Kommentar Warum "Alternative Fakten" so gar nicht lustig sind

Bei Trumps Vereidigung waren so viele Zuschauer wie nie zuvor bei einer Amtseinführung. Das ist nachweislich falsch - und trotzdem die offizielle Version des Weißen Hauses. Eine Spitzenberaterin Trumps erklärt, das seien "Alternative Fakten". Viele finden die Sache witzig – ist sie aber nicht.

Von: Ann-Kathrin Wetter

Stand: 23.01.2017 | Archiv

Überkreuzte Finger hinter dem Rücken | Bild: BR

Ja, es stimmt, das Ganze hat einen richtig großen WTF-Faktor. Die Spitzenberaterin des US-Präsidenten stellt sich hin und sagt, das Weiße Haus habe "Alternative Fakten" zu den Besucherzahlen präsentiert und jeder, der einigermaßen klar im Kopf ist, sieht: Was die da am Wochenende präsentiert haben, das sind keine Fakten, das ist nachweislicher Unsinn. Eine Lüge, die man tunlichst auch so nennen muss. Punkt.

Es gibt inzwischen erste Reaktionen, Memes und einen Hashtag auf Twitter – englisch und deutsch: #alternativefakten. Der trendet gerade. Da sind Tweets von ganz normalen Leuten, von Journalisten, von Medienhäusern und sogar Politikern. Einige setzen sich kritisch mit dem Thema auseinander, aber die meisten twittern da lustig gemeinte Sachen. Der CDU-Generalsekretär Peter Tauber zum Beispiel: "Einen schönen Start ins Wochenende! #alternativefakten", obwohl Montag ist. Kann man kreativ finden, oder witzig. Ich kann jedenfalls nicht drüber lachen. Überhaupt nicht.

Immer wieder fallen wir drauf rein

Wir müssten doch irgendwann mal checken, dass es nicht gut ist, wenn wir ständig auf die PR-Strategie von Populisten reinfallen. Dass es nicht gut ist, wenn wir immer wieder ihre Themen und vor allem ihre Begriffe übernehmen. Wir machen uns lustig, weil das einfach ist und uns ein gutes Gefühl gibt. Haha, wir stehen drüber. Und trotzdem ist es nicht cool. Wir finden es witzig, die Begriffe ins Lächerliche zu ziehen und hegen überhaupt keine böse Absicht. Aber was wir auch sehen müssen: Wir machen damit jedes Mal die Sprache der Populisten salonfähiger und ihre Ideen und Denkweisen populärer.

Gehen wir mal einen Schritt zurück. Letze Woche hat Donald Trump auf einer Pressekonferenz mit CNN abgerechnet. Fake-News beantworte er keine Fragen, hat er da gesagt. Logisch also, dass er jetzt Alternative News vorlegt – zu einer Kleinigkeit wie Besucherzahlen. Aber wenn man sich das komplette Interview mit der Beraterin einmal gibt, dann wird einem klar, das wird wohl nicht das letzte Mal gewesen sein, dass das Weiße Haus alternative Fakten vorlegt. Solange wir uns in postfaktischen Zeiten befinden, sind alternative Fakten eigentlich auch nur konsequent und für einige ganz bestimmt auch wirklich eine Alternative.

Wir bereiten den Boden

Über "postfaktisch" haben wir auch gelacht, damals. Jan Böhmermann hatte dazu aufgerufen, den Begriff postfaktisch im Alltag zu nutzen. Fand ich lustig damals, hab ich auch gemacht. Dann hat irgendwann auch Angela Merkel gesagt, dass wir in postfaktischen Zeiten leben und abends laufen Talkshows zum Thema "Politik im Postfaktischen Zeitalter". Warum das schlecht ist? Weil der Begriff Unwahrheiten legitimiert. Weil er legitimiert, dass Politiker wie Trump alternative Fakten vorlegen, die keine Fakten, sondern Lügen sind.

Leute, aufwachen. Indem wir die Begriffe übernehmen, die kacke sind, und sei es nur, um drüber zu lachen, bringen wir sie in die Mitte der Gesellschaft. Wir alle bereiten ständig den Boden, damit Populisten immer noch eins draufsetzen können. Damit müssen wir aufhören und zwar schnell. Wir müssen wieder mehr aufpassen, was wir sagen. Wir müssen wieder mehr aufpassen, welche Begriffe wir etablieren. Nein, ich will keinem den Mund verbieten und nein, es geht mir auch in dem Fall nicht um political correctness. Sondern echt darum, dass wir überlegen müssen, wem wir es mit unserer Sprache leicht machen wollen und wem nicht.