Games // Tyranny Habt ihr das Zeug zum Bösewicht?

Mal nicht der strahlende Held sein, sondern mit dem bösen Overlord die Menschen unterjochen: "Tyranny" macht euch zur rechten Hand des Oberfieslings und lässt euch seinen Willen durchsetzen. Und der ist: böse. Ein Knochenjob.

Von: Dominic Holzer

Stand: 23.01.2017 | Archiv

Tyranny | Bild: Paradox Interactive

Das Böse hat die Welt Terratus erobert - und normale Rollenspiele beginnen jetzt so: Ein unschuldiger Bauernjunge entdeckt seine geheimen Kräfte, er zieht in die Welt hinaus, findet vielleicht noch ein magisches Schwert - und, wir reden hier immer noch vom gleichen Bauernjungen - am Ende erschlägt er den Oberfiesling und rettet die Welt. Aber diesmal ist es anders. Diesmal ist der Oberböse mein Chef.

Weil ein paar gallische Dörfer ihre Niederlage nicht einsehen wollen, schickt der Overlord Kyros mich los. Mich, seinen persönlicher Geherda, und ich soll seinen Willen durchsetzen. Haben natürlich alle super Bock drauf: Die Menschen, die unterjocht werden sollen natürlich genauso wenig, wie die beiden dunklen Heeresfürsten, die es bisher verkackt haben. Und dann gibt mir der Overlord Kyros noch dieses magische Edikt mit auf den Weg: Ist der Aufstand nicht in sieben Tagen niedergeschlagen, sterben alle, da kennt er keinen Spaß.

Böse zu sein ist ein Knochenjob

Also rein in die Spielwelt von Tyranny - auf den ersten Blick eine Hommage auf ein klassisches Old-School-Rollenspiel: Ich schaue von schräg oben auf die schön gemalte Spielwelt, bis zu drei Begleiter kann ich auf meine Mission mitnehmen, Gespräche laufen in liebevoll geschrieben Texten ab (es gibt viel zu lesen) und wenn es zum Kampf kommt, kann ich jederzeit pausieren und überlegen, was ich als nächstes tue. Spaß machen dabei die verschiedenen Kombo-Aktionen, die ich mit den Begleitern in meiner Gruppe auslösen kann, grob gesagt: einer stellt ein Bein, der andere schubst. Dabei ist es fast egal, ob ich als axtschwingender Kämpfer oder Magier mit Feuerbällen spiele – in "Tyranny" gibt es keine festgelegten Klassen. Alles ganz nett, aber nicht spektakulär.

Fantastisch ist was ganz anderes: Ich soll ja ausdrücklich den Bösen spielen und "Tyranny" testet gnadenlos aus, wie weit ich dabei gehen will. Soll ich in einer Szene meinen Gefangenen einfach umbringen - weil ich es kann, weil es mir Spaß macht oder um ihn von seinem Leid zu erlösen? Soll er mir seine Loyalität beweisen und zwei seiner Kameraden töten? Oder schicke ich ihn als Spion zu seinen eigenen Leuten zurück, damit er sie ans Messer liefert? Böse zu sein ist hier ein Knochenjob, bei dem man nicht eben mal so auf der Maus abrutscht. Wenn ich auch nur versuche, moralisch zu sein, oder gnädig, bekomme ich ordentlich Probleme: Meine Verbündeten sind angepisst und der Gefangene, den ich vorhin noch habe laufen lassen, will mich jetzt umbringen.

Das wird Konsequenzen haben!

"Tyranny" ist ein mutiges Spiel. Auch weil es vieles weglässt, was wir von Rollenspielen gewohnt sind: Die Spielwelt ist viel kleiner sonst, selten lenkt eine Nebenquest von der Haupthandlung ab und ich muss angenehm wenige Trash-Mobs verhauen (also grundlos rumlaufende Ratten, Zombies, Riesenspinnen). Stellenweise wirkt "Tyranny" darum irgendwie unausgereift. Die Macher haben offensichtlich Ballast abgeworfen, damit die eigentliche Story glänzen kann. Wo andere Spiele bis zu 80 Stunden Handlung versprechen, kommt man in "Tyranny" schon in 20-30 Stunden durch.

Aber da fängt der Spaß erst an: Denn "Tyranny" will wieder gespielt werden und wieder und nochmal. Von meiner ersten Entscheidung an verändert sich die Spielwelt so nachhaltig, sind die Konsequenzen so weitreichend, dass mir ganze Handlungsstränge verborgen bleiben. "Tyranny" setzt diese Spielidee so radikal um, wie bisher kein anderes. Und "Tyranny" schafft es, mich vor so essentielle, moralische Probleme zu stellen, dass ich mich irgendwann frage: Was ist eigentlich "böse"?

Tyranny (Obsidian Entertainment, Paradox Interactive // für PC und Mac und Linux)