Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton


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Die Landkommune Eine Reise in die Provinz

Die Idee, die Stadt mitsamt ihren Zwängen hinter sich zu lassen und sein Heil in der Flucht aufs Land zu suchen, ist so alt wie der Zivilisationsüberdruss und die Sehnsucht nach gelebter Utopie. Vor allem in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts fiel diese Idee bei den Anhängern alternativer Formen des Zusammenlebens auf fruchtbaren Boden. Joseph Berlinger ist tief in die Provinz gereist, um einige der letzten Landkommunen aufzuspüren - und die Veteranen einer gelebten Utopie zu befragen.

Von: Joseph Berlinger

Stand: 21.05.2016 | Archiv

Haupthaus der niederbayerischen Landkommune Schacha | Bild: Joseph Berlinger

Alle reden von den neuen Guerillagärtnern, die grünes Land und Leben in die Großstadtbrachen bringen. Aber was ist aus den Großstädtern geworden, die einst auf das Land gezogen sind, um dort neue Lebensformen auszuprobieren? Haben sich die bunten Einödhöfe mit ihren Regenbogen-Idealen alle aufgelöst in bürgerliches Wohlgefallen? Sind sie aufgekauft von hippen Börsenmaklern und zu Edelimmobilien schicksaniert? Oder haben sich die Kommunarden selbst erledigt? Zermürbt vom grauen Alltag und der Einsamkeit? Gescheitert am Traum vom gemeinsamen Eigentum und freier Liebe? Maßlos überfordert von Freiheit, Gleichheit, Selbstbestimmung? Verarmt durch dilettantisch-ahnungsloses Wirtschaften? Genervt von der Solardusche und der Komposttoilette?

Unbehelligt sein von allerlei verdorbenen Realien

Landkommune Schacha - Gottfried und Eva, 80 Jahre alt

Schon Thomas Morus hat "Utopia" auf einer Insel angesiedelt. Ideale lassen sich nur schwer inmitten einer schlechten Welt umsetzen und suchen die Abgeschiedenheit. Wollten sich nicht auch all die Landkommunen abschotten, schützen, isolieren? Von der Außenwelt, der Stadt, dem Kapital, der Industrie? Wurde das soziale Experiment also in einem Labor versucht? Sollte die ideale kleine Gesellschaft unbehelligt sein von allerlei verdorbenen Realien? War es diese Künstlichkeit, die ihr den Garaus gemacht hat? Eine Künstlichkeit, die zu einem naturverbundenen Wesen wie der Landkommune eh nicht passt? - Oder gibt es den gelungenen Entwurf eines anderen Lebens doch? Und all die poetisch-philosophischen Visionäre und weltfremden Traumtänzer haben das geschafft, worauf wir immer noch warten?

Eckart Brandau, Landkommune Ziegelhof:

Eckart Brandau vor seiner "Weltenschaukel"

  • Ich meine, dass eine Kommune immer dann nicht möglich ist, wenn Autorität da ist. Und umgekehrt auch nicht möglich ist, wenn keine Autorität da ist. Weil die Menschen nicht reif genug sind. Sie brauchen Führung. Die Menschen, die in die Kommune gehen, sehnen sich nach Erfüllung. Erkennen aber gar nicht, dass die Erfüllung nicht außen zu finden ist. Nicht über die andern. Sondern man muss begreifen, dass man eigenverantwortlich und allein ist.
  • Da war die Ideologie: es muss alles kommunistisch sein. Man kommt hin mit Hoffnungen, mit Erwartungen, und es folgen die Enttäuschungen. Wir waren nicht unbedingt Kommunisten: also gemeinschaftliches Eigentum, jeder gehört sozusagen sich selber, d.h. jedem, man macht die Dinge zusammen, auf bestimmte Sachen verzichtet man, und man hat ein Forum, wo man sich abends emotional darstellt …
  • Ich suchte das Gemeinschaftliche, wobei die Sexualität bei mir eine sehr wichtige Rolle spielte. Es gab nicht eine Frau, es gab oft Frauen. Jede war anders. Die eine strahlte hübsch, die andere war ernst. Die eine war ein künstlerischer Mensch, die andere war ein praktischer Mensch. Wir haben dann in der Gruppe diese Grenzen versucht aufzulösen. Sodass nicht Pärchen miteinander waren, sondern Menschen. Man konnte also durchaus sich mit verschiedenen Frauen auch sexuell wohlfühlen. D.h. es gab nicht dieses Abgegrenzte: "Du gehörst mir" oder sowas Ähnliches. Das hat mich fasziniert.

Pjotr, Landkommune Einberg:

Pjotr aus der Landkommune Einberg

  • Im Gründungsjahr 1973 waren in zwei Zimmern zehn Leute. Fünf da und fünf da zum Schlafen. Und das war eine sehr lustige Zeit. Weil wir da beim Einschlafen den „Herrn der Ringe“ mit verteilten Rollen gelesen haben.
  • Wir haben gelernt, Käse zu machen, wir haben gelernt,  Brot zu backen. Wir haben sogar Brot gebacken für München und haben es dort als Biobrot verkauft. Ich selber hab das Imkern gelernt und hab Honig gemacht und in München verkauft, in den Bioläden. Wir haben also versucht, irgendwie auf die Beine zu kommen.
  • Wir sind Dogmen-Gegner. Vor allem können wir nicht leiden, wenn man vergemeinschaftet wird. Also wir leben zusammen, aber die Ansichten hat jeder, wie er mag. Das Miteinander Auskommen, das ist für uns wichtig! Die gute Laune ist viel wichtiger als irgendwelche Inhalte.
  • Bei uns ist alles individualistisch.  Es gibt keine gemeinsamen Aktionen.  Was jeder macht, ist völlig seine eigene Sache. Komplett.
  • Die Krankheit beginnt damit, dass du irgendwann in deinem Leben meinst, du seist etwas Besonderes. Es ist eine Form der Arroganz, die die Wurzel des Übels ist. Das Ego ist fremdbestimmt, das Selbst ist selbstbestimmt. Das Selbst hat kein Dogma, das Ego schon. Und das Haupt- Dogma des Egos ist Kontrolle. Diese Fremdprägung und deine Gefallsucht - du willst ja den Ansprüchen deiner Eltern genügen und allen Ansprüchen - tja, das macht den Ärger. Da gibt es die Geschichte von dem texanischen General, der sagte: „Sollten wir jemals in einem Paradies leben, wo der Löwe neben dem Schaf schläft, so möchte ich bitte gerne der Löwe sein. Sollte das Schaf Anstalten zum Angriff machen, wäre ich gewappnet.“ Dies ist exakt das, was das Ego ausmacht. Das Ego ist immer in Defensive. Das Ego muss sich ständig verteidigen. Das Ego muss stetig die Kontrolle behalten, selbst wenn er schläft, muss es die Kontrolle behalten.

Eduard Parow, Landkommune Schacha:

Habermas-Schueler Eddi (Eduard Parow) aus der Landkommune Schacha

  • Wirklich Kommunen waren Barhof, Einberg, das ist auch die älteste, Gschöd, und wir, in Schacha. Das waren so die vier ersten frühen Kommunen hier in Niederbayern , und es waren auch Kommunen im wirklichen Sinn. Die anderen Sachen waren mehr Paare mit Kindern, die mit uns korrespondierten und uns besuchten.
  • Bis auf Einberg haben sich die Gruppen nicht gehalten. Die ursprünglichen kollektiven Ansätze, die wir da vor 30 Jahren hatten und die Gedanken, das hat sich verflüchtigt zugunsten Isolierung, Zweisamkeit, Familienleben und so weiter.

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