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Blog // opaskrieg.de Tweets von der Front

Christian Mack twittert und bloggt auf opaskrieg.de die Feldpost seines Großvaters. Im ersten Weltkrieg hatte der die Briefe direkt von der Front an seine Familie geschickt. Auf den Tag genau, nur eben 100 Jahre später.

Von: Sonja Esmailzadeh

Stand: 22.10.2015 | Archiv

Feldpost des Großvaters von Christian Mack | Bild: Christian Mack

PULS: Christian, wie bist du an die Feldpostkarten deines Großvaters rangekommen?

Christian Mack: Die Karten hat meine Oma immer aufbewahrt. Mein Bruder und ich fanden das als Kinder immer total toll, dieses Kriegsalbum anzugucken. 2004 haben wir dann sogar mit der Familie eine Reise mit Hilfe der Postkarten gemacht. Wir sind nach Frankreich gefahren an die Orte der Postkartenmotive. Das hat mich damals zwar interessiert, aber nicht so beschäftigt wie jetzt mit dem Projekt Opas Krieg.

Wie bist du auf die Idee gekommen den Blog opaskrieg.de zu machen?

Es gab den Twitter-Account @9Nov38 von Geschichtsstudenten und Doktoranden, die über die Reichspogromnacht live getwittert haben. Das war eine Inspiration für Opas Krieg. Ich glaube Geschichte wird immer dann spannender, wenn man einen Zugang dazu hat. In Deutschland ist die Erinnerungskultur sehr stark auf den Zweiten Weltkrieg ausgerichtet, deswegen sind die meisten Leute leider nicht so "wild" auf den Ersten Weltkrieg.

Und warum soll uns das heute noch interessieren?

Ich glaube der Erste Weltkrieg hat jetzt durch das 100-jährige Jubiläum die Chance, mehr Aufmerksamkeit zu erfahren. So überwindet es ein bisschen den Schatten des Zweiten Weltkriegs. Sehr viele Menschen haben eine spannende Familiengeschichte, weil im 20. Jahrhundert ne Menge in Deutschland los war: vom Ersten Weltkrieg über den Zweiten Weltkrieg bis hin zur Weltteilung mit Kaltem Krieg und Eisernem Vorhang, überall ist etwas übriggeblieben, was Weltgeschichte berührt.

Was bedeutet dir dieses Projekt?

Auf der einen Seite ist das einfach ein öffentliches Aufarbeiten meiner Familiengeschichte, was zufällig im Internet stattfindet. Auf der anderen Seite war mit diesem 100-jährigen Jubiläum der "magische Moment" erreicht, wo ich gesagt habe, das ist zwar Familiengeschichte, aber das ist vielleicht auch für andere spannend. Und es aus einer pazifistischen Sicht spannend. Wir sind in einem vereinten Europa groß geworden, ohne Grenzen mit dem Euro, wir fahren mal eben so über die Grenze in den Urlaub. Vor 100 Jahren, da ist man über die Grenze gefahren und hat sich die Köpfe eingeschlagen, oder gegenseitig auf sich geschossen. Das war auch einfach ein Versuch, zu zeigen, wie weit Europa in den letzten hundert Jahren gekommen ist. Denn es ist nicht selbstverständlich, dass wir diesen Frieden in Europa haben.

Als du die Postkarten durchgeschaut hast – hast du Ähnlichkeiten zwischen dir und deinem Großvater festgestellt? Und wenn ja, welche?

Ich habe meinen Großvater ja nie erlebt, aber so einen gewissen schelmischen Humor, den liest man ab zu manchmal so durch. Wenn man sich mit der Feldpost beschäftigt, erfährt man schon einiges über ihn. Eine meiner Lieblingskarten kommt aus einem Ort, der Bouillonville heißt – die Eltern können natürlich kein Französisch - und er übersetzt also Bouillonville mit Fleischbrühstadt. Da merkt man, dass er nicht immer alles so bierernst genommen hat und für die Zeit vor hundert Jahren fand ich das schon bemerkenswert witzig.

Dabei war die Zeit vor 100 Jahren alles andere als witzig. Wie stand dein Großvater zum Krieg?

In der Zeit hatten die Leute das Gefühl, es passiert nichts, Stagnation, und dieser Krieg "reinigt die Gesellschaft". Das hat man damals wirklich gedacht. Was ich auf jeden Fall weiß ist, dass er sich nicht freiwillig gemeldet hat. Er ist eingezogen worden, hat eine Grundausbildung in Fürth gehabt und ist dann 1915 an die französische Front gekommen. Ich glaube, er hatte immer eine kritische Distanz, er wollte da nicht sein, er hat Krieg nicht glorifiziert, aber auf der anderen Seite hat er auch nicht groß geklagt. Es gibt Karten da schreibt er: "Morgen bin ich wie jeden Sonntag im Schützengraben, das ist bitter." Daraus kann man schon herauslesen, dass er nicht gerade "Bock" auf Krieg hatte. Das merkt man auch an der Auswahl der Postkarten. Meistens sind es Motive zerstörter Ortschaften.

Die Schlacht von Verdun, Giftgaseinsatz und Stellungskrieg – einer der schlimmsten Kriege, aber dein Großvater schreibt selten emotional.

Viel Persönliches erfährt man nicht, aufgrund von Zensur. Aber er hat natürlich auch nicht die ganze Wahrheit geschrieben. Das war auch besser so, weil er seine Eltern nicht beunruhigen wollte.

Der Kontakt in die Heimat war trotzdem wichtig für die Soldaten.

Man muss sich das mal vorstellen, die haben da im Feindesland gelegen und die Geschosse flogen um einen herum. Ich glaube, da sind auch viele wirklich psychisch dran zerbrochen und für die Soldaten – weil es ja auch ein sinnloser Stellungskrieg war – war die Verbindung in die Heimat, seien es Feldpostkarten, Briefe oder Pakete existenziell wichtig. Pakete von der Familie wurden "Liebesgaben" genannt, wenn die nicht kamen, war die Laune extrem schlecht, das merkst du auch richtig in seinen Karten.

Der Inhalt der Feldpostkarten passt gut in 140 Zeichen -  glaubst du, dein Opa hätte heute getwittert?

Mein Opa hat sich gerne schriftlich ausgedruckt und auch seine Fotoalben akribisch beschriftet. Er hatte definitiv Spaß, sich mitzuteilen. Das ist natürlich spekulativ, aber ich glaube, dass er die heutigen Kommunikationsmedien genutzt hätte.


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