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Plattenkritik Arcade Fire - Reflektor

Für ihr neues Album "Reflektor" haben sich Arcade Fire neu erfunden. Zumindest dem Marketing zuliebe: sie gründeten die Band Reflektors und traten incognito in britischen Clubs auf. So viel Neues steckt in "Reflektor" wirklich.

Von: Lili Ruge

Stand: 28.10.2013 | Archiv

Pressebild von Arcade Fire 2013 | Bild: J.F. Lalonde/Universal

Es muss verflixt schwer gewesen sein, dieses vierte Album zu machen. Die Erwartungen an Arcade Fire waren kilometerhoch. Tiefsinnig sollte es werden – für die Nerds. Aber auch Hits für die Massen mussten produziert werden.

Auf dem Weg zum Hit haben Arcade Fire einige Kilometer zurückgelegt. Sie sind nach Haiti geflogen, wo die Sängerin und Multiinstrumentalistin Regine Chassange herkommt, haben ein Schloss auf Jamaika bewohnt und sich mit LCD-Soundsystem-Kopf James Murphy zusammengetan. Mitgebracht haben sie eine neue Formel: Synthies statt Geigen (Violinistin Sarah Neufeld fehlt nämlich auf der Platte) und  Karibik-Rhythmen von haitianischem Getrommel bis Reggae.

Theorie als Rocksong

Eigentlich sollte Reflektor ein kurzes Album werden. Während der Aufnahmen hat sich aber irrsinnig viel Material angesammelt. Am Ende haben es dreizehn Songs auf das Album geschafft, verteilt auf zwei CDs. Und auch inhaltlich hat "Reflektor" zwei Seiten: Die erste Hälfte ist ein Rundumschlag gegen die unpersönliche Kommunikation im Internet, gegen Totalüberwachung und die Gewalt der Normalität. Ein Theorieblock in Form von Rocksongs.

Für den zweiten Teil schlagen Arcade Fire dann persönlichere Töne an. Auf Songs, wie "It's Never Over (Oh Orpheus)" oder "Afterlife" geht es um das älteste Thema des Pop: Die Liebe. Und zwar hochphilosophisch! Arcade Fire verhandeln nicht weniger, als die Unmöglichkeit der Beziehung zwischen zwei Menschen. Sozusagen Depressionen fluffig verpackt.

Tränen auf dem Tanzboden

Trotz neuer Formel stellt sich auch bei "Reflektor"  der alte Arcade Fire-Effekt ein. Der Hörer wird aufgesogen von einem Groove und dann nicht mehr losgelassen von den Texten. Untermalt von eingängigen Melodien, erzählt uns Sänger Win Butler Dinge, die so wahr und traurig sind. Eigentlich passen die Texte gar nicht zu den Pop-Hits, die Arcade Fire so zuverlässig abliefern. Wenn man richtig hinhört, muss man eine Träne verdrücken, während man mit dem Hintern wackelt.

Soundtrack der Ratlosigkeit

Das einzige, was am Ende fehlt, ist eine Lösung. Eine Medizin, für all die Wunden unseres Zeitalters, in die Arcade Fire ihre Finger legen. "Reflektor", der Song auf dem auch vor der Ausbeutung der Privatsphäre gewarnt wird, wurde als interaktives Video präsentiert – mit freundlicher Unterstützung von Google. Darf man das? Wir wissen es auch nicht. Dass Reflektor eine verdammt clevere Pop-Platte ist, hingegen schon.


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