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Interview // Startup Melt "Viele denken, wir sind bekloppt"

"Ski-Wachsen ist Schnee von gestern", sagen die Jungs von Melt. Warum sie glauben das könnte die Skibranche revolutionieren und warum man nicht so viel Angst vor Fehlern haben darf, haben sie uns im Interview verraten.

Von: Katharina Kestler

Stand: 08.10.2015 | Archiv

Melt Ski | Bild: Melt

PULS Playground: Warum muss man eure Ski nicht wachsen?

Florian Lehmann: Durchs Wachsen will man den Ski zum einen an verschiedene Bedingungen anpassen. Unser Belag ist aus thermoplastischem Material, das sich selbst der Schneetemperatur anpasst. Der andere Grund ist, dass der Belag nicht wie ein herkömmlicher Belag spröde wird mit der Zeit. Man muss sich Ski wachsen vorstellen wie Eincremen: Wenn ich meine Haut nicht eincreme, wird sie spröde. Das galt bisher auch für Skibelag. Unser Belag wird nicht spröde. Trotzdem könnte man auch ihn, wenn man unbedingt will, durchs Wachsen in der Performance nach oben drücken – aber der normale Skifahrer braucht das eigentlich nicht.   

Klingt super. Warum seid ihr bislang die Einzigen, die den Belag verwenden?

Florian: Vielleicht weil sich auch große, alteingesessene Firmen manchmal nicht so schnell an neue Sachen herantrauen. Es gibt eingefahrene Strukturen in der Skibranche. Wir waren die Ersten, die getestet und gesagt haben: „Wahnsinn, das ist nicht nur ein Gerede von einem Ingenieur, sondern es funktioniert! Dann machen wir das halt wenn kein anderer will.“

Bene Mayr: Große Skifirmen werden oft vom Handel mitbestimmt. Für den Handel ist der Skiservice ein großes Thema, damit generiert der Handel viel Umsatz. Unseren Ski muss man nicht mehr zum Service bringen. Wenn eine große Skifirma diesen Belag hätte, würde der Handel vielleicht sagen: Den Ski nehmen wir nicht ins Sortiment auf, weil wir dann am Service nichts verdienen können. Deswegen vertreiben wir unsere Ski im Internet auch direkt an den Endverbraucher.

Florian: Wir hoffen allerdings, dass irgendwann die Skibranche aufspringt, weil der Belag recyclingfähig ist. Auch ist er deutlich nachhaltiger und umweltschonender in seiner Herstellung. Es wäre schön, wenn da ein komplettes Umdenken stattfindet. 

Wie habt ihr euch getroffen – wie kam es dazu, dass ihr zu dritt eine Skifirma gegründet habt?

Florian: Ich habe früher für einen Helmkamerahersteller gearbeitet, der verschiedene Skiprojekte gesponsort hat, unter anderem das Nine Knights. Da ist Bene mitgefahren. Während des Events habe ich auch zum ersten Mal von dem Belag gehört, fand ich das Thema unglaublich interessant und habe es immer im Hinterkopf behalten. Als ich dann irgendwann das Gefühl hatte, dass ich mein eigenes Ding machen muss, habe ich den Hörer in die Hand genommen, Bene angerufen und ihm erzählt, was ich vorhabe. Bene hat gesagt: Geile Idee, dann haben wir uns hingesetzt, überlegt wie wir das hinkriegen können und haben uns die andere Leute zusammengesucht.

Wie lange hat es gedauert von der Idee bis zur Realisierung?

Florian: Wir waren relativ schnell. Wir haben knapp ein Jahr gebraucht dazu. Viele werden sich denken: bisschen Homepage machen, Ski zusammen nageln und los geht’s. So eine Skientwicklung dauert aber eigentlich relativ lang. Wir haben ganz schön aufs Gas gedrückt und uns ganz schön gequält. Man sollte auf jeden Fall für jedes Projekt, das man startet, ein bisschen mehr Zeit einkalkulieren – weil es kommen hundert Stolpersteine auf dem Weg.

Was waren die größten Hürden?

Florian Lehmann hatte die Idee für Melt.

Florian: Natürlich die Bürokratie. Wir haben das Unternehmen als eine GmbH gegründet, das ist schon etwas komplizierter. Das andere ist natürlich die Finanzierung. Wir sind ja kein Unternehmen, dass sich über Kickstarter finanziert hat oder die gesagt haben, wir machen jetzt mal zehn Ski und verkaufen die und wenn wir daraus das Geld haben, machen wir die nächsten. Das funktioniert nicht. Man muss eine gewisse Menge an Ski produzieren lassen in so einer Firma, um das überhaupt machen zu können. Das heißt man braucht Geld, bevor man was verkauft hat. Das hatte keiner auf dem Sparbuch liegen, wir haben alle nicht reich geerbt. Mit so einer verrückten Idee auf Investorensuche gehen ist auch keine gute Idee, also blieb nur der Gang zur Bank. Dann muss man die Bank überzeugen: „Ich hätte gerne Geld, um in einem Markt was aufzuziehen und übrigens, der Markt in den wir reingehen, ist eigentlich kaputt!“ Aber wir hatten viel Glück mit einer Bank, da saß eine Sachbearbeiterin, die Feuer und Flamme für das Projekt war. Ich glaube viele Projekte scheitern daran, dass der Finanzbedarf unterschätzt wird. Für jeden normalen Menschen sind 40 000 Euro viel Geld, aber wenn ich damit ein Unternehmen gründen will, ist das nichts, das ist sofort weg. Also muss man mit deutlich höheren Summen rechnen und welche Bank gibt einem die gerne, wenn man nichts an Sicherheiten dagegen legen kann, sondern nur eine gute Idee hat oder meint eine gute Idee zu haben.

Ihr sagt es: der Markt ist kaputt, der Skiindustrie geht’s ja nicht gerade blendend – warum eigentlich?

Bene: Da gibt’s viele Gründe: Die Leute sparen mehr, fahren nicht so viel in den Urlaub und die letzten Winter waren nicht so prickelnd. Außerdem ist das Leihgeschäft in den Skigebieten ist groß. Die Leute kaufen sich keine komplette Ausrüstung mehr und fahren dann drei Jahre lang denselben Ski. Sie leihen sich die Ski lieber aus und haben dann jedes Jahr neue, aktuelle und perfekte Ski. Aber ich glaube, dass kann sich schnell ändern, wenn ein guter Winter kommt. Es war schon immer so, dass es in der Skiindustrie auf und ab ging. Es ist einfach ein wetterbedingter Sport – und wenn das Wetter stimmt, dann stimmen am Ende des Jahres auch die Zahlen.

Florian, hast du noch einen sicheren Brot-Job, der die Miete zahlt?

Florian: Nein, habe ich nicht. Als ich mich dafür entschieden habe, war für mich klar: Wenn du das machst, musst du es richtig machen. Wir müssen alle mit Herzblut reingehen. Ich wusste, wenn wir den Leuten gute Ski anbieten wollen, müssen wir uns alle voll reinknien. Deswegen habe ich gekündigt, obwohl ich zwei Kinder und eine Frau habe. Die Sache ist schon riskant, aber auf der anderen Seite haben wir nur dieses eine Leben. Hunter S. Thompson hat den Spruch geprägt, dass es nicht darum geht irgendwann möglichst unverletzt im Grab anzukommen mit einem heilen Körper, sondern dass wir möglichst ausgewrungen sein müssen in dem Moment und schreien müssen: Juhu, das war ein geiler Ritt. Ich glaube, das sollte man zumindest einmal probiert haben und wenn es schief geht, fängt man halt wieder von vorne an.

Wie waren die Reaktionen darauf, dass ihr euch in einer schwierigen Branche selbstständig macht?

Mit an Bord bei Melt: Deutschlands bekanntester Freeskier Bene Mayr.

Bene: Ich glaube, dass viele denken, dass wir bekloppt sind. Ich hätte auch zu einer großen Skifirma gehen können und dort einen Vertrag unterschreiben. Aber die Idee ist so verrückt, in einer Zeit, in der es einer Industrie schlecht geht, dort einzusteigen und zu sagen, ich mach was neues, ich mach eine eigene Firma – dass es einfach funktionieren muss. Wir sind eine kleine Firma, wir müssen nicht 50.000 Paar Ski verkaufen, dass es uns gut geht. Das ist unser Vorteil.

Florian: Mich hat jeder angeschaut und gesagt: Bist du verrückt. Ich war in der Mountainbike-Branche tätig, die unglaublich stark wächst. Ich bin aus einem sicheren Job im am stärksten wachsenden Actionsport rausgegangen, um mich in einem Bereich selbstständig zu machen, der sehr harte Jahre durchlebt hat. Aber genau das ist es, gerade wenn so eine Branche am Boden liegt, ist es vielleicht Zeit für was Neues. Vielleicht sind wir der kleine Funke, der das Ganze wieder anschiebt – vielleicht auch nicht.

Gab’s einen Moment, in dem ihr alles hinschmeißen wolltet?

Florian: Nö, komischerweise nicht. Ich habe darauf gewartet, weil es finanziell riskant ist, was wir machen. Und es gab Nächte, in denen ich wach lag. In denen der Kopf das Arbeiten anfängt: Mist, haben wir das bedacht, wie können wir das auflösen, wie können wir das machen? Aber wenn man sich einmal dafür entschieden hat und mit der vollen Leidenschaft dabei ist, dann denkt man nicht: Scheiße, das lass ich bleiben, sondern: Wo ist die Lösung für das Problem, das ich gerade habe?

Wie habt ihr eure Ski entwickelt?  

Florian: Wir haben uns gemeinsam mit einem erfahrenen Skikonstrukteur Formen herausgesucht, von denen wir wussten sie funktionieren. Aber der Hauptteil der Entwicklung von einem Ski ist nicht die Taillierung, sondern die Abstimmung des Skis: Wie weich, wie hart soll er an welchen Stellen sein, soll er Rocker oder Camber sein. Wir haben also jede Menge Ski produziert, sie Bene nach Alaska mitgegeben und sind mit ihnen auf den Gletscher gefahren bis in den Sommer rein. Und als wir überzeugt waren, dass der Ski so funktioniert und den Kunden überzeugt, haben wir in der Fabrik angerufen und gesagt: Wir wissen jetzt was wir haben wollen. Am Ende haben sie gesagt, dass wir wahnsinnig schnell waren. Wir haben vier Modelle innerhalb eines Jahres entwickelt, das schafft sonst wohl keine Firma. Trotzdem war es knapp, dass wir rechtzeitig zur Saison fertig wurden.

Habt ihr einen Tipp für Leute, die auch schon lange eine Idee mit sich herumtragen?

Florian: Auch wenn es der Aufruf zum Leichtsinn ist, sollte man seiner Leidenschaft folgen und aufhören, nur darauf zu schauen, ob man morgen genug Geld hat. Ich kann es nur allen empfehlen. Auch wenn‘s doof klingt: Wir leben glücklicherweise in einem Land, wo es uns relativ gut geht. Wo es gewisse soziale Fangnetze gibt, wenn mal was schief geht. Man muss bereit sein, Fehler zu machen. 


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