Bayern 2 - Bayerisches Feuilleton


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Herbert Selpin Chronik einer Denunziation

Herbert Selpin wurde Anfang 1942, während der Dreharbeiten zu seinem "Titanic"-Film, von seinem Freund und engsten Mitarbeiter Walter Zerlett wegen "wehrkraftzersetzender" Äußerungen denunziert. Nach wochenlangen Ermittlungen wurde er verhaftet, und am 1. August 1942 erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Nach Selpins Tod blieb lange umstritten, ob er Selbstmord begangen hatte oder von Gestapo-Schergen erwürgt worden war. Bis heute halten sich Zweifel.

Von: Friedemann Beyer

Stand: 02.08.2014 | Archiv

Misstrauen und Denunziation bestimmten den Alltag

Walter Zerlett-Olfenius

"Bitte die Plätze einzunehmen! Aufgerufen wird Aktenzeichen Mü.La. 588/46, Zerlett-Olfenius, Walter, geboren am 7.4.1897 in Wiesbaden, wohnhaft Großhesselohe bei München, Rosenstraße 8. - Genannter denunzierte den Regisseur Selpin, der von der Gestapo verhaftet wurde und sich angeblich in der Gefängniszelle erhängt haben soll ..."

Es war der 7. März 1947 im Sitzungssaal Nr. 178 des Münchener Justizpalastes. Zusammen getreten war die Spruchkammer München Land, um einen besonderen Fall der jüngsten deutschen Geschichte aufzuarbeiten. Hunderttausende solcher Spruchkammerverfahren waren auf Betreiben der alliierten Siegermächte in den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der NS-Diktatur in Deutschland angestrengt worden, um Nationalsozialisten aus dem öffentlichen Leben zu entfernen und demokratische Strukturen zu schaffen.

Doch der Untergang des Filmregisseurs Herbert Selpin sticht deshalb heraus, weil er so irreale Züge aufweist, dass kein Drehbuchautor sie besser erfinden könnte. Der Fall zeigt auch, wie sehr Misstrauen und Denunziation den Alltag unterm Hakenkreuz bestimmten - ob in Betrieben, Schulen oder in Familien. Oder zwischen Freunden.

Bildergalerie

Goebbels wünschte ein deutsche "Titanic"-Verfilmung

Der Untergang der "Titanic"

Im Frühjahr 1942 entsteht auf Geheiß von Propagandaminister Goebbels eine deutsche Verfilmung der Titanic-Katastrophe. Regisseur dieser Großproduktion mit antibritischer Tendenz ist der 39-jährige Herbert Selpin. Zwischen ihm und seinem engsten Mitarbeiter und Freund, dem  Autor Walter Zerlett-Olfenius, kommt es während der Dreharbeiten zum Zerwürfnis. Kurze Zeit später wird Selpin wegen "wehrkraftzersetzender Äußerungen" denunziert und muss sich deshalb bei staatlichen Stellen verantworten.  Während die Arbeiten an seinem Film weiter laufen, muss er monatelange Ermittlungen über sich ergehen lassen.  Aus einem privaten Streit ist ein politischer Skandal geworden, der höchste Stellen des NS-Regimes beschäftigt. Nach einer Vorladung zu Goebbels, bei der Selpin seine Äußerungen nicht widerruft, wird er verhaftet und am folgenden Tag, dem 1. August 1942 erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Titanic wird von Selpins Kollegen Werner Kingler fertig gestellt und kommt erst 1950 in die Kinos.

Bis heute gibt es Zweifel an Selpins angeblichem Selbstmord

Nach Selpins Tod blieb lange umstritten, ob er Selbstmord begangen hatte oder von Gestapo-Schergen erwürgt worden war.  Bis heute halten sich Zweifel. Ebenso wie über die Frage, ob Selpin von seinem Freund Walter Zerlett-Olfenius verraten worden war.  Licht ins Dunkel versuchte ein Spruchkammerverfahren zu bringen, dem sich im Frühjahr 1947 der Mitarbeiter Selpins in München stellen musste.

Die Atmosphäre einer bedrückenden Zeit 

Siebzig Jahre nach dem Ende Herbert Selpins rekapituliert Friedemann Beyer die Ereignisse und zeichnet ein  psychologisch wie politisch erhellendes Kapitel deutscher Zeitgeschichte.  Darin werden nicht nur menschliche Verhaltensweisen im Zeichen der NS-Diktatur beleuchtet, sondern auch die Atmosphäre einer bedrückenden Zeit.

Buchtipp: "Der Fall Selpin: Die Chronik einer Denunziation"

"Der Fall Selpin: Die Chronik einer Denunziation"

  • Autor: Friedemann Beyer
  • Verlag: Collection Rolf Heyne; Auflage: 1., Auflage (6. Oktober 2011)
  • ISBN-10: 3899105206
  • ISBN-13: 978-3899105209

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