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Fotoprojekt Ein Gegenstand, der Geflüchteten die Welt bedeutet

Stellt euch vor, ihr seid durch die Hölle der Flucht gegangen und jetzt in einem Land, das euch fremd ist. An das alte Leben erinnert nur noch ein einzelner Gegenstand. Die Münchner Fotografin Sima Dehgani hat diese Gegenstände fotografiert.

Von: Luisa Filip

Stand: 12.12.2016 | Archiv

Cover | Bild: Sima Dehgani

Die Fotografin Sima Dehgani hat nur eine Frage gestellt, als sie ein Jahr lang Geflüchtete in bayerischen Unterkünften und Heimen besucht hat: "Könnt ihr mir einen Gegenstand zeigen, der euch viel bedeutet?" Viele hatten ihr Hab und Gut auf der Flucht verloren, trotzdem wurde Sima Dehgani immer wieder ein Gegenstand entgegengestreckt. Ganz bewusst hat sie sich dafür entschieden, nur die Gegenstände und nicht die Geflüchteten selbst zu fotografieren:

"In den Medien werden Flüchtlinge oft sehr stigmatisierend dargestellt. Ihre Hautfarbe wird gezeigt. Was sie tragen wird gezeigt. Das wollte ich durchbrechen und eben die Dinge zeigen, die die Menschen mitnehmen."

Sima Dehgani

Man lässt nicht freiwillig sein altes Leben zurück

62 Objekte hat die Fotografin in ihrem Bildband "Ein Stück Erinnerung. Objekte von Geflüchteten" gesammelt. Egal, ob sie vor Krieg, Armut oder Terrorgruppen geflohen sind, jeder einzelne hat seine Begründung für die Flucht. Kein Mensch lässt freiwillig Familie, Freunde und sein ganzes Leben hinter sich. Die Gegenstände sind ein Symbol für die Geflüchteten, die zeigen, warum sie diesen Schritt gewagt haben. Und sie sind ein Stück Würde, das sie aus ihrem alten Leben mit in ihr Neues genommen haben.

Mit PULS hat Sima Deghani über fünf Gegenstände gesprochen, die sie besonders berührt haben:

Geldschein | Bild: Sima Dehgani

Ein Geldschein ist alles, was Ahmed, 26, noch als Erinnerung an seine Freundin bleibt. Er hat sich auf die Flucht begeben, sie ist in Pakistan zurückgeblieben. Seit über anderthalb Jahren haben sich die beiden nicht mehr gesehen. Alles, was Ahmed noch hat, ist dieser Geldschein mit einer Botschaft, die ihm Kraft gibt:

You live in my heart forever. I’ll never forget you… I love you.  (8.8.2014)

Anhänger | Bild: Sima Dehgani

Die Eidechse hat die 19-jährige Fatimata vor langer Zeit mit ihrer Mutter zusammen gebastelt. Ihre Mutter ist beim Fischen auf dem Meer umgekommen, ihr Vater im Bürgerkrieg in Sierra Leone. Fatimata wurde daraufhin von Menschenhändlern verschleppt, in Istanbul hat man sie zur Zwangsprostitution gezwungen. Ausgerechnet einer ihrer Freier half ihr, aus der Prostitutionshölle zu fliehen. Auf ihrem Weg nach Deutschland hat sie ihren jetzigen Mann kennengelernt. Zusammen mit ihrem Kind leben die beiden in einer bayerischen Unterkunft. Fatimata ist dankbar für die freundliche Aufnahme und das Verständnis, das sie hier in Deutschland erlebt.

Tattoo | Bild: Sima Dehgani

Als Sima Dehgani in einer bayerischen Flüchtlingsunterkunft für Minderjährige nach Gegenständen fragt, spricht Medhi (Name geändert) sie an. Er findet es sehr interessant, was sie macht, habe aber selber leider nichts, was er ihr geben könne. Nach einer halben Stunde kommt Medhi doch nochmal auf Sima Dehgani zu und präsentiert ihr seinen Arm: "Good Help Me" - Ein Hilferuf an Gott, den sich Medhi aus Verzweiflung und Angst selbst - und dazu noch falsch - auf den Unterarm tätowiert hatte. Über zwei Jahre musste er sich im Sudan vor Menschenhändlern verstecken. Da war Medhi gerade mal 15 Jahre alt.

Gemaltes Bild | Bild: Sima Dehgani

Mit ihrer ganzen Familie ist die zwölfjährige Hannah aus dem Irak geflüchtet. In Deutschland angekommen ist sie aber nur mit ihrem Bruder und ihrem Vater. Hannahs Mutter sitzt noch in der Türkei fest. Wann sie ihre Mutter wiedersehen wird, weiß Hannah nicht. Als Erinnerung hat sie deshalb ein Bild ihrer Mutter gemalt, das sie immer bei sich trägt.

Brille | Bild: Sima Dehgani

Die kaputte Brille war ein Geschenk eines mittlerweile verstorbenen Freundes. Ali, 23, hat sie auf der gesamten Flucht bei sich getragen. Immer wieder hat er versucht, sie mit Tesa zu reparieren, immer wieder ist etwas abgebrochen. Die Brille ist aber auch ein Spiegelbild seiner Fluchtgeschichte. Sie zeigt, was er durchgemacht hat und dass die Flucht Spuren an Seele und Körper der Geflüchteten hinterlässt. Ali hat mittlerweile eine neue Brille, die alte behält er aber trotzdem als Erinnerung an seine Flucht und an seinen verstorbenen Freund.

Mehr zum Buch von Sima Dehgani findet ihr hier.


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