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Flüchtlingsunterkünfte "Sehr schwierige Situation für Kinder"

Ein Drittel der Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, sind Kinder und Jugendliche. Viele von ihnen sind traumatisiert. Doch wirkliche Hilfe erfahren hier nur die Wenigsten. Tanja Zieger im Gespräch mit Barbara Küppers von "terre des hommes".

Von: Tanja Zieger

Stand: 20.06.2016

Flüchtlingskinder in einer Notunterkunft in Berlin-Johannisthal | Bild: Imago / Jürgen Heinrich

Viele Kinder und Jugendliche fliehen mit ihren Eltern oder Verwandten und kommen dann in der Regel hier in einer Unterkunft unter. Wie kindgerecht sind diese Unterkünfte?

Barbara Küppers: Wir haben hier keine einheitlichen Standards. Von Bundesland zu Bundesland und manchmal auch von Gemeinde zu Gemeinde ist das unterschiedlich. Jeder kann sich wohl vorstellen, dass eine sehr volle Massenunterkunft für Kinder extrem stressig ist - für Erwachsene auch, aber für Kinder ganz besonders -, weil sie keinen Platz zum Spielen haben. Was uns besondere Sorgen macht: Die Aufenthaltsdauer in diesen Massenunterkünften verlängert sich immer weiter. Durch den großen Stau bei Anträgen, aber auch durch die neue Trennung in "gute“ und "nicht so gute" Flüchtlinge. Leute, die keine Bleibeperspektive haben, werden dann länger in solchen Massenunterkünften und in Sonderlagern festgehalten und die Kinder mit ihnen. Die Kinder können da einfach nicht raus. Das erhöht den Stresspegel, und sie haben auch keine Möglichkeit zum Beispiel in die Schule zu gehen, wenn sie in solchen Unterkünften sind - und damit keine Möglichkeit, tatsächlich hier Fuß zu fassen und sich zu integrieren oder die Sprache zu lernen, sich zu orientieren oder auch Hilfe zu finden, wenn sie sie brauchen.

Eine Zeitlang war angedacht, dass man Frauen und Kinder auf der einen Seite und Männer auf der anderen Seite trennt, auch um Übergriffen vorzubeugen. Ist man da weitergekommen?

Barbara Küppers von terre des hommes.

Ja, das macht uns Sorgen, weil in diesen überfüllten Massenunterkünften natürlich auch Streit ausbricht, auch Gewalttätigkeit - übrigens auch vom Personal - gegenüber Kindern und erwachsenen Frauen. Da muss man im Einzelfall zusehen, dass man tatsächlich zum Beispiel einen Flur nur für Frauen und Kinder schafft, oder auch für Frauen, die alleine reisen. Da gibt es einen großen Bedarf. Es gibt erste Ansätze, Kindesschutzpolitik in solchen Unterkünften wirklich zu verankern, da müssen aber noch sehr viele Schritte getan werden.

Indem man zum Beispiel Regelungen schriftlich fixiert?

Indem das Personal zum Beispiel darauf achtet und sensibilisiert ist für solche Vorfälle. Und dass die Leute in der Unterkunft wissen, an wen sie sich wenden können, wenn sie Angst vor anderen haben. Dass Leute in der Lage sind, Streitigkeiten zu deeskalieren. Für Kinder ist natürlich auch ganz wichtig, dass es irgendwo einen Raum gibt oder draußen vielleicht einen Platz, wo sie mal spielen und toben können. Denn eine hohe Zahl der Flüchtlingskinder, die zu uns kommen, sind wirklich schwer traumatisiert. Die TU München hat Ende letzten Jahres eine Umfrage gemacht und herausgefunden, dass ungefähr 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen traumatisiert sind. Das heißt, sie brauchen tatsächlich psychologische Hilfe. Wenn sie in so einem fragilen Gemütszustand sind, dann ist so eine Massenunterkunft natürlich überhaupt nicht das Richtige für sie.

Bekommen traumatisierte Flüchtlingskinder eine Therapie?

Theoretisch ja. In der Realität ist das aber sehr, sehr schwierig. Die Kinder haben zwar ein Recht auf eine Therapie, aber irgendjemand muss zunächst feststellen, dass ein Kind traumatisiert ist. Eine solche Ausbildung oder eine solche Sensibilisierung haben die allerwenigsten Mitarbeitenden in den Erstaufnahmelagern. Wenn man so etwas feststellt, ist es oft ein sehr, sehr langwieriger Weg, bis eine solche Therapie genehmigt wird. Das dauert Wochen oder Monate, wenn nicht sogar noch länger. Außerdem ist die Warteliste im Moment sehr, sehr lang. Die Fachkräfte, die Traumatherapie beherrschen und auch entsprechende Sprachvermittler an ihrer Seite haben, sind im Moment gnadenlos überlaufen. Das ist eine sehr schwierige Situation für Kinder in solchen Stresssituationen.

Viele Jugendliche nehmen die Flucht alleine auf sich und kommen ohne Eltern oder Verwandte hierher. Um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kümmern sich die Jugendämter. Wie gut klappt das?

Da kann man keine generelle Aussage treffen. Wir haben im Moment mehr als 60.000 unbegleitete Minderjährige in Deutschland, deren Situation durch diverse Gesetzesänderungen in Asylpaketen nur zum Teil verbessert worden ist. Es gibt einen sehr hohen Bedarf an Vormündern für diese unbegleiteten Minderjährigen – wenn sich also jemand überlegt, er möchte in irgendeiner Weise unterstützen, dann wäre das eine sehr gute Möglichkeit, Vormund zu werden. Informationen dazu gibt es beim jeweiligen Jugendamt.
Grundsätzlich werden sie in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht, und das ist im Moment ein großes Problem: Die Mädchen und Jungen, die unbegleitet kommen, werden verteilt. Manche von ihnen kommen in Gegenden, in denen es überhaupt keine Angebote für Jugendliche gibt, beispielsweise auf dem Land. Da fährt kein Bus, es gibt keine Möglichkeit, in eine Ausbildung zu kommen oder zu einer Berufsschule.


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