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Vor 25 Jahren Bonn beschließt Umzug nach Berlin

Die Entscheidung war nicht einfach, aber folgenschwer. Vor 25 Jahren beschloss der Deutsche Bundestag den Umzug nach Berlin. Im Rückblick erscheint Einiges widersprüchlich, anderes selbstverständlich.

Von: Clemens Verenkotte

Stand: 20.06.2016

Umzug von Bonn nach Berlin | Bild: picture-alliance/dpa

Quer durch die Fraktionen verliefen die tiefen Gräben, quer durch die Parteien, quer durch die Bundesregierung: Kaum eine andere Debatte im Deutschen Bundestag wurde emotionaler, verbissener und mit so viel politischer Inbrunst geführt wie diejenige vom 20. Juni 1991. Schon Wochen und Monate vor der Abstimmung (im damaligen Bonner Wasserwerk) spaltete die Frage, von welchem Ort aus das wiedervereinigte Deutschland regiert werden sollte, die politischen Gemüter der Republik:

Politisches Selbstverständnis des Landes

Bundestags-Vizepräsidentin Anke Fuchs gibt am 05.07.1999 das Abfahrtszeichen für den ersten Containerzug mit parlamentarischem Umzugsgut.

Von Bonn aus, dem bewährten rheinischen Regierungssitz, das den Befürwortern als Garant der erfolgreichen Nachkriegs-Demokratie galt? Oder von Berlin aus, noch längt nicht zu einer gemeinsamen Metropole herangewachsen, der Stätte imperialer Großmachtträume, Hitlers verbrecherischer Nazi-Diktatur und der SED-Herrschaft? – Es ging bei der leidenschaftlich geführten und äußerst grundsätzlichen Debatte um nichts weniger als das politische Selbstverständnis des Landes nach der gerade wiedergewonnenen Einheit, um die Identität Deutschlands nach dem Mauerfall und dem 03. Oktober 1990.

Knappe Abstimmung

Der hauchdünne Abstimmungssieg der Berlin-Befürworter (337 Stimmen für Berlin, 320 Stimmen für Bonn) war Ausdruck dieses damaligen tiefen Zwiespalts über das künftige Schicksal Deutschlands, über die prägende Wirkung des Ortes, an dem Bundestag und Bundesrat, Bundesregierung und Bundespräsident als Vertreter des demokratischen wiedervereinigten Deutschlands die Geschicke des noch sehr befremdlich wirkenden größeren Landes bestimmen sollten.

"Kostspielige Widersprüchlichkeiten"

Der erste Korrespondent im neuen BR-Studio Berlin: Clemens Verenkotte

Damals, als erster Korrespondent im 1991 eröffneten BR-Studios Berlin, vertrat ich in Kommentaren vor und nach der historischen Abstimmung konsequent die Auffassung, dass die deutsche Einheit nur dann erfolgreich wiedererlangt werden könnte, wenn die Abgeordneten in Berlin sind – in unmittelbarer Nähe zu den gewaltigen Herausforderungen in den neuen Bundesländern  und  genau diese Probleme buchstäblich sehen und begreifen können. Im geordneten Bonn zu bleiben, sozusagen als Manifestation des westdeutschen Beharrungswillens, erschien mir politisch wie moralisch deplatziert zu sein. Der von der hartnäckigen Bonn-Lobby im Bundestag durchgesetzte "Kompromiss", einen Teil der Bundesministerien am Rhein zu lassen, gehört zu den kostspieligen Widersprüchlichkeiten der Bonn-Berlin Abstimmung vom 20. Juni 1991.

Politikbetrieb an der Spree

Der frühere SPD-Fraktionschef Peter Struck begleitet am 28.07.1999 eine Umzugskiste durch das Berliner Reichstagsgebäude.

Später, nach den ersten Jahren der Einheit und auch nach dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin (1998), stellte ich meine damalige Begründung für Berlin als Regierungssitz in Frage: Die gravierenden, äußerst teuren Fehler bei der Privatisierung der ehemaligen DDR-Wirtschaft, die mangelnde Ablösung der alten SED-Eliten durch deren reibungslosen Übergang zur umbenannten PDS (der heutigen "Die Linke"), die zwischenzeitlich großen sozialen Probleme in den strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands  – musste man dafür nach Berlin ziehen, bei gleichzeitig flacher Lernkurve des Politbetriebs an der Spree?  Meine Zweifel legten sich, mit jedem Jahr, in dem die Einheit Deutschlands und deren politisches Zentrum Berlin Normalität wurden.

Blick auf die Normalität

Ein Vierteljahrhundert ist vergangen. Der hitzige Streit über die Deutung des Regierungssitzes ist für die Jüngeren – Geschichte.  Es war Wolfgang Schäuble, der am 20. Juni 1991 mit seiner Rede den Verlauf der Debatte und Abstimmung im Bundestag maßgeblich beeinflusste. Zum Abschluss seiner Ansprache, erst wenige Monate nach dem folgenschweren Attentat für ihn, richtete er den Blick auf das, was uns heute normal erscheint:

"Es geht heute nicht um Bonn oder Berlin, sondern es geht um unser aller Zukunft, um unsere Zukunft in unserem vereinten Deutschland, das seine innere Einheit erst noch finden muss, und um unsere Zukunft in einem Europa, das seine Einheit verwirklichen muss, wenn es seiner Verantwortung für Frieden, Freiheit und soziale Gerechtigkeit gerecht werden will."

Wolfgang Schäuble

Damit hatte Schäuble recht.


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