Kommentar Ich will mich für Feiern ohne Alkohol nicht rechtfertigen müssen

Wie viel Alkohol man trinkt und wie selbstverständlich das ist, merkt man erst, wenn man es mal nicht tut. Seit meinem Sober-Monat weiß ich: Keinen Alkohol zu trinken, wird nicht einfach akzeptiert.

Von: Linda Becker

Stand: 17.01.2017 | Archiv

Alkoholfrei feiern | Bild: BR / Lukas Westner

Überhaupt keinen Alkohol zu trinken, klingt erstmal nur so mäßig spaßig. Ist aber natürlich machbar. Schwangere tun das ja ständig, sogar mindestens neun Monate lang - je nachdem ob und wie lange sie das Baby dann stillen. Es sollte also anatomisch und gesellschaftlich kein Problem darstellen keinen Alkohol zu trinken. Es ist aber ein Problem. Denn Schwangere haben ein Argument, oder sagen wir lieber eine Entschuldigung, die sind nämlich schwanger. Allergiker haben auch eine Entschuldigung, die sind allergisch. Nicht zu trinken, um eine Diät durchzuziehen, ist als Erklärung warum man keinen Alkohol trinkt auch ok.

Der springende Punkt ist aber: Warum braucht man dafür überhaupt eine Erklärung? Müsste es nicht reichen, einfach keinen Alkohol zu trinken? Zack, fertig – man trinkt halt keinen.

Mein Sober-Monat geht jetzt langsam zu Ende und ich habe folgendes herausgefunden:
1. Die soziale Ausgrenzung setzt sofort ein.
2. Der Alkoholiker-Kelch ist nur knapp an mir vorbeigegangen.
3. Verhalte dich unauffällig, sonst kaufen dir die Leute nicht ab, dass du nicht trinkst.

Soziale Ausgrenzung, mein neuer bester Kumpel

Ich sage von mir selbst, dass ich gerne trinke, würde mich aber nicht als Gewohnheitstrinker bezeichnen. Wenn man aber mal einen Monat keinen Alkohol trinkt, fällt einem aber auf, bei welchen Gelegenheiten es eigentlich zur Tagesordnung gehört, dass man trinkt. Feierabend-Bier, Vorglüh-Bier, Weg-Bier, Date-Bier. Ein Glas Wein zum Kochen, eins zum Essen und dann muss die Flasche auch leer gemacht werden -  wär ja sonst schade drum. Aperitif hier, Digestif da.

Allerdings: Ein Monat ohne Alkohol muss ja wohl drin sein. Bei der ersten Wochenend-Planung schlägt meine Gewohnheit aber schon zu:

Tja, ist halt irgendwie drin und gehört zum Ausgehen dazu. Zumindest für mich und anscheinend auch für meine Freunde. Ich mache also das erste Mal Bekanntschaft mit meinem neuen besten Kumpel, der sozialen Ausgrenzung. Mir wird klar, dass Alkohol wahrscheinlich schon immer als soziales Klebeband fungiert hat.

Natürlich ist es kein Problem, nicht zu trinken. Aber merkwürdig ist es schon und man würde selbst wahrscheinlich auch erstmal denken, dass der Nicht-Trinkende dann partytechnisch raus ist. Das finde ich irre und gibt mir erst mal das Gefühl, dass mich meine Freunde vielleicht nüchtern nicht ertragen, dass ich nicht witzig genug bin und denen die Stimmung versaue, wenn ich nüchtern mitkomme.

Der Alkoholiker-Test

Ich habe mich auch mit den gesundheitlichen Aspekten eines alkoholfreien Monats auseinandergesetzt und dabei ungewollt festgestellt, dass ich von einem waschechten Alkoholiker gar nicht so weit entfernt bin. Man stellt sich da ja immer vor, dass man ununterbrochen an der Flasche hängt oder zumindest den Morgenkaffee mit Schnaps auffüllt - aber die Grenze, ab wann man als alkoholabhängig gilt, ist ziemlich schnell erreicht.

Es gibt sechs Punkte von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), von denen drei innerhalb eines Monats erfüllt sein müssen. Ich stelle fest: Gar nicht mal so schwer.

  • Starker Wunsch zu trinken - Check.
  • Man verliert die Kontrolle darüber, wie viel man trinkt. - Check. Zumindest beim Feiern.
  • Körperliche Entzugserscheinungen. - Nein, das ist bisschen krass.
  • Toleranzsteigerung aka Trinkfestigkeit. - Check.
  • Vernachlässigung anderer Interessen, um zu trinken. - Joa, ich lass mich schon schnell überreden, joggen mal ausfallen zu lassen, um auf ne Party zu gehen.
  • Alkoholkonsum trotz Gesundheitsschäden. - Nein!

Mal ehrlich, ich kenn keinen, der da nicht mindestens zwei Punkte erfüllen kann. Vielleicht nicht täglich, aber zumindest ab und an.

Klar, man kann natürlich auch ohne Alkohol Spaß haben. Aber das klingt einfach total eso: Man kann auch ohne Alkohol Spaß haben. Es klingt nach "An apple a day keeps the doctor away". Es klingt wie ein verstaubter Werbespruch des Gesundheitsministeriums. Im Kern trifft es aber das, was ich mir diesen Monat selbst beweisen will: Steil gehen, ohne Alkohol ist möglich.

Tanzen wie ein Boss

Im Club bestelle ich mir Tonic, ohne den Gin und werde sofort von meiner Thekennachbarin drauf aufmerksam gemacht, dass der Barkeeper den Gin im Glas wohl vergessen hat. Auf der Tanzfläche hab ich - voll auf Club Mate - so gute Laune, dass ich mit einem Freund die T-Shirts tausche und wir danach wild abdancen. Ein Mädchen will mir daraufhin ein Bier ausgeben, weil sie die Aktion witzig findet. Als ich ihr sage, dass ich keinen Alkohol trinke und auch sonst nicht druff bin, ist sie ehrlich überrascht, findet es dann aber super.

Ich wünsche mir - also eigentlich fordere ich – dass es ab sofort scheißegal ist, ob man Alkohol trinkt oder nicht und infolgedessen auch keiner mehr fragt, wieso genau man jetzt nicht trinken will. Ich will micht dafür nicht (mehr) rechtfertigen müssen.

Wenn man sich seinen Platz in der sozialen Mitte erstmal mühsam zurück erkämpft hat und die Tanzfläche unbetrunken zurückerobert, dann geht auch Feiern ohne Alkohol - und das ist sogar ganz geil, weil: Kein Kater, mehr Geld am Ende des Monats und die Leber kann sich auch wieder blicken lassen. Außerdem wachsen einem immens große Eier - Durchdrehen ohne Alkohol ist nämlich erstmal eine Überwindung.