Leiche vor dem nicht ausgeschalteten, rauschenden Fernsehgerät. Die um ihn verstreuten Notizen. Die Einsamkeit des Filmemachers. Der Tod um die Mitternachtsstunde. Die menschenleere Wohnung. Die unerklärliche, vielleicht unerklärt bleibende Todesursache ..."

. (Gerhard Zwerenz)

"Wirkung ist wichtig, weil wenn Sie keine Wirkung haben, Sie auch nichts erwirken können, um es mal so zu sagen. Also: Wenn man ein Ziel hat, z. B. die Gesellschaft zu verändern oder das Bewusstsein der Leute zu verändern, und Sie mit dem, was Sie machen, keine Wirkung haben, werden Sie auch Ihr Ziel betreffend keine Wirkung haben. Insofern ist Wirkung wichtig."

(R. W. Fassbinder)

Seine Jugend war eine kleine bayrische Nachkriegskatastrophe

Der letzte große Leitwolf des deutschen Kinos war freilich auch ein armes Würstel. Seine Jugend war eine kleine bayrische Nachkriegskatastrophe, aus seiner Pubertät hat er Zeit seines Lebens nicht herausgefunden. Der bedingungslos kreative Künstler war privat ein tyrannischer Kleinstadtbengel, der die Rolle des Bandenchefs bis zu seinem Tode mit Hingabe und Leidenschaft spielte. Für Fassbinder gab es nur zwei Alternativen: Man musste für ihn oder gegen ihn sein.

"Ich meine, alles, was man macht, das ist eine Zusammenstellung von Erfahrungen, die man gemacht hat. Natürlich sind auch die Erfahrungen, die ich als Kind, als Jugendlicher, in der Schule, im Elternhaus, wo auch immer gemacht habe, in den Filmen irgendwie drin. Auch wenn zum Beispiel in den Filmen, die ich gemacht habe, keine Kinder vorkommen, das heißt nicht, dass die Erfahrun­gen, die ich in der Kindheit gemacht habe, in den Filmen nicht drin sind. Vielleicht würde das jemand so interpretieren, dass es eine Kindheit gewesen ist, die man nicht als Kindheit im normalen Sinn sehen kann."

(R. W. Fassbinder)

Buchtipp

Der langsame Tod des Rainer Werner Fassbinder
Ein Bericht

  • Autor: Gerhard Zwerenz
  • Taschenbuch: 182 Seiten
  • Verlag: Schneekluth Verlag KG (1982)
  • ISBN-10: 3795108209
  • ISBN-13: 978-3795108205

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