Boysetsfire-Sänger Nathan Gray im Interview "Wir hätten das kommen sehen müssen"

Seit über 20 Jahren machen Boysetsfire politischen Post-Hardcore. Im Interview spricht Sänger Nathan Gray über den Wahlsieg von Trump, die Rolle von Protestmusik und erklärt, warum die Linke nicht mehr so albern ernst sein soll.

Von: Jasper Ruppert

Stand: 23.01.2017 | Archiv

Der Sänger der Band Boysetsfire | Bild: picture-alliance/dpa

PULS: Nathan, wie war die Situation für dich, als klar wurde, dass Trump gewinnen wird?

Nathan Gray: Das Trump-Wahlkampfteam hatte nie im Leben daran geglaubt, dass sie gewinnen. Und bei Hillary Clinton war es – man kann es nicht anders sagen – schiere Arroganz: Sie waren überzeugt, dass sie es schaffen. Als sich das dann änderte, war es ein sehr komischer und schockierender Moment für jeden. Erst als wir uns danach nochmal hingesetzt, nachgedacht und nicht aus Emotionen heraus reagiert haben, kam nach dem "Oh fuck" der Gedanke: Ich hätte das kommen sehen müssen. Wir alle hätten das kommen sehen müssen. Wenn man auf der einen Seite so arrogant ist, war es klar, dass es die Leute in die Arme von Trump treibt.

Du sprichst von der Arroganz der Linken. Was muss sich da ändern?

Wir müssen endlich lernen, nicht mehr überheblich von oben herab zu den Leuten zu sprechen. Das ist nämlich einer der Gründe, warum wir überhaupt in diesem Schlamassel stecken. Wir, die Linke, haben vergessen, wie man Spaß hat. Wir haben vergessen, wie man mit Leuten redet. Und vieles von dem, was wir machen, wirkt arrogant. Wie wenn wir den Leuten sagen würden: "Du bist dumm, du weißt nicht, was gut für dich ist." Das funktioniert so nicht. Wir müssen Wege finden, um wieder in den Dialog zu kommen. Wir müssen den Leuten zeigen, dass diese Anliegen uns in eine bessere Zukunft führen, anstatt immer neue Regeln aufzustellen.

Wird Protestmusik dabei eine große Rolle spielen?

Ja, aber sie muss sich verändern. Eines der Probleme ist auch diese alberne Ernsthaftigkeit der Linken, die die Leute in der letzten Zeit nach rechts getrieben hat. Dieses Fanatische ist so befremdlich für normale Leute, dass sie bei den Begriffen "links" oder "liberal" reflexartig rufen: "Fuck off, ihr verklemmten Arschlöcher!" Also müssen wir einen Weg finden, um aus Musik, um aus Kunst, um aus revolutionären Ideen Freunde zu machen. Weil sie das sind! Sie machen Spaß, sie lassen die Leute tanzen, lachen und den ganzen Scheiß in ihrem Leben vergessen. Wir müssen es schaffen mit der Freude, die uns Musik bringen kann, die Hässlichkeit von dem, was gerade passiert, zu bekämpfen.

Was sollten Protestmusiker konkret anders machen?

Nummer eins: Nennt es nicht mehr Protestmusik! Der Titel "politische Band" ist langweilig – und war es schon immer. Nichts ist toll an einer politischen Band. Das klingt verdächtig, das klingt fürchterlich. Aber wenn du eine revolutionäre Band hast, eine, die dir etwas gibt, dann wird dir diese Intensität, diese Liebe für Musik, das Gefühl vermitteln, dass du es mit der Welt aufnehmen kannst – anstatt, immer nur mit Parolen angeschrien zu werden. Wer will so was? Das ist scheiße. Du willst Leute, die aufstehen und dich dazu inspirieren, ein besserer Mensch zu sein und aus der Welt um dich herum einen besseren Ort zu machen. Und manchmal willst du auch einfach nur, dass sie auf die Bühne gehen und dich entertainen, so dass du eine gute Zeit hast, dich zurücklehnst und deine beschissene Woche vergisst. Es ist die Aufgabe von Musikern und Künstlern, hier eine Balance zu finden. Sie sollten nicht plump sein und die Leute nicht anschreien. Wenn du Leute dazu bringst, dass sie glücklicher mit sich selbst sind, dann werden sie andere Leute nicht wie Scheiße behandeln.