Design vs. Gesichtserkennung Wie Mode gegen Massenüberwachung helfen soll

Sein Ziel ist die perfekte Tarnung. Adam Harvey will die Algorithmen von Gesichtserkennung verwirren. Dafür entwirft er besondere Schals und T-Shirts.

Von: Christine Memminger

Stand: 23.11.2016 | Archiv

Wenn es nach Amazon geht, dann bezahlen wir bald nicht mehr mit Bargeld oder mit Karte – sondern einfach mit einem Selfie. Durch Gesichtserkennung wird dann gleich vom richtigen Konto abgebucht. Amazon testet die Software seit Kurzem schon in einem Laden in Seattle.

Unsere Gesichter werden ständig gescannt. Moderne Kameras können Gesichter erkennen, jedes Foto, das wir auf Facebook, Instagram oder sonst wo hochladen, wird von einem Algorithmus abgetastet. In Sekundenschnelle vergleichen Computerprogramme die Daten mit Milliarden anderer Informationen und berechnen zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit mit der dieses Gesicht zu einem Terroristen, Pokerspieler oder einem guten Chef gehört. Big Data mit einem kleinem Foto. Der Künstler und Aktivist Adam Harvey findet das beängstigend.

"Ein Bild ist sozusagen eine Hülle für Daten und Überwachung geworden."

Adam Harvey

Sein Ziel: bestmögliche Tarnung. Mit seinem neusten Projekt "HyperFace" arbeitet Harvey daran, Gesichter vor neugierigen Kameras zu schützen. Und zwar durch Mode, auf die ebenfalls Gesichter oder gesichtsähnliche Bilder gedruckt sind. Die Drucke auf seinen Schals und T-Shirts sehen aus wie bunte und/oder verpixelte Fotos von Menschenmassen. Das eigene Gesicht ist dadurch sozusagen zwischen anderen Gesichtern getarnt.

"So überflutet man den Algorithmus mit Informationen. Man übersättigt die Region rund um das Gesicht und verwirrt so den Algorithmus."

Adam Harvey

Als Adam Harvey seine Mode das erste Mal beim 33C3 Hackerkongress in Hamburg vorstellt, zeigt er verschiedene Muster von Bildern. Schon in einem 6x7-Pixel-Bild kann ein Algorithmus ein Gesicht erkennen, ab 16x12 Pixel dann auch Aktivitäten. Zum Vergleich: Ein Foto auf Instagram hat bis zu 1080x1080 Pixel, ist also eindeutig identifizierbar. Aber wenn rund um das Gesicht der "HyperFace"-Schal liegt, ergeben sich für den Algorithmus schon bei der einfachsten Variante mindestens 1.200 mögliche Gesichter. Es wird dem Computer unmöglich, das wahre Gesicht herauszufiltern und mit anderen Daten zu vergleichen.

"HyperFace" ist nicht das erste Projekt von Adam Harvey, mit dem er vor massenhafter Überwachung und Big Data warnt. 2010 entwickelte er “CV Dazzle”, eine Styling-Methode mit Make-Up und Perücken: Striche im Gesicht, die ein bisschen an Indianerbemalung erinnern und Haare, die in bestimmten Streifen über Stirn und wahlweise die Nase oder die Augen fallen. Tatsächlich konnten Algorithmen dadurch nicht zwischen Gesicht und Gegenstand unterscheiden. In einem anderen Projekt entwarf er eine Art Burka aus Aluminium, die eine Person für Wärmebildkameras unsichtbar macht. Adam Harvey kommt aus den USA, lebt aber seit einigen Jahren in Berlin. Davor hat er mehrere Jahre als Fotograf in New York gearbeitet. Damals ist er sensibel für den Umgang mit Fotos geworden.

"Eine Kamera hat die Macht, jemanden einzufangen, zu besitzen."

Adam Harvey

Im Gegensatz zu aufwändigem Make-Up ist die "HyperFace"-Mode leicht anwendbar. Adam Harvey meint es mit seiner Revolution der Mode wirklich ernst. Er ist nicht nur Künstler, sondern auch Wissenschaftler und hält an der New York University Vorlesungen zu Überwachungstechnologie und Verfolgung. Mit seinen Projekten möchte er sowohl das Bewusstsein als auch das Verhalten verändern. "Heute trägt auch keiner mehr Hüte wie vor hundert Jahren," sagt meint er.

"Mode verändert sich. Vielleicht entwickeln wir in den nächsten hundert Jahren endlich eine Mode, die an die Methoden der Überwachung angepasst ist und Privatsphäre garantiert."

Adam Harvey

Auf dem Sundance Film Festival Ende Januar 2017 will Harvey die Klamotten jetzt zum ersten Mal komplett präsentieren. Bald soll man die Schals und T-Shirts auch kaufen können.