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Michel Reimon im Flüchtlingszug "In Linz waren plötzlich Dutzende Helfer am Bahnsteig"

Erschöpft, ängstlich, aber auch voller Hoffnung: So fahren derzeit Tausende Flüchtlinge in Zügen von Budapest nach Wien und München. Der EU-Abgeordnete Michel Reimon ist mitgefahren und berichtet von Angst - aber auch von Hilfe.

Von: Schlien Schürmann

Stand: 01.09.2015 | Archiv

Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof | Bild: Andreas Gebert/picture-alliance/dpa

Über zweieinhalbtausend Flüchtlinge sind seit gestern Abend am Hauptbahnhof in München angekommen. Ihre Züge kommen aus Ungarn, sie selbst aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak. Vorher saßen sie tagelang an Bahnhöfen in Budapest fest und kamen nicht weiter Richtung Österreich oder Deutschland, wo sie eigentlich hin wollten. Gestern durfen die Flüchtlinge dann plötzlich in die Züge und diese Ungarn auch verlassen, allerdings vollkommen überfüllt. Michel Reimon ist Europaabgeordneter der Grünen in Österreich und ist mit einem dieser Züge mitgefahren. PULS konnte er von viel Solidarität und Hilfe erzählen.

PULS: Michel, wie sah es denn in dem Zug aus, in dem du mitgefahren bist?

EU-Abgeordneter Michel Reimon

Michel Reimon: Es war ein überfüllter Zug, aber es war ruhiger und gelassener, als man sich das vielleicht vorstellt. Die Leute hatten alle Zugtickets oder haben noch welche im Zug gekauft. Mir ist das politisch sehr wichtig, weil bei uns in Österreich an dieser Strecke vor wenigen Tagen 71 Menschen in einem LKW erstickt sind, weil sie sich vor Polizeikontrollen verstecken mussten. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Menschen in Züge und Busse steigen lassen, damit sie ganz normal und legal in die Europäische Union reisen können - und eben nicht bei einem Schlepper dafür bezahlen müssen und dann in Verstecken ersticken.

Die Stimmung bei den Flüchtlingen war also eher ruhig, oder vielleicht auch resigniert? Immerhin sind die meisten ja auch seit Tagen in Budapest festgesessen...

Der Zug, in dem ich gesessen bin, ist in Wien weggefahren. Der Zug wäre eigentlich aus Budapest nach München gefahren, wurde an der österreichisch-ungarischen Grenze lange angehalten. Die österreichischen Bahnen haben dann in Wien einfach einen neuen, leeren Zug aufs Gleis gestellt und planmäßig abfahren lassen. In diesen Zug sind 500 Flüchtlinge eingestiegen, die zu diesem Zeitpunkt schon in Wien waren. Mit denen bin ich mitgefahren.

Du hast unterwegs auch viel getwittert - da konnte man unter anderem lesen, dass Leute an den Bahnhöfen auf den Zug gewartet haben, um die Flüchtlinge mit Wasser und Essen zu versorgen. Würdest du sagen, dass sich das für die Flüchtlinge nach einem herzlichen Willkommen angefühlt hat?

Flüchtlinge im Zug von Wien nach München | Bild: Michel Reimon

Flüchtlingsfamilie im Zug von Wien nach München

Ja, dezidiert: Die Menschen haben bei der Abfahrt nicht gewusst, ob sie aus dem Zug geholt werden. Deswegen bin ich überhaupt erst dazugekommen. Es gab Angst, dass die Polizei den Zug räumt und Bekannte haben mich gebeten, als Politiker hinzukommen und die Situation zu beruhigen. Es gab dann doch keine Kontrollen, was die Situation etwas gelockert hat. Es gab aber auch kein Essen und keine Getränke. Und es war gestern sehr heiß. Ich habe deswegen die nächsten Haltestellen getwittert und in Linz waren dann plötzlich dutzende Menschen am Bahnsteig und haben während des kurzen Halts einkaufswagenweise Wasser, Bananen, diverse Früchte, Windeln und Babymilch in den Zug hineingegeben. Das hat die Stimmung natürlich noch einmal stark entspannt. Und es ist natürlich ein tolles Gefühl, wenn du Angst hast, ob du über die Grenze kommst oder nicht, und dann vermittelt bekommst, dass es durchaus Menschen gibt, die dich willkommen heißen.

Wie geht es jetzt weiter - kommen noch mehr Züge?

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Es kommen die ganze Zeit Züge an. Auch wenn sich die Nachrichten widersprechen, ob jetzt aus Ungarn Züge weiterfahren dürfen oder nicht, oder ob in Budapest der Bahnhof geräumt wurde. In Wien sind aber hunderte AktivistInnen auf den Bahnhöfen. Die haben die ganze Nacht durchgearbeitet, Notschlafstätten und Verteilungszentren eingerichtet. In den kleineren Städten entlang der Bahnlinie nach Deutschland ist es ähnlich. Das funktioniert alles zu einem großen Teil selbstorganisiert über Freiwillige.


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