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Rechte Kameradschaften in Bayern Jung, aktiv, aggressiv

Gewaltbereite Neonazis werben neuerdings gezielt junge Leute an. Die Strategie ihrer "braunen Jugendarbeit" wird immer perfider. Wer vermutet hinter Flyern mit der Aufschrift "Gegen Genmais" schon braunes Gedankengut?

Von: Matthias Dachtler

Stand: 23.11.2011 | Archiv

Zwei Rechtsextreme der "Kameradschaft Heimatland" nehmen am in Nürnberg an einem NPD-Aufmarsch teil. | Bild:  Daniel Karmann/picture-alliance/dpa

Sieglinde W. hat versucht, mit den sechs Schülern zu reden. Erfolglos. Die Zehntklässler haben ihre ausländischen Mitschüler weiter gemobbt, bedroht und geschlagen. Als die Sozialkundelehrerin keinen Ausweg mehr sieht, geht sie zum Verfassungsschutz und zeigt ihre Schüler an. "Die Beamten waren nicht gerade überrascht", erinnert sie sich, "alle sechs Namen standen in ihrer Neonazi-Kartei". Für Sieglinde W. sind Rechtsradikale Alltag. Sie unterrichtet sie jeden Tag an einer Schule im Landkreis Hof.

Das Freie Netz Süd

Dass an oberfränkischen Schulen in den letzten Jahren immer mehr Rechtsradikale auffallen, ist kein Zufall. Dahinter steckt der lange Arm des sogenannten "Freien Netz Süd". Das ist ein Netzwerk rund 20 rechter Neonazi-Kameradschaften, gegründet 2008 von enttäuschten NPD-Anhängern, denen die Partei zu lasch geworden war. Seitdem haben sich die Machtverhältnisse innerhalb der Szene verschoben.

Heute ist nicht mehr die NPD, sondern das "Freie Netz Süd" der aktive, gewaltbereite und gefährliche Kern des Rechts- extremismus in Bayern, sagt der Verfassungsschutz. Die Staats- schützer schätzen, dass das Netzwerk bis zu 350 Neonazis für Demos, Partys oder Konzerte mobilisieren kann. Der Held der Szene heißt Martin Wiese. Der Rechtsterrorist wurde 2005 wegen eines geplanten Anschlags auf das jüdische Zentrum in München verurteilt.

Nach fünf Jahren Gefängnis ist er jetzt wieder auf freiem Fuß, er wohnt in Geisenhausen bei Landshut. Als Kopf und Galionsfigur des "Freien Netz Süd" reist er durch ganz Bayern. Er hält Vorträge bei Kameradschaften, spricht im Hitler-Shirt auf dem "Nationalen Frankentag" in Roden-Ansbach und gründet die "Kameradschaft München-Nord". Auf der Webseite seiner neuen Kameradschaft schreibt der Mit-Dreißiger: "Wir sind die revolutionäre Jugend! Es ist Deine Heimat – Kämpfe für sie!"

Die neue Strategie der Rechten

Wiese und seine "Kameraden" sprechen gezielt junge Leute an. "Als sie erkannt haben, dass Jugendliche mit ausländerfeindlichen Parolen und martialischem Auftreten alleine nicht zu gewinnen sind, haben sie ihre Strategie geändert", sagt Miriam Heigl, die Leiterin der Fachstelle gegen Rechtsextremismus der Stadt München. Die Neonazis beginnen, braune Jugendarbeit zu machen. Sie organisieren Konzerte mit verbotenen Skinhead-Bands, bieten Wochenend-Ausflüge an und verteilen an Schulen Flyer mit harmlos anmutenden Botschaften wie "Gegen Genmais" oder "Bundeswehr raus aus Afghanistan". "Die Neonazis haben erkannt, dass sie die Jugendlichen erst mal für sich gewinnen müssen, ihre Botschaft können sie dann nachliefern", sagt Heigl.

Ein Gasthof als Nazi-Treff

Das Zentrum des "Freien Netz Süd" in Nordbayern ist das oberfränkische Dörfchen Oberprex. Der bekannte Neonazi Tony Gentsch hat im Frühjahr 2010 geschafft, was die NPD seit Jahren versucht: Er hat ein Haus als Nazi-Treff gekauft. Seitdem treffen sich im ehemaligen "Gasthof Egerländer" mehrmals im Monat Rechtsradikale aus ganz Süddeutschland zu Partys und sogenannten Kameradschaftsabenden.

Das Haus dient den Neonazis auch als brauner Jugendtreff. Sozialkundelehrerin Sieglinde W. erfährt von ihren Schülern, dass sie von den Rechten gezielt ins rund 20 Kilometer entfernte Oberprex eingeladen werden. "Die Neonazis haben an den Wochenenden sogar extra einen Fahr-Service für Minderjährige eingerichtet, weil Oberprex von Hof mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum zu erreichen ist", sagt sie.

In strukturschwachen Regionen wie Hof oder der Oberpfalz sind Neonazis mit ihrer Jugendarbeit besonders erfolgreich. "Wenn sich der Staat zurückzieht, stoßen die Rechten in ein Vakuum", sagt Miriam Heigl. Dann entsteht eine "rechtsextreme Alltagskultur" und die Nazis kommen genau dahin, wo sie hin wollen: "Zu einer Vormachtstellung von rechtsextremen Ideen im öffentlichen Raum. Und alle die sich dagegen stellen, werden potenziell bedroht und ausgeschlossen aus der Gesellschaft", sagt Heigl.

Also was tun?

Warum fallen immer mehr Jugendliche auf die Nazis herein? Können sie mit ihrer braunen Abenteuer-Pädagogik jeden unschuldigen Schüler verführen? Nein, sagt der Sozialwissenschaftler Alexander Häusler von der Arbeitsstelle Neonazismus der FH Düsseldorf: "Ein neonazistisches Weltbild ist die Voraussetzung. Der Großteil der Jugendlichen, die in rechte Gruppen rutschen, sind autoritätshörig und ausländerfeindlich."

Die Mär vom unschuldigen Jugendlichen, der verführt wird, hält Häusler für verharmlosend. "Wir haben hier demokratie- spezifische Defizite" sagt er. Das bestätigt auch eine neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Danach stimmt ein Viertel der Bevölkerung fremdenfeindlichen Aussagen zu, jeder Zehnte hält eine Diktatur für "die bessere Staatsform". Zumindest bei jungen Leuten könnte Aufklärung helfen, etwa an Schulen.

"Wir müssten mehr über Nazi-Symbole erfahren, um rechte Schüler überhaupt zu erkennen, wir müssten vor den Methoden der Neonazis warnen, uns mit anderen Schulen vernetzen, einen runden Tisch im Landkreis einrichten", sagt Sozialkundelehrerin Sieglinde W. Aber das passiert nicht. "Die meisten Lehrer schauen weg, ich stehe alleine da", sagt sie.

Dieses Problem sollen Menschen wie Miriam Heigl lösen. Sie organisiert in der Landeshauptstadt Rechtsextremismus-Weiterbildungen für Lehrer, vernetzt die Schulen, berät Hauseigentümer, wenn der Verkauf an Rechtsradikale droht, beobachtet die braune Jugendarbeit. Das Problem: "Ich kenne keine andere Kommune in Bayern, die sich meine Stelle leistet", sagt Heigl. Das könne am Geld liegen, aber auch an einem fehlenden Bekenntnis gegen Rechtsextremismus. "Rechtsradikales Gedankengut schlummert überall", sagt sie. Einfach wegzuschauen kann sich heute keine Kommune mehr leisten.

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