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Putschversuch in der Türkei So hat unsere Reporterin die Nacht in Istanbul erlebt

Katharina lebt in Istanbul und hat da schon einige brenzlige Situationen erlebt. Den Putschversuch des türkischen Militärs am Freitag hat sie natürlich auch hautnah mitbekommen und sagt: Es gibt einen Gewinner des Abends.

Von: Uli Knapp & Verena Fücker

Stand: 16.07.2016 | Archiv

Taksim-Platz in Istanbul, 16.7.16 | Bild: picture-alliance/dpa

PULS Reporterin Katahrina Willinger war oft in Istanbul unterwegs. Vor drei Monaten ist ist sie dann komplett in die Metropole am Bosporus gezogen und hat in der Türkei insgesamt schon drei Mal einen Terroranschlag erlebt. Im Land brodelt es. Von Gewalt, Terror oder solchen Sachen wie jetzt dem Militärputsch, ist Katharina deswegen kaum noch überrascht. Uns hat sie erzählt, wie sie den Putschversuch von Teilen der türkischen Armee erlebt hat.

PULS: Katharina, wo warst du denn, als der Putschversuch losging?

Katharina Willinger: Ich war in der Nähe des Galataturms mit Freunden was essen und da gab's dann erste Posts auf Twitter, dass die Bosporusbrücken, die den europäischen und den asiatischen Teil der Stadt verbinden, beide durch das Militär gesperrt sind. Und das war natürlich ungewöhnlich, weil Militär in Städten hat man normalerweise nicht in der Türkei und da haben wir uns schon gedacht: "Irgendwas stimmt da nicht." Und dann haben wir gehört, dass in Ankara auch Panzer vorfahren vor das Parlament und da wussten wir dann, dass irgendwas faul ist. Wir sind dann nach Hause gegangen und haben die neuesten Nachrichten gecheckt und dann ging's für mich los zum Arbeiten.

Wie hast du den Putschversuch des Militärs erlebt?

Das war echt eine turbulente Nacht. Geschlafen habe ich fast nicht. Nachdem klar war, dass es sich um einen Militärputsch handelt, sind wir raus und da konnte man an den Hauptplätzen in Istanbul überall Militär sehen, zum Beispiel am Taksimplatz. Das Militär hat niemanden mehr durchgelassen. Die Polizei war quasi komplett abgezogen. Zwei Stunden später, nachdem die Gerüchte laut wurden, dass das ein Militärputsch ist, hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sich in CNN Türk zugeschaltet über FaceTime und gesagt: "Ich rufe meine Nation dazu auf, raus auf die Straße zu gehen und gegen diesen Putsch zu demonstrieren." Und das ist dann tatsächlich auch passiert. Sehr viele Erdogan-Anhänger sind auf die Plätze, an denen das Militär stationiert war, gezogen, mit Flaggen auf dem Rücken, und haben quasi gegen das Militär gewettert. Das ging erst relativ verhalten los. Erst hat man Militär gesehen, das in die Luft geschossen hat, um die Leute auseinander zu treiben und um weitere Menschen abzuhalten, an diese Plätze zu kommen. Dann haben sie aber wohl auch in die Masse reingeschossen. Es gab zahlreiche Verletzte und leider auch Tote. Daraufhin haben auch die Militärs ihre Präsenz in der Stadt verstärkt, sind mit Militärjets die ganze Nacht über Istanbul geflogen und haben so genannte "Sonic Booms" erzeugt. Das ist, wenn ein Jet so schnell fliegt, dass er die Schallmauer durchbricht und damit richtig laute Explosionsgeräusche macht, um die Leute im Haus zu halten und zu verhindern, dass sie rausgehen. Das ist eine Militärtaktik und die hat wohl auch bei vielen funktioniert. Meine Nachbarn, das konnte ich beobachten, die waren alle daheim. Und das ging bis in die frühen Morgenstunden.

Wie war es dann heute morgen? Kann man da noch irgendwie normal zur Arbeit gehen oder wie kann man sich das vorstellen?

Die Türkei geht mit solchen Extremsituationen relativ entspannt um. Als ich heute Früh zur Arbeit gegangen bin, das war so um 8.30 Uhr türkischer Zeit, da bin ich durch die Istiklal gegangen, das ist die Haupteinkaufsstraße in Istanbul. Da war heute morgen eigentlich alles ganz normal, die ersten Ladenbesitzer waren schon unterwegs, haben ihre Läden geöffnet. Der einzige Hinweis darauf, dass heute Nacht irgendwas war, waren eigentlich die hohen Müllberge. Die Müllabfuhr ist nämlich natürlich nicht gekommen. Ich habe dann einfach Leute angesprochen, was sie so mitbekommen haben noch im Laufe der Nacht und sie meinten: "Es war eigentlich nicht mehr viel los. Das Militär hat sich widerstandslos ergeben, wurde von den Polizsiten abgeführt. Und dann gabs wieder Polizeipräsenz." Die Polizei habe ich heute morgen auf dem Taksim-Platz auch wieder gesehen.

Du hast jetzt schon mehrere brenzlige Situationen und Terroranschläge in der Türkei erlebt. Wie, glaubst du, wird sich die Situation in den nächsten Tagen entwickeln?

Das ist jetzt gerade noch schwierig zu sagen. In den nächsten Stunden werden zum Beispiel noch ganz viele Regierungserklärungen erwartet. Staatspräsident Erdogan wird auch noch mal vor die Presse treten. Es gibt Spekulationen, es wird heute Nacht [in der Nacht auf Sonntag, Anm. d. Red.] ein zweiter Putschversuch gestartet. Das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Es wurden so viele Militärs und Sicherheitskräfte, die zum Militär gehören, verhaftet. Man spricht von über 3.000 Verhaftungen bisher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich da noch genug Kräfte mobilisieren lassen, um einen zweiten Versuch zu starten.

Was bleibt von dem Putschversuch?

Fest steht, dass Recept Tayyip Erdogan in seiner Rolle als Staatspräsident durch das Ganze gestärkt wurde. Es hat eigentlich nur bewiesen, dass die Leute hinter ihm stehen, denn ein Großteil der Bevölkerung, der ihn ja auch gewählt hat, ist seinem Aufruf gefolgt und ist gegen den Putsch auf die Straße gegangen. Die gesamte türkische Regierung ist aus dem Putschversuch gestärkt hervorgegangen.


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