Totale Kontrolle China testet soziales Punktesystem

Pluspunkte, wenn du deine Eltern regelmäßig besuchst. Minuspunkte, wenn du deinen Müll falsch entsorgst. Was nach der Science-Fiction-Serie „Black Mirror“ klingt, wird in China real. Wer zu wenig Punkte hat, steigt sozial ab.

Von: Melanie Böff

Stand: 22.05.2017 | Archiv

ein sozial Geächteter steht neben einem sozialen Aufsteiger, der viele Pluspunkte gesammelt hat | Bild: BR

Lacie will umziehen, rein in eine schicke Wohnung im Szeneviertel der Stadt. Um sich das leisten zu können, muss sie aber ihr persönliches Ranking verbessern. Im Moment ist sie noch eine 4,2 – für die Wohnung muss sie eine 4,5 werden. Ihr Kampf um den sozialen Aufstieg beginnt.

So geht die dritte Staffel der Serie „Black Mirror“ los. In der Welt von Lacie bewerten sich die Menschen permanent gegenseitig und behandeln sich dementsprechend. Sie heucheln Freundlichkeit vor, um in der Gunst anderer und damit in der eigenen Bewertung zu steigen.

Alles wird gläsern

Eine gruselige Zukunftsvorstellung! In China soll das aber real werden. Bis 2020 soll dort flächendeckend ein sogenanntes „soziales Kreditsystem“ eingeführt werden. Quasi wie die Schufa in Deutschland, allerdings für jeden Lebensbereich. Tausende von Daten werden von jedem Bürger erfasst, systematisch ein- und zugeordnet – bis das Verhalten komplett gläsern ist. Eine völlig neue Form der sozialen Kontrolle.

Jeder Bürger, jede Bürgerin startet mit 1000 Punkten auf dem Konto. Wer sich gut verhält, wird belohnt. Blut gespendet? Pluspunkte. Kindern Nachhilfe gegeben? Pluspunkte. Je mehr Punkte, desto „vertrauensvoller“ und „besser“ der Mensch. So zumindest der Gedanke hinter diesem System. Viele Punkte heißt, mehr Privilegien. Man kommt einfacher an Kredite oder Rabatte und auf dem Amt kommt man schneller an die Reihe.

Wie soll das kontrolliert werden?

Wer sich dagegen nicht „ehrlich“ verhält, wird bestraft. Schwarzgefahren? Punktabzug. Die Eltern nicht regelmäßig im Altersheim besucht? Punktabzug. Unklar ist, wie das bei der Masse genau kontrolliert werden soll – unklar ist auch, wie anfällig das System für korrupte Strukturen ist. Im schlimmsten Fall landet man auf einer schwarzen Liste – und wird lückenlos vom System beobachtet. Besonders stark trifft das Lehrer, Journalisten, Anwälte und Aktivisten. Wer sich in sozialen Medien kritisch gegenüber der Partei äußert oder Petitionen gegen ihre Politik stellt, bekommt Minuspunkte.

Zu wenig auf dem Sozialkonto bedeutet: Man bekommt nur noch schwer Kredite oder eine Versicherung. Seine Kinder darf man nicht mehr auf gute Schulen schicken, ins Flugzeug oder den Schnellzug darf man auch nicht mehr steigen. Der soziale Abstieg vorprogrammiert.

Hin zur IT-Diktatur

In mehr als 30 Regionen des Landes wird das System getestet, dort wird schon belohnt und sanktioniert. Die Begründung: Die chinesische Regierung findet, das Vertrauen zwischen Bürgern, Unternehmen und dem Staat müsse wiederhergestellt werden. Schaffen soll das ein System, das 1,4 Milliarden Menschen in China der totalen Überwachung unterwirft.

Damit bewegt sich China auf dem Weg hin zur IT-Diktatur. Hin zu einem Miteinander unterjocht von einer Punkteskala. Sätze wie – „Nein, dafür müssten Sie eine 4,2 oder höher sein“ – werden dann vielleicht auch außerhalb der Serie „Black Mirror“ fallen.

Sendung: Filter, 23.05.2017 - ab 15 Uhr