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Interview mit Psychologe Ahmad Mansour "Wir müssen die 'Generation Allah' erreichen"

Der Psychologe Ahmad Mansour war selbst Islamist. Heute arbeitet er mit Jugendlichen in Projekten gegen religiösen Extremismus. Für ihn ist klar: Wenn wir weiter so über Radikalisierung reden wie jetzt, stoppen wir sie nicht.

Von: Christine Auerbach

Stand: 25.07.2016 | Archiv

Ahmad Mansour | Bild: picture-alliance/dpa

Bei seiner Arbeit an Schulen fallen Ahmad Mansour immer wieder Jugendliche auf, die unsere Gesellschaft von Grund auf ablehnen. Ihre Ideologie ist tiefverwurzelt, ihr Religionsverständnis höchstgefährlich. Ahmad Mansour kennt diese Einstellungen von sich selbst: Bis zu seinem Psychologiestudium in Tel Aviv war der Sohn arabischer Eltern Islamist. Heute arbeitet er als Psychologe bei Projekten gegen religiösen Extremismus und Antisemitismus und meint, nur wenn wir über das Problem reden und auf die "Generation Allah" zugehen, können wir die Anschläge stoppen.

PULS: Der Islamische Staat wirbt Attentäter seit Jahren übers Netz, mit Videos und Aufrufen. Wie hat sich diese Werbung in den letzten Jahren verändert?

Ahmad Mansour: Die Aufrufe sind viel intensiver und der IS spricht heutzutage sehr unterschiedliche Zielgruppen mit sehr unterschiedlichen Videos an. Da werden Jugendliche angesprochen, die gewaltaffin sind, die Lust am Töten haben. Es werden aber auch einfache Muslime angesprochen, die in unserer Gesellschaft unzufrieden sind – Frauen mit Kopftuch, die keine Arbeit finden zum Beispiel. Heute wird viel mit Verschwörungstheorien gearbeitet, Feind- und Opferrollen, dem Argument: "Schaut mal, was der Westen mit euren Ländern macht". So werden die Jugendlichen noch emotionaler und fassen irgendwann den Entschluss, nach Syrien und in den Irak auszureisen.

Wie schätzen Sie die letzten Anschläge bei uns ein? Sind das Trittbrettfahrer oder Mitläufer, die sich aus ihrem Umfeld heraus radikalisiert haben? Oder sind das Leute, die sagen, ich stehe voll dahinter, ich will mehr als zehn Minuten Fame?

Junge Dschihad-Krieger, Die Frage Grafik | Bild: report München zum Artikel Die Frage Warum ziehen junge Deutsche in den Dschihad?

Aus Bayern sind es 30, deutschlandweit mehr als 300: Junge Muslime, die im syrischen Bürgerkrieg gegen Assad und für Allah kämpfen - und oft auch sterben. Die Frage auf den Spuren der radikalsten Jugendbewegung in Deutschland. [mehr]

Das sind Jugendliche, die diese Ideologie in sich tragen. Und solange diese Ideologie da ist, werden wir weitere Anschläge haben. Weil diese Leute unsere Gesellschaft ablehnen. Darüber müssen wir reden.

Es scheint immer mehr selbstrekrutierte Islamisten zu geben, die sich im Namen des IS zu einer Tat bekennen. Sie haben sich scheinbar in kürzester Zeit radikalisiert. Was halten Sie von dieser Turbo-Radikalisierungs-Theorie?

Ich halte von der Turbo-Radikalisierung nicht so viel. Radikalisierung ist ein Prozess. Teilweise ist er sichtbar, teilweise nicht. Wir sollten darüber reden wie und wann diese Ideologie entsteht. Sie entsteht nicht erst, wenn man auf andere Menschen schießt. Diese Ideologie ist tiefgreifend in vielen Menschen schon drin. So etwas wie ein Feind- und Opferdenken wird schon durch die Erziehung an manche Kinder weitergegeben, das müssen wir in Frage stellen.

Was macht Menschen anfällig für extremistische und islamistische Ideologien?

Wir reden immer wieder von sozialen Hintergründen, die dazu führen, dass Menschen sich radikalisieren. Zweifellos spielt das auch eine Rolle. Aber wenn wir die Statistik der Ausreiser von Europa in IS-Länder anschauen, merken wir, dass nicht nur die Versager, die Perspektivlosen in den Dschihad gezogen sind, sondern auch Menschen, die hier studiert haben, die viele Möglichkeiten haben, die nicht zur Unterschicht gehören. Es spielen also auch noch andere Faktoren mit.

Welche sind das?

Saudi Arabien investiert zum Beispiel seit Jahren Milliarden in diesen Ländern, sie verbreiten das salafistische Gedankengut. Sie sagen zwar den Menschen nicht, dass sie in den Dschihad ziehen sollen, aber sie verbreiten ein Islamverständnis, das dann Radikalisierung begünstigen kann. Es gehen keine Juden, keine Christen und keine Atheisten nach Syrien zum IS, es gehen Muslime. Und deshalb müssen wir über diese Ideologie reden, die zu diesen radikalen Tendenzen führen kann.

Ist tatsächlich eine ganze Generation anfällig für religiösen Extremismus, wie Sie in ihrem Buch schreiben?

Anfällig ja, aber es geht mir nicht darum Menschen in Schubladen zu stecken. Ich bin sehr oft in Schulen und merke, dass wir in den letzten Jahren verstärkt mit Jugendlichen zu tun haben, die ein problematisches Religionsverständnis haben. Die sympathisieren nicht mit dem IS, aber sie haben ein Religionsverständnis, das sehr gewalttätig und aggressiv ist. Zwei der meistgesprochenen Worte an deutschen Schulen sind heutzutage "halal" und "haram", also "verboten" und "erlaubt". Das ist ein Schwarz-Weiß-Denken über Religion. Die Jugendlichen haben problematische Geschlechterrollen, tabuisieren Sexualität und schaffen wieder Feind- und Opferrollen. Juden, Amerikaner, der Westen, die Medien – das sind unsere Feinde, sie wollen den Islam bekämpfen und wir Muslime werden als Opfer wahrgenommen. Das greifen Islamisten auf und spitzen das zu.

Was können wir tun?

Wenn wir Islamismus bekämpfen wollen, dann müssen wir diese "Generation Allah" erreichen und für uns gewinnen. Das können wir in Schulen, durch Projekte und durch Sozialarbeit, die auf die Jugendlichen eingeht und Antworten findet.

Worüber müssten wir eine Debatte führen?

Wir müssen über den Ursprung der Taten reden. Und über Menschen, die ein Islamverständnis haben, das sie dazu bewegt, diese Gesellschaft abzulehnen. Wir müssen über Meinungsfreiheit reden, über Religionskritik, über Handschlagdebatten, über Schwimmunterricht…  Ich habe aber das Gefühl, wir reden gar nicht über Religion, weil wir Angst davor haben politisch nicht korrekt zu sein. Deshalb sprechen die Menschen solche Themen lieber gar nicht an. Ja, wir haben Pegida, die AfD und Rechtsradikale, die natürlich jede dieser Aussagen für sich benutzen. Aber damit wir Radikale und Islamisten bekämpfen, müssen wir solche Themen in der Mitte der Gesellschaft offen diskutieren - mit dem Ziel, Lösungen zu finden.


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