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Waakirchen am Tegernsee Das Kegelstüberl, die Flüchtlinge und der alltägliche Rassismus

21 Flüchtlinge leben zur Zeit in dem kleinen Ort Waakirchen am Tegernsee. Genauer: Sie sind in einer Massenunterkunft neben dem Kegelheim untergebracht. Deshalb bleiben jetzt die Kegler weg. Sie wollen ihr Klo nicht mit Afrikanern teilen. Aber der Ort wehrt sich gegen den Rassismus.

Von: Sammy Khamis

Stand: 20.05.2015 | Archiv

Rassismus in Waakirchen: Kegler wollen nicht neben Flüchtlingen kegeln | Bild: BR

Eigentlich ist alles Idylle: Die Berge, die Kühe und der Kirchturm in Zwiebelform. Waakirchen ist ein intaktes Dorf. Der Bäcker heißt Bäcker und nicht Backshop, die Heilpraktikerin nennt ihren Laden Margit, die Fußpflegerin heißt Helga und die Friseurin Elisabeth. So ist das Tegernseer Land. Zumindest auf Postkarten und in Werbebroschüren für Gewerbegebiete.

"Dass so etwas in Waakirchen passiert: einfach nur erschreckend", wundert sich der Pächter der Kegelbahn in Waakirchen, Stefan Heufelder. Es wundert sich aber nicht nur der Betreiber der Kegelbahn - ganz Oberbayern wundert sich über Waakirchen. Der Grund: Die Kegelfreunde im Tegernseer Tal wollen keine Kugeln mehr werfen - "wegen der Flüchtlinge nebenan", so Stefan Heufelder. Denn in die Postkartenidylle sind 21 Asylbewerber gezogen. Unter die Turnhalle, Wand an Wand mit den Kegelbahnen. "Mich rufen Leute an und fragen, ob sie die gleichen Toiletten benutzen müssen, wie die Afrikaner - das ist hysterisch und erschreckend rassistisch", kommentiert Heufelder und kann es nicht verstehen, dass ihm "seine Kegler" jetzt den Rücken zukehren. Um 25 bis 30 Prozent ist die Auslastung zurückgegangen, seit die Flüchtlinge nebenan wohnen.

"Alle lächeln und sagen: Hallo!"

Ende April sind die Flüchtlinge in Waakirchen untergekommen. 21 Männer teilen sich einen Raum mit Stockbetten. Einer davon ist Nazim aus Aleppo in Syrien. "Wir sind drei Syrer, vier Eritreer, acht Männer aus Mali und Somalia und noch sieben Senegalesen. Seit gestern haben wir einen Fernseher. Immerhin etwas." Nazim zieht seine Daunenjacke zu, macht sich eine Zigarette an und tritt vor die Tür. Er steht jetzt im Innenhof der Volksschule von Waakirchen. "Ich bin happy hier zu sein. Aber der Regen? Muss das sein?" Wenn es nicht gerade regnet, erzählt Nazim, kommen die Kids aus der Nachbarschaft zum Fußballspielen. Er geht dann auch aufs Feld, obwohl er schon 40 Jahre ist. "Bestes Fußballer-Alter" nennt er das.

Von den Keglern hat er nichts gehört? "Nein, was soll da sein? Wir haben hier nie etwas mitbekommen. Alle lächeln und sagen 'Hallo' zu uns. Die Leute hier sind nett zu uns." Nazim spricht Arabisch - bis ihm ein "Servus" herausplatzt. Es ist an zwei ältere Männer gerichtet, die gerade durch den Hof gehen. Herr Wagner und Herr Schmöller tragen beide Aktentaschen unter dem Arm und das Lächeln von zufriedenen Rentnern im Gesicht.

"Viele Leute engagieren sich"

Herr Schmöller und Herr Wagner waren beide Lehrer. Heute haben sie ihre erste Deutschstunde mit den Flüchtlingen. Herr Wagner sammelt vier Eritreer um sich. Er ist zufrieden. Die beiden Lehrer kennen den Streit um die Kegelbahn, um den Rassismus der Kegler. "Mit den Waakirchnern bin ich nicht zufrieden. Was mir zu Ohren kommt, das ist einfach abstoßend." Damit meint Herr Schmöller, der ehemalige Leiter der Volksschule in Waakirchen, nicht nur die Kegler. Auch zuvor gab es schon Widerstand gegen die Flüchtlingsunterkunft im Ort. "Was wir aber auch sagen müssen", wirft Herr Wagner ein, "ist, dass sich viele Leute hier engagieren. Wir haben zehn Deutschlehrer für zwanzig Schüler."

Die beiden Lehrer bezeichnen es als Glück, dass sich so viele Waakirchner für die Flüchtlinge einsetzen. Solche Sätze hört der Bürgermeister Sepp Hartl gerne. Hartl, Typ bayuwarischer Barock, wird von den Flüchtlingen "big boss" genannt. Auch das hört Hartl gerne. Immerhin sollen ihn die Flüchtlinge so sehen: Als Ermahner und als Helfer - harte Schale, weicher Kern. Eigenschaften, die nichts mit dunkler oder heller Haut zu tun haben, so der Bürgermeister. "Die Flüchtlinge haben zwar eine andere Hautfarbe, aber sind doch auch Menschen mit Herz und Seele. Und unsere 21 hier in Waakirchen haben ein besonders gutes Herz."

Mittlerweile toben ein paar Dutzend Schüler über den Pausenhof. Der Bereich der Flüchtlinge ist mit Zaun und Sichtschutz abgedeckt. Im Keller der Turnhalle hört man von den tobenden Kindern nichts. Erst recht nicht Ibrahim aus Mali. Er stemmt in einer ehemaligen Umkleidekabine Gewichte. Phil Collins dröhnt aus den Boxen. Direkt hinter Ibrahims Trainingsraum ist die Kegelbahn. Der Durchgang ist mit einer Holzplatte versperrt. Ob er von dem Rassismus der Kegler gehört habe? "Nein, alle hier in Waakirchen sind nett, sie grüßen, lachen, und wir spielen gemeinsam Fußball."

Der Bürgermeister von Waakirchen weiß Bescheid. Er nennt es abwechselnd Blödsinn und Krampf, was die Kegler vorbringen, um nicht in Kontakt mit den Asylbewerbern zu kommen (oder sich mit ihnen die Toiletten zu teilen). Aber da ist noch etwas anderes: Die Drohungen die er auf seinen Schreibtisch bekomme: "Da fordern mich Leute zum Rücktritt auf, weil ich die Asylbewerber ins Dorf lasse und nicht einfach rauswerfe. Das ist hart. Aber es kommen auch rassistische Briefe, die gehen zu weit. Das sind Morddrohungen gegen die Flüchtlinge." Hartl spricht nicht weiter. Zum einen ist es ihm unangenehm, dass sein kleiner Ort so viel Rassismus in sich trägt. Zum anderen waren die Drohungen gegen die Flüchtlinge so konkret, dass er die E-Mail an die Kriminalpolizei weitergeleitet hat. Die Ermittlungen laufen noch.

"Die Flüchtlinge können nichts dafür. Die brauchen Hilfe!"

In Deutschland brennen zur Zeit immer wieder Asylbewerberheime. Kann das in Waakirchen auch passieren? Selbstverständlich: Waakirchen liegt nicht im Paradies, sondern in Bayern - einem Bundesland mit 33 Prozent Zustimmung zu ausländerfeindlichen Äußerungen und einer aktiven und gewalttätigen Neonazi-Szene.

Was Waakirchen aber anders macht, ist die Tatsache, dass die Waakirchner schon jetzt eine Beziehung zu den Flüchtlingen aufbauen, dass die Politiker hinter den Flüchtlingen stehen und dass der Betreiber der Kegelbahn, Stefan Heufelder, die Schuld für seine missliche Lage nicht bei den Flüchtlingen sucht, sondern bei den Keglern: "Die Flüchtlinge können doch nichts dafür. Die brauchen Hilfe. Aber die Kegler! Die sind alle über 65 Jahre, manche von denen sind sogar noch selbst geflohen. Und die kommen jetzt mit so Aussagen. Das enttäuscht mich, wie gesagt, besonders, weil die sich nicht mehr ändern."

Update: Inzwischen hat Bürgermeister Josef Hartl der Darstellung widersprochen, es hätte konkrete Morddrohungen gegeben. Der Tegernseer Stimme sagte er: "Es gab keine Drohung gegen Leib und Leben gegen irgendeine Person."


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Andreas, Sonntag, 19.Juli 2015, 00:56 Uhr

7. Asylbewerber unter der Turnhalle Waakirchen

Hallo Leute,

ich würde mal sagen, jeder der rassistische Bemerkungen abgibt, spinnt auf seine Weise. Diese haben keine Ahnung, wie es im Krieg in Afrika ist. Viele dieser Asylbewerber haben vielleicht schon Ihre Eltern verloren. Ich habe mir am Anfang auch überlegt, was wird dass werden mit denen uns zugewiesenen Asylbewerbern. "Was machen Sie"?, "Stellen diese was an"?, "Gehen sie Einbrechen", verhauen sie Bürger aus Waakirchen"? usw. Ich weiss es nicht? Doch danach haben wir festgestellt, von diesen Leuten geht meines erachtens keine Gefahr aus. Bestimmte Leute sollten sich lieber um wichtigere Sachen kümmern. Dies ist meine Meinung. Es kann nicht sein, dass wie aus vielen Berichten schon gelesen wurde, "Frauen oder Kinder sind von Asylanten vergewaltigt worden". Alles Gerüchte und Lügen. Diese Leute wollen glaube ich zumindest nur Ihren Frieden haben, Sie wurden in unserem Dorf integriert beim Fußballverein, beim Dorffest und beim Waldfest willkommen geheißen.
Lg Andreas

Michael Görgner, Sonntag, 24.Mai 2015, 19:52 Uhr

6. Gleichsetzung ostdeutscher Flüchtlinge mit den Armutseinwanderern

Was mir auf den Senkel geht, ist der Spruch: "Ich hab`ja nichts gegen Flüchtlinge - aber ...... das muß man doch sagen können".
Das sind für mich Feiglinge und Opportunisten.
Ich selbst wohne in Hamburg, da fällt es nicht mehr auf, ob es 20 oder 200 Eindringlinge mehr sind.
Aber ich würde keinen Urlaub in Waakirchen oder in einem ähnlichen Ort mit demonstrativ gutmenschlich ausgerichteten Einwohnern verbringen.
In kleinen Orten fällt diese Veränderung besonders auf.
Allerdings bin ich auch sehr skeptisch, was die Staatsmedien berichten - ob das überhaupt der Wahrheit entspricht.

Eine Frechheit sondergleichen ist es, die Flüchtlingssituation mit der von 1945 zu vergleichen, wo es um einen innerdeutschen Exodus ging und es sich ausschließlich um Landsleute handelte.
Schwarzer BR? Von wegen!
Er ist mittlerweilen genauso rot wie der NDR,WDR und der RBB - halt gleichgeschaltet.

Dude, Sonntag, 24.Mai 2015, 00:33 Uhr

5. Toller Beitrag

Alltagsrassismus hat Hochkonjunktur in Deutschland. Diese Hasstiraden bisheriger Kommentare kann man nicht allein stehen lassen.
Für Toleranz und Respekt !

Gegen Einwanderung, Freitag, 22.Mai 2015, 10:24 Uhr

4. Mir sind die Medien genau so fremd...

wie die "Flüchtlinge" aus Afrika und Arabien. Ich bin nur noch sprachlos über die Zeiungen, wie sie eigentlich jeden Tag das Glück beschreiben, dass hunderttausende Fremde zu uns einwandern. Ich empfinde das nicht als Glück, sondern als Unglück. Und mal ehrlich, bis auf ein paar wenigen, empfinden das alle so wie ich. Aber die Journalisten haben halt die Macht, die Wirklichkeit trickreich so zu verzerren, bis sie keiner mehr mag.

Kritiker, Freitag, 22.Mai 2015, 07:31 Uhr

3.

Eines Tages sind wir Fremde im eigenem Land :(