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Die Hölle ist mein Shelter Wie Fallout Shelter mein Leben zerstört hat

"Fallout Shelter" ist ein niedliches Handy-Simulations-Game zwischen Sims und Tamagotchi. Klingt harmlos, hat aber das Suchtpotenzial einer harten Droge - und hat deshalb das Leben unserer Kollegin zur Hölle gemacht.

Von: Vanessa Schneider

Stand: 19.08.2015 | Archiv

Fallout Shelter | Bild: Bethesda / Montage: BR

Der blondgelockte Pip Boy empfängt mich an meinem neuen Arbeitsplatz.

"Glückwunsch! Vault Tec hat dich zum Aufseher von Vault 211 ernannt!"

Mein Job: Menschen in einer Vault, einem unterirdischen Atomschutzbunker, vor der Verstrahlung retten. Und es fängt harmlos an: Eine handvoll Überlebende der Apokalypse stehen vor meiner Tür und suchen Schutz vor Strahlen, Raidern und Mutanten. Ich lasse sie rein, gebe ihnen eine Aufgabe und ein Dach über dem Kopf, und alle sind glücklich.

Tag 2: Das Experiment beginnt

24 Stunden später ist meine Vault fast am Ende, ich habe mich nicht genug gekümmert. Das Wasser ist knapp, es gibt keinen Strom mehr und meine Bewohner werden immer unglücklicher. Das einzige was hilft ist: Sex. Ich probiere alle Paarungen durch, bis alle weiblichen Vault-Bewohnerinnen mit dicken Bäuchen - aber dafür vollkommen wehrlos - in meiner Vault arbeiten. Es ist ein soziales Experiment mit einem netten Nebeneffekt: Meine Bevölkerung wächst. Und je mehr Menschen bei mir wohnen, umso mehr Räume kann ich in meiner Vault bauen. Überhaupt sind meine Dweller sehr engagiert. Sie identifizieren sich komplett mit meiner Arbeitsideologie und es macht ihnen nichts aus, dass ich sie ständig überwache.

Tag 3: Ein System gegen das Bevölkerungschaos

Meine Bevölkerung hat sich verdoppelt. Die Babys brauchen Namen. Ich nenne sie wie "Game of Thrones"-Charaktere. Das ist aufwändig. Ich mache mir eine Liste und schreibe stundenlang alle Namen auf, die in "Game of Thrones" jemals vorkamen. Ich kann meinen Blick mittlerweile kaum noch von der Vault abwenden. Was, wenn ich nicht da bin, um einzugreifen, wenn was passiert? Die kleinen putzigen Cartoonmännchen wären ihrem Schicksal ausgeliefert! Kakerlaken, Räuberbanden - und schlechter Laune!

Tag 4: Nicht ohne Begleitung

Nach drei Tagen mit "Fall Out Shelter" kann ich das Haus nur noch in Begleitung verlassen. Die schützt mich davor, auf dem Weg in die Arbeit gegen Türen und Menschen zu rennen oder in Bahnschächte zu stürzen, während mein Blick an meinem Smartphone klebt. In der morgendlichen Konferenz setze ich mich so hin, dass ich ungestört meine kleine unterirdische Population beobachten kann. Keiner in der Redaktion hat eine Ahnung, wie schlimm es um mich steht. Nur meine Kollegin Tine blickt ab und zu besorgt zu mir rüber.

Tag 5: Alles blinkt grün

Beim Abendessen starre ich auf meine Vault. Vier Bewohner machen Fitnesstraining, sechs sind auf Erkundungstour, vier weitere versuchen gerade,sich in den Baracken näher kennen zu lernen. Ständig blinkt es grün:

Strom ist fertig!
Essen ist fertig!
Wasser ist fertig!

Mit meinem Finger sammle ich tippend alles ein, was meine fleißigen kleinen Dweller produzieren. Und das ist viel. Je mehr Bewohner in meiner Vault leben, desto mehr muss ich tippen. Denn tippe ich nicht, dann rutschen die Statistiken ganz schnell in den roten Bereich. Und wir wissen, was das heißt: Notstand in der Vault. Das lässt mein Aufsehergewissen nicht zu.

Tag 6: Im Traum spiele ich weiter

Ich träume von meiner Vault. Wache auf, und checke, ob es meinen kleinen, niedlichen Dwellern gut geht. Puh. Es geht ihnen gut! Ich schließe meine Augen, erleichtert. Aber in meinem Kopf blinkt es weiter.

Tag 8: Ich lebe nur noch in der Vault

200 Bewohner. Mehr passen nicht in meine Vault. Ein Drittel der Frauen ist immer noch schwanger. Sie werden es wohl bleiben, denn mehr Bewohner sind in einer Vault nicht vorgesehen. Ich habe längst den Überblick über meine Dweller verloren. Einige heißen wie Charaktere aus "Game of Thrones". Dann sind mir die Namen ausgegangen. Deshalb heißt Tyrions Tochter einfach Jody. Für Namen habe ich eh keine Zeit mehr. Ich bin nur noch mit Tippen beschäftigt. Mein Freund hat keine Lust mehr, mit mir an einem Tisch zu sitzen. Zusammen Serien gucken? Zeitung lesen? Eis essen? Das ist nicht drin. Die Außenwelt ist viel zu gefährlich. Für mich, genau wie für die Bewohner meiner Vault 211, die ich mit dem strengen Blick eines Vault-Tec-Aufsehers überwache.

Und auf einmal reicht es mir. Dieses soziale Experiement geht auf meine Kosten! Es ist Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Und deshalb lösche ich "Fallout Shelter" jetzt.


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