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Interview // Regisseur Axel Ranisch So ist der Improvisations-"Tatort" entstanden

Am Sonntag lief ein ganz besonderer "Tatort": Der ganze Film wurde improvisiert. Außerdem waren die meisten Schauspieler Laien. Welche Herausforderungen das bedeutet, hat Regisseur Axel Ranisch im PULS Interview erzählt.

Von: Valentin Nowak

Stand: 25.02.2017 | Archiv

Kommissarin Lena Odenthal bekommt in Traum Besuch von der eigentlich toten Sophie Fettèr. | Bild: SWR / Martin Furch

PULS: Fangen wir mal ganz von vorne an. Ein Improvisations-Tatort - war das Ihre Idee oder sind die Verantwortlichen damit auf Sie zu gekommen?

Axel Ranisch: Tatsächlich sind die Verantwortlichen damit auf mich zugekommen. Insbesondere Martina Zöllner (Anm. d. Red.: Leiterin der Filmabteilung beim SWR), die meinen Impro-Film "Ich fühl mich Disco" gesehen hat und dann unbedingt wollte, dass ich was für das Hauptabendprogramm improvisiere. Und dann gab es noch die zweite Idee, dass sie mal gerne einen Tatort im Theater Hemshofschachtel in Ludwigshafen spielen lassen wollte: Ein Mord in diesem Amateurtheater. Dann kamen die beiden Ideen quasi zusammen und ich wurde zum Papa dieses ungewöhnlichen Tatort-Experimentes.

Wie lange arbeiten Sie schon an dem Tatort? Ich habe gehört, die Laienschauspieler arbeiten schon ein Jahr an dem Film...

Ich würde sagen, von der Grundidee bis zum fertigen Film hat es ungefähr zwei Jahre gedauert. Da waren insgesamt 25 Amateur-Schauspieler dieses Theaters beteiligt, das in Wirklichkeit Hemshofschachtel heißt und im Film "Babbeldasch". Mit denen haben wir uns über ein Jahr lang immer wieder getroffen zusammen mit dem Drehbuch-Autor, zusammen mit einem Improvisations-Coach und haben mit ihnen Figuren entworfen, die sie dann verkörpert haben. Wir haben im Prinzip parallel die Geschichte des Films darauf angepasst, also den Schauspielern die Rollen regelrecht auf den Leib geschrieben. Weil der ganze Film erstens in dem Theater spielen sollte und zweitens sollten alle Ensemble-Mitglieder mitspielen. Das heißt, das hat bestimmte Grenzen für die Geschichte gesetzt, die wir erzählen wollten.

Das heißt, die Laienschauspieler haben nicht nur am Skript mitgewirkt, sondern sie sind selbst quasi mit ihrer Person auch Teil des Skripts?

Naja, sie spielen schon alle andere Figuren, aber sie spielen Figuren, die dicht an ihrem eigenen Erleben dran sind.

Damit sie es dann einfacher spielen konnten?

Genau, richtig. Wir haben ursprünglich andersrum angefangen. Der Drehbuch-Autor und ich haben uns als allererstes mal eine richtig geile Geschichte ausgedacht, mit krassen Typen und dann haben wir aber gemerkt, wenn wir diese krassen Typen jetzt besetzen mit unseren Amateur-Schauspielern, dann tut denen das vielleicht nicht gut, weil die stoßen ja dann an schauspielerische Grenzen und das wollten wir nicht. Deswegen sind wir einen Schritt zurückgegangen und haben gesagt, wir müssen mit dem Arbeiten was da ist, weil dann sind wir am überzeugendsten.

Wie fanden die Laien- Schauspieler das denn?

Die waren völlig aus dem Häuschen. Das ist ja auch eine irre Sache für sie. Die haben ja ganz normale Berufe. Das sind Metzger und Krankenschwestern und ganz viele arbeiten beim Chemiekonzern BASF.

Wie fanden das denn die professionellen Schauspieler, die im Tatort mitgespielt haben, als sie erfahren haben, der nächste Tatort wird ein Impro-Tatort?

Ulrike Folkerts (Anm. d. Red: spielt Kommissarin Lena Odenthal) hat sich ja ein paar Mal öffentlich beschwert, dass sie gerne was neues möchte und dass sie keine Lust mehr auf konventionelle Krimis und Drehbücher hat. Da hatte sie dann den Salat. (lacht) Ich glaube schon, dass es am Anfang sicherlich ne gewisse Skepsis der Arbeitsweise gegenüber gab. Man muss sich ja vorstellen, manchmal läuft eine Kamera während so einer Aufnahme eine halbe Stunde ohne Stück. Und des ist dann oft sehr schwer für einen Schauspieler eine halbe Stunde am Stück in der Rolle zu bleiben und dann fällt man manchmal raus, weil man auch nicht mehr weiß was man noch improvisieren soll. Und wenn jetzt ich als Regisseur ausgerechnet die Stellen in den Film packen würde, in der der Schauspieler aus seiner Rolle rausgefallen ist, wär das doof. Das heißt: Die Schauspieler müssen mir vertrauen, dass ich vernünftig mit dem umgehe, was sie mir anbieten. Ich glaube, das hat ein paar Tage gedauert und dann war irgendwann das Vertrauen da. Und dann haben es alle fünf wahnsinnig genossen, dass sie so viele Freiheiten hatten wie nie zuvor.

Wie läuft denn so ne typische Impro-Szene ab?

Text gibt’s nicht. Es ist schon klar, was passiert. Es gibt eine Geschichte und in der Geschichte ist auch jede Szene beschrieben - was in der Szene passiert. Nur das Wie ist unklar. Ich weiß nicht, wie eine Szene nachher aussieht. Und in diesem speziellen Fall von diesem Tatort war es sogar so, dass die Schauspieler nicht wussten, was passieren wird. Vor jeder Szene habe ich mich mit denen zusammengesetzt und denen erzählt, was als nächstes in der Szene passiert. Dann haben wir uns darüber ausgetauscht. Jeder hat Fragen stellen können, bis allen Leuten klar war, was ungefähr passiert. Dann haben wir die Kamera angeschaltet, weil ich auf keinen Fall proben wollte, denn wenn ich probe, dann ist dieser erste Impuls, wenn man etwas das erste Mal spielt, weg. Aber das ist mir heilig. Da hören immer alle aufeinander und sind konzentriert. Es passieren Dinge, die man nicht geplant hat. Das will ich, dass Dinge vor der Kamera passieren, die nicht geplant waren. Wenn Schauspieler es ein zweites Mal spielen, dann wissen sie ja schon, was auf sie zukommt und dann spielen sie es auch ganz anders.

Also sind die Szenen, die man im Film sieht, eigentlich immer die ersten Takes? Außer es hat mal was nicht geklappt?

Genau. Und wenn was nicht geklappt hat oder wenn diese ersten Takes zu lang sind, dann drehe ich noch weitere Takes, um den ersten unterschneiden zu können, sodass möglichst viel von diesem ersten Take im Film landet. Aber ich schätze, Dreiviertel des Films besteht aus ersten Takes.

Was glauben Sie, wie wird Reaktion vom Publikum auf Ihren ersten Tatort ausfallen?

Ich glaube, der Film wird sehr stark polarisieren. Das habe ich schon gemerkt. Der Film lief im Vorfeld schon auf vier Festivals. Da haben wir ja gesehen: Wenn man die klassische Tatort-Brille absetzt, mit der man so einen Sonntagabendfilm sonst bewertet, dann hat man unter Umständen sehr, sehr viel Freude an dem Film, weil er so lebendig und vielleicht auch herzlich, charmant und wild ist wie kaum ein anderer Tatort. Wenn man jetzt allerdings partout einen ganz klassischen Kriminalfall sehen will mit kriminalistischer, schauspielerischer, bildästethischer Perfektion, dann wird man eventuell enttäuscht sein, denn das ist es ja nicht. Es ist ein Feuerwerk an Lebendigkeit mit Amateurschauspielern, die wie ein Sack Flöhe einfach voller Lebensfreude sind.

Werden Sie die Diskussionen am Sonntag auf Twitter verfolgen?

Ich glaube nicht, nein. Das schaffe ich nicht. Erstens habe ich fantastische Konzertkarten, die habe ich seit über einem Jahr. Ich werde in der Philharmonie sitzen und Mahlers dritte Symphonie hören. Und zweitens bin ich ein ganz schönes Sensibelchen. Das heißt: Bei Twitter gibt es ja auch ganz oft Sachen, die sind nicht ganz so reflektiert und die gehen dann unter die Gürtellinie – und ich glaube, das muss ich mir nicht durchlesen.

Tatort aus Ludwigshafen: "Babbeldasch" läuft am Sonntag, 26. Februar, um 20.15 Uhr im Ersten. Der zweite Improvisations-Tatort von Axel Ranisch ist übrigens auch schon abgedreht.


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