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Im Land der Angst Ein Besuch in der Türkei

Rund 60 000 Staatsbeamte wurden entlassen: Lehrer, Professoren, Juristen, Militär- und Polizeiangehörige. Über 13 000 Verdächtige sitzen in Gefängnissen, oft unter menschenunwürdigen Bedingungen. In der Türkei geht die Angst um.

Stand: 11.08.2016

Sicherheitskräfte auf den Straßen von Ankara | Bild: Bayerischer Rundfunk

Die Psychologin Corinna Stern, die eigentlich anders heißt, hat zehn Jahre in der Türkei verbracht, arbeitete dort für die Menschenrechtsstiftung, betreute Folteropfer. Derzeit lebt sie in der Schweiz. Nach dem Putschversuch machte sie sich Sorgen um ihre Bekannten in der Türkei und flog kurzentschlossen für einige Tage an die türkische Ägäis, um ihre Freunde und ehemaligen Kollegen zu treffen.

"Die Stimmung ist bedrückt , die Leute sind allgemein sehr ängstlich, man weiß nicht recht, wie es werden soll, es ist sehr viel Unsicherheit da."

Corinna Stern

Die Menschen verlassen selten ihre Häuser, meiden bestimmte Plätze, oft auch den öffentlichen Nahverkehr, erzählt die 52-Jährige. Denn in Bussen hängen seit einiger Zeit Plakate, die offen zur Denunziation auffordern. So sollen Menschen entlarvt werden, die angeblich terroristische Aktivitäten in sozialen Netzwerken unterstützen.

Schere im Kopf

Viele löschen deshalb ihre Facebook-Posts und schließen ihre privaten WhatsApp-Gruppen. Oder sie haben ständig die berühmte Schere im Kopf und posten nur noch Katzen- oder Landschaftsfotos in den sozialen Medien. Was terroristische Aktivitäten sind, werde von der Regierung sehr umfassend ausgelegt, meinen die Menschen, mit denen Corinna Stern in der Türkei sprach. Treffen könne es im Prinzip jeden zu jeder Zeit. Oft genüge es schon, sich zu weigern eine türkische Fahne am Auto anzubringen, um beispielsweise von aufgeheizten Erdogan-Anhängern zum Feind erklärt zu werden. Der Druck richte sich zunehmend auch gegen moderne Frauen, die nicht in das Bild der AKP, der Gerechtigkeitspartei Präsident Erdogans passen, sagt sie. Und zwar nicht unbedingt von Seites des Staates, sondern vielmehr durch aufgehetzte Bürger und politische Gruppen.

"Man hört immer wieder, dass das passiert, dass eben Frauen, die alleine heimgehen oder Auto fahren, angehalten wurden. Eine Bekannte meiner Freundin ist nachts aus dem Auto gezerrt und verprügelt worden"

Corinna Stern

Fethullah Gülen

Zu tätlichen Angriffen sei es auch gegenüber Jugendlichen gekommen, die ein Glas Bier in der Kneipe getrunken hätten, berichtet die Psychologin. Protest gegen die Repressionen gebe es keinen. Zu groß sei die Angst in einem Schwarz-Weiß-Klima, das nur zwischen Freund oder Feind unterscheide. Große Sorgen macht sich die Schweizerin auch um Freunde, die Kinder im Schul-oder Studienalter haben.

"Es wurden einige Schulen geschlossen, Universitäten, so dass Tausende von Studenten jetzt plötzlich keine Studienplätze mehr haben. Wir sind mitten in den Sommerferien, man weiß es jetzt nicht, wie es weitergehen soll."

Corinna Stern

Manche denken darüber nach, das Land zu verlassen. Doch vielen sei das nicht möglich, sagt Corinna Stern. Denn Staatsbeamte in der Türkei sowie einige Wissenschaftler und Künstler besitzen den sogenannten "Grünen Pass".

"Dieser Grüne Pass erlaubt auszureisen ohne einen Visumsantrag stellen zu müssen, normalerweise, aber zur Zeit ist den grünen Passträgern jegliche Ausreise aus der Türkei gesperrt, also die können jetzt alle nicht raus ohne Spezialbewilligung."

Corinna Stern

Wie es weitergehen wird in der Türkei ? Das weiß niemand.

"Im Moment sagt man, es geht gegen Fethullah Gülen, das wird auch ganz groß ausgeschlachtet in den Medien, da sind sich ja auch alle politischen Parteien einig. Was dann der nächste Schritt sein wird, wie es weiter gehen wird mit den allgemeinen Systemgegnern, Linksorientieren, Menschenrechtlern usw., ist zur Zeit noch offen. Aber man kann schon befürchten, dass sich die Repression dann ausweiten wird."

Corinna Stern


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