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Ausnahmezustand in Brüssel "Es fühlt sich so an, als ob Sonntag wäre"

Brüssel ist im Ausnahmezustand: Viele Geschäfte sind zu, die Metro fährt nicht, überall sind Polizisten und Militär. Franziska wohnt in Brüssel und hat uns im Interview erzählt, wie sich das Leben in der Stadt jetzt gerade anfühlt.

Von: Theresa Authaler

Stand: 23.11.2015 | Archiv

Brüssel im Ausnahmezustand | Bild: picture-alliance/dpa

Wenn sie aus dem Fenster schaut, sieht sie immer wieder Polizisten die Straßen entlanggehen, in der Einkaufsstraße in ihrem Viertel sind viele Geschäfte geschlossen. Franziska Koch, 26, kommt aus Hamburg und wohnt seit zwei Jahren in Brüssel. Sie arbeitet dort bei der Europäischen Kommission. Im Interview erzählt sie, wie sie die Stadt in diesen Tagen erlebt - und warum sie sich trotzdem nicht einschüchtern lassen möchte.

PULS: Am Samstag wurde die Terrorwarnung in Brüssel auf Stufe vier, also die höchste Stufe, gesetzt. Wie ist die Stimmung in der Stadt?

Franziska: Brüssel ist schon anders als sonst. Es ist relativ ruhig hier, vor allem auf den Straßen. Heute merkt man den Unterschied noch mehr als am Wochenende, weil die Schulen geschlossen sind und viele Leute nicht zur Arbeit gehen. Es ist Anfang der Woche, eigentlich sollten alle auf der Straße sein. Aber es fühlt sich so an, als ob es ein Sonntag wäre. Man sieht auch immer wieder in kleinen Gruppen schwer bewaffnete Polizisten herumlaufen und natürlich Militär.

Hast du Angst?

Als am Samstag die Terrorwarnung auf Stufe vier gesetzt wurde, habe ich mir nicht so viele Sorgen gemacht. Das ging erst los, als plötzlich meine Eltern aus Deutschland angerufen haben, um zu fragen, ob es mir gut geht. Ich habe auch SMS von Freunden aus Deutschland bekommen. Da wurde mir bewusst: Das schlägt auch Wellen im Ausland. Und da wird‘s einem schon ein bisschen mulmig.

In den Medien wurde der Eindruck vermittelt, Brüssel sei jetzt eine Hochsicherheitsstadt.

In den Medien sieht man Bilder mit viel Militär. Wenn ich mir die Online-Seiten der Zeitungen anschaue, dann frage ich mich: Ist es jetzt überhaupt sicher, das Haus zu verlassen? Aber um ehrlich zu sein, machen einem die Bilder mehr Angst, als tatsächlich hier auf der Straße zu sein. Wenn man erst mal draußen ist, dann merkt man, dass doch nicht alles so extrem im Ausnahmezustand ist.

Verhältst du dich jetzt anders?

Ich bin vorsichtiger. Heute Morgen habe ich zum Beispiel meine Schwester zum Bahnhof gebracht. Ich habe mir genau überlegt, welche Route wir nehmen. Ich wusste, dass man nicht so nah am Zentrum entlanggehen soll. Also haben wir einen kleinen Umweg gemacht und sind ein Stück weit weg von den ganz brenzligen Stellen gegangen.

Seit Samstag fährt die Metro nicht mehr. Wie kommst du von A nach B?

Die Busse fahren noch, wenn auch eher unregelmäßig. Die meisten meiner Freunde wohnen wie ich eher im Zentrum, wir fahren mit dem Fahrrad oder gehen zu Fuß. Brüssel ist nicht so groß. Aber ich habe zum Beispiel einen Kollegen, der braucht normalerweise eine halbe Stunde mit der Metro, um in die Innenstadt zu kommen. Der war jetzt das ganze Wochenende bei sich zu Hause. Natürlich war er nicht eingeschlossen, aber er konnte sich dort einfach nicht wegbewegen.

Wie war das Wochenende für dich?

Schon vor Wochen hatte ich eine Einweihungsparty in meiner neuen Wohnung geplant. Als ich erfahren habe, dass die Terrorwarnstufe hochgestellt wurde, habe ich mit meinen Freunden darüber gesprochen, wie sie die Situation einschätzen und ob die Feier trotzdem stattfinden soll. Aber eigentlich stand es für mich nicht zur Debatte, alles abzusagen. Ich hab dann allen, die eingeladen waren, nochmal geschrieben, dass sie trotz allem herzlich eingeladen sind. Ich habe dazu geschrieben, wie sie mit dem Bus zu mir kommen, weil ja die Metro nicht mehr fuhr. Viele sind trotzdem gekommen, aber um die zehn Leute haben abgesagt. Sie haben sich entweder nicht wohl dabei gefühlt, durch die Stadt zu laufen oder sind gar nicht von zu Hause weggekommen, weil es ohne Metro zu weit war.

Habt ihr trotzdem gut gefeiert?

Die Stimmung war nicht gedrückt, aber wir haben schon viel über die Situation gesprochen. Wenn man aus dem Fenster gekuckt hat, hat man Polizisten auf der Straße gesehen. Man hat auch immer mal wieder Sirenen gehört, was in einer Großstadt eigentlich normal ist, aber in so einer Situation nimmt man das natürlich verstärkt war. Eigentlich ist eine Hausparty an so einem Tag aber ein ziemlich sicherer Ort, also sicherer als wenn man ins Restaurant oder auf ein Konzert geht.

Wie informierst du dich jetzt, hängst du die ganze Zeit am Handy?

Alle Zeitungen haben Live-Ticker auf ihren Websites. Ich gehe da aber nicht alle zwei Minuten drauf, um zu schauen, was los ist. Vielleicht habe ich deswegen auch nicht so eine Panik. Ich habe nämlich auch gemerkt: Wenn ich mir die Bilder anschaue, macht mir das mehr Angst, als wenn ich tatsächlich auf die Straße kucke.

Wie ist deine Stimmung denn heute? Bist du arbeiten gegangen?

Unser Chef hat uns heute Morgen ermutigt, eher von zu Hause zu arbeiten. Ich musste aber etwas fertig machen, das ich viel besser im Büro machen kann, also bin ich doch hin. Und ich bin auch froh, dass ich das gemacht habe. Das ist wieder diese Sache mit dem Unterschied zwischen dem, was man so hört und dem, was man dann selbst erlebt. Für die Europäische Kommission gilt die sogenannte gelbe Alarmstufe, aber die Stimmung hier ist nicht angespannt und man kann sich ganz normal bewegen.   


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