Polnischer Abgang Wenn ich mich empfehlen dürfte

Wie verlässt man ordentlich eine Party? Artig fürs schöne Fest bedanken? Und ausgiebig erklären, warum man schon geht? Fragen, ob noch jemand mitfahren möchte? Unsere Autorin geht. Wortlos. Und findet: So gehört sich das auch.

Von: Schlien Schürmann

Stand: 30.10.2017 | Archiv

Polnischer Abgang | Bild: BR

Ich bin sehr strikt, was private Feste angeht. Ich halte es für ausgesprochen unverschämt, sich - selbst auf eine Facebook-Einladung - einfach nicht zu melden. Ich kotze im Strahl, wenn mir jemand während der Party eine lahme Ausrede à la "Woah ich bin voll müde, ich glaub, ich komm doch nicht mehr" schickt. Und komplett das Kraut ausschütten kann man mir, wenn einer unangekündigt und aus purer Verpeiltheit vier Stunden zu spät erscheint.

Mein persönlicher Party-Knigge gebietet es mir, pünktlich zum Festbeginn auf der Matte zu stehen: Bei engen Freunden mit maximal fünf Minuten, bei entfernten Freunden oder Kollegen mit höchstens einer halbe Stunde Verspätung. Was mein Verlassen der Feier betrifft, habe ich allerdings ein Konzept, das nicht jedem taugt: Ich mach ‘nen Polnischen.

Jetzt mag sich der ein oder andere über das Wort "Polnischer" beklagen. Aber gleich vorweg: Ich habe polnische Wurzeln, ich darf das sagen. Ihr könnt es aber auch gerne "Französischen" nennen. Die Polen sprechen übrigens vom "Englischen”, die Engländer "empfehlen sich grußlos französisch", die Franzosen wiederum mit einem "Englischen". Es wird klar, was ich meine: Ich geh‘ halt ohne Tschüss zu sagen. Und das mit gutem Grund.

Sich (auf) französisch empfehlen ist eine umgangssprachliche Redensart, mit der das Verlassen einer gesellschaftlichen Zusammenkunft ohne Verabschiedung bezeichnet wird. Gleichbedeutend sind die Wendungen polnischer Abgang, sich polnisch verabschieden, sich auf polnisch empfehlen (vor allem in Nordostdeutschland) und holländisch abfahren (im Nordwesten). Wikipedia

Wenn ich mich erstmal auf eine Party eingelassen habe, nehme ich dieses Event sehr ernst. Darum werde ich mich auch in den seltensten Fällen frühzeitig verkrümeln. Es sei denn, die ausgeschenkte Gin-Tonic-Mischung lässt mich innerhalb der ersten zwei Stunden abrupt in die Glückwunschkarte reihern. Ich unterhalte mich munter mit möglichst jedem, tanze bei Bedarf auch mal mit auf den Tischen, kann aus dem Stand zwei, drei humorvolle Bemerkungen einfließen lassen, ich singe, wenn es sein muss, von "Happy Birthday" bis "Skandal im Sperrbezirk" alles mit und im besten Fall hab ich sogar noch eine Flasche Sekt mitgebracht.

In dieser fabelhaften Stimmung eines erfolgreichen Festes, befindet sich natürlich auch der ausgelassene Gastgeber selbst jederzeit im Gespräch oder beim Tischtanz. Wenn ich also beschließe, jetzt wär’s Zeit zu gehen, dann tue ich das. Pronto. Und wortlos.

Partystimmung zählt mehr als Höflichkeit

Denn was hätte ich dem Gastgeber auch zu sagen? "Du, sorry, ich muss dann leider los, ist ja auch schon recht spät, muss morgen früh raus, meine Katze braucht Fressi, ich muss noch zu dieser anderen Party von einer Freundin, ich finde die Musik hier echt anstrengend, mein Handy liegt im Klo, mein Taxi wartet, auf dem Herd zuhause kocht noch Wasser und mein Bruder Kevin ist ganz allein zuhaus…" Ist da irgendwas dabei, was der Gastgeber dringend sofort erfahren muss? Wofür ich sein/en Gespräch/Tischtanz unterbrechen sollte? Und sollte ich mit meiner Verabschiedung riskieren, dass andere, bislang zu höfliche Leute, sich anschließen? Die, die sich eigentlich schon seit einer halben Stunde davonstehlen wollten und nur nach der passenden Gelegenheit gesucht haben, ihre feigen Ärsche irgendwo dranzuhängen?

Die Antwort lautet: Nein. Und deshalb gehe ich. Polnisch. Und ich finde, das sollten alle tun. Bis auf die, die ganz zum Schluss noch irgendwo bewusstlos in der Ecke rumhängen. Auf dem Heimweg schreibe ich dem Gastgeber allerdings noch ein Dankeschön für die tolle Party. Auf "Senden" drücke ich möglichst lange nach meinem Verschwinden.