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Ruhmeshalle Pulp - Different Class

Keine andere Band verkörpert so schillernd und unverblümt das Lebensgefühl der Britpop-Jahre. Vergesst Blur, vergesst Oasis, Pulp haben den wahren Soundtrack dieser Ära geschrieben, fast aus Versehen.

Stand: 03.12.2010 | Archiv

Pulp - A Different Class | Bild: picture-alliance/dpa

Glastonbury 1995. Eine frenetisch jubelnde Menge feiert den neuen Stern am Britpop-Firmament. Als Jarvis Cocker eingehüllt in einem beigen Trenchcoat an jenem Abend die Bühne betritt, steht er mit seiner Band Pulp kurz vor dem Zenith seines Erfolges und hat mit "Common People" soeben die Hymne der Nation geschrieben.

"Es fühlte sich an, als wäre eine Revolution im Anmarsch", wird Jarvis Cocker später über jenen legendären Glastonbury-Aufritt sagen. Dabei sind "Common People" und die wahre Geschichte von der reichen Kunststudentin mit dem Faible für die Underclass nur der Anfang.

Ganz oben auf der Welle

Albumcover "Different Class" von Pulp | Bild: Universal Records

Pulp - Different Class (Cover)

Als Pulp im Herbst des Jahres ihr fünftes Studioalbum "Different Class" veröffentlichen, schwimmen sie plötzlich ganz oben auf der Welle der Britpop-Hysterie und liefern mit "Different Class" den passenden Soundtrack dazu.

"Different Class" ist eine bildhafte Milieustudie der englischen Gesellschaft. Die Songs sind verdichtete Abzüge einer Realität zwischen angeranzten Pub-Abenden, dem Heranwachsen in gleichförmigen Backsteinsiedlungen, chronischer Geldnot in einer tristen Suburbia-Welt. Überzeichnet, witzig, provozierend und doch bittere Wahrheit.

Dazu Geschichten über die Leidenschaften und die Abgründe menschlicher Existenz. Liebe, Hass, Betrug, Einsamkeit und eine Prise lüsterner Voyeurismus, der jegliche Anstandsregeln missachtet.

"We don't want no trouble. We just want the right to be different"

Cockers unverkennbare tiefe Stimme dominiert das ganze Album. Mal ganz nah, säuselnd flüsternd, dann verführend, fordernd, sich bis zum Exzess steigernd und eine Unzahl an gehaucht-gestöhnten "Yeahs", die dem Zuhörer tief unter die Haut fahren. Pulp zelebrieren in "Different Class" die große Geste, betreiben Klassenkampf im glitzernden Diskogewand, gepaart mit düsteren New Wave-Sounds, theatralischen Orchester-Einlagen und beschwinglichen Popmelodien.

"We don't want no trouble. We just want the right to be different", steht auf der Rückseite des Albumcovers. Und in der Tat: Pulp sind anders als die anderen Bands jener Zeit. Schillernder, direkter, realitätsgeprüft.

Pulp sind die wahren Underdogs des Britpop, sind selbst Teil jener politisch und emotional ausgehungerten Generation, die sie besingen, kennen selbst nur zu gut das Gefühl, an der eigenen Bedeutungslosigkeit zu ersticken. Fünfzehn Jahre erfolgloser Bandgeschichte, zahlloser Lineup- und Imagewechsel – und auf einmal steht ein 32-jähriger Jarvis Cocker zum charismatischen Dandy der Unterklasse hochstilisiert bei "Top of the Pops". Kein Wunder, dass diese Transformation zum Scheitern verurteilt ist und Band und Sänger in eine tiefe Sinnkrise stürzen. "Different Class" markiert den Höhepunkt und gleichzeitig den Anfang vom Ende von Pulp. Und letztlich auch von einer gesamten Ära.


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