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PULS Festival 2014 - Round-up Ein Klangprofessor, Orchester und die 80er

Alle Acts auf dem PULS Festival zu sehen heißt: 16 Konzerte innerhalb von sechs Stunden. Und das heißt, dass ich heute Abend 14 mal von Bühne zu Bühne wechseln muss. Die Schuhe also stramm gezurrt - für Schnürsenkel binden bleibt heute nämlich null Komma gar keine Zeit.

Von: David Würtemberger

Stand: 30.11.2014 | Archiv

Pünktlich fünf Minuten zu spät stehe ich also in Studio 1. Kwabs. Wahnsinnsstimme, Wahnsinnsband, Wahnsinnsausstrahlung. Der unbändige Soul packt mich, ich kann nicht gehen, bis „Wrong or Right“ läuft. War ja klar, kommt zum Schluss.

Jetzt aber schnell noch kurz die letzten Takte von Adulescens schauen – Klangwolken irgendwo zwischen Postrock und Indie aus Aichach, von jungen Männern um die 20, die ich um ihr Talent beneide. Heimlich, weil Neid ist ja eigentlich nicht so cool.

Ich hänge meinem Zeitplan überraschenderweise hinterher. Also kleiner Spurt Richtung Kantine, samt sehnsüchtigem Blick auf die interaktive Lichstinstallation im Hof. Für sowas hab ich keine Zeit – jetzt heißt's Blackout Problems schauen. Die geben in der Kantine richtig Vollgas und irgendwie habe ich plötzlich enorm große Lust, ein Skateboard zu kaufen, obwohl ich selbst für einen Ollie zu dumm bin.

Ist der Typ mit der Maske...?



Wieder rüber in das Studio 1. Spätestens mit seiner 2Step-Tanzeinlage hat mich Teesy und ich wippe mit. Gerade als ich zu Hadern im Sternenhagel nach nebenan wechseln will, kommt plötzlich ein Typ mit Maske auf die Bühne. Äh, das ist doch nicht Cro? Doch, ist er. Fast schon surreal, ein Nummer-1 Künstler auf dem PULS Festival.


Kontrastprogramm: Kühle 80er Synthesizer von Hadern im Sternenhagel. Dafür, dass die Band kurzfristig eingesprungen ist, ist das Studio 2 proppenvoll. Zurecht, das Münchner Quartett begeistert mit unnahbarer Bühnenpräsenz, cleverem Songwriting und einem Sound, der wie auch immer die Balance zwischen sperrig und infektiös poppig meistert.

Und wieder raus. Shawn the Savage Kid ruft. Ich weiß, dass er etwas angeschlagen ist – aber die Bühnenendorphine scheinen zu pushen. Shawn buttert seine cleveren Reime auf vertrackte Beats und am liebsten würde ich jetzt hier stehen bleiben und exzessiv mit dem Kopf nicken – aber zurück zu den Studios, denn jetzt wird’s voll. Und zwar auf der Bühne.

Ein verrückter Wissenschaftler und Orchester

Neben Mine nimmt der imposanteste Support Platz, den man sich im Funkhaus vorstellen kann: das Münchner Rundfunkorchester! Mine hat sowohl Orchester, als auch Band, Instrumente, Stimme und uns alle im Publikum fest im Griff. Es ist ein Genuss, wie die Klangwellen über einen hinwegziehen.

Und weiter geht's: Ich surfe rüber zu Ja, Panik. Schon bei Song Nummer eins will ich hopsen, aber ich habe Angst, dass ich jemandem im rappelvollen Studio 2 die Zehen breche. Also schaue ich mich um. Die multilingualen Österreicher singen von Libertatia – und tatsächlich, ich habe das Gefühl, als läge ein wenig Freiheit in der Luft. Oder ist das einfach nur zu wenig Sauerstoff!?

Occupanther

Was für ein Bild: Ich verlasse die Ösi-Utopie in Richtung Kantine. Aber Occupanther ruft. Und zum ersten mal erlebe ich vor der Kantine eine ellenlange Schlange. Die Bässe pumpen schon nach draußen und ich fühle mich fast schon schlecht, als ich mich mit meinem Crew-Pass durchmogle. Und sofort verstehe ich die Schlange: Das hier, das ist groß. Es ist verdammt groß und wird um die Welt gehen. Wie ein verrückter Wissenschaftler dreht der Occupanther an den Reglern, Josie von Claire singt und ein Jazz Gitarrist breitet die Akkorde auf einem Klangteppich aus. Die Masse tanzt und schwitzt, es ist unbeschreiblich.

HipHop meets Klassik

Wieder muss ich aus Zeitmangel vor Konzertende raus und verfluche diesen Job – aber vergesse es in nächsten Moment. Denn in Studio 1 erwartet mich wieder ein absolutes Highlight: Deltron 3030 mit dem Rundfunkorchester. Zwei Welten treffen aufeinander und bilden den interstellaren Deltron Kosmos. Ich verstehe nicht, wie sie tun, was sie da tun, aber ich liebe es. Ich nehme eine Freundin auf die Schulter, deren Idol Kid Koala ist und wir grooven mit 2,50 Meter zu Streichern, Bläsern und Scratches. So surreal wie wundervoll.

Und weiter geht es mit Klangwundern. Son Lux im Studio 2 lässt meinen Kopf fast explodieren. Wie können diese Menschen so eine Klangfront aus ein paar Instrumenten herausholen? Es ist sperrig, es ist verkopft, es ist experimentell – wenn ich mich umdrehe, sehe ich gefühlt mehr offene Münder als ein Zahnarzt im ganzen Jahr.

Hoher Norden und tiefstes Bayern

BBou

Kinn wieder hochklappen und rüber in die Kantine. BBou pfeifft auf die Außentemperaturen im einstelligen Bereich – der Rapper aus der Oberpfalz hüpft barfuß rum und lässt seine boarischen Reime durch die Kantine springen. Nebenbei stößt er mit der Crowd an und macht mal wieder klar: Mundart und Rap – läuft.

Und ab geht’s zum anderen Ende von Deutschland. Trümmer aus Hamburg und der Saboteur rufen. Ich verpasse leider den Einstieg mit dem mysteriösen Lambert. Der hat angeblich auch ne Maske – schon wieder Cro!? Egal, Trümmer machen auch in Standardbesetzung einiges her und ich habe schon lange nicht mehr so viel Rock’n’Roll auf einer Bühne gesehen wie jetzt gerade.

Das totale Chaos im Studio 1 ruft! Bonaparte reißen gelinde gesagt die ehrwürdigen Hallen ein. Action Painting, faszinierend-abstruse Tanzperformances, das Rundfunkorchester, der lebende Flummiball Tobias Jundt, Crowdsurfer, Wasserflaschenduschen, hämmernder Sound – TOO MUCH? Was’n das für ne Frage!?

80er und das Hier und Jetzt

Ein letztes mal in die Kantine. Ballet School lassen die 80er wiederauferstehen. Und zwar den wunderschönen, inspirierenden und niemals alternden Teil der 80er, irgendwo zwischen Kate Bush, Cocteau Twins und Blondie. Und nicht zuletzt möchte ich wissen, wo diese Menschen einkaufen, denn den Preis für den besten Style des Abends haben Ballet School verdient.

Ein wenig wehmütig schlürfe ich zum letzten Konzert – auf das ich mich schon seit Wochen freue. Kate Tempest beschließt das PULS Festival 2014. Und wie sie das tut – ich und die restliche Meute verfallen in Dauergrinsen wegen der ultrasympathischen Londonerin. Selten habe ich so eine natürliche, charismatische Person auf einer Bühne stehen sehen – das ist wohl dieses „real“, von dem immer alle reden. Es hätte wohl keinen besseren Abschluss geben können, als die Zugabe von Kate Tempest. Es gibt da ein Wort, das viel zu oft verwendet wird, aber für diesen Abend trifft es einfach zu: magisch.

Epilog: Wie ich so diesen Text tippe, erzählt mir meine Redakteurin nebenbei von der Aftershowparty, die ich arbeitsbedingt ausfallen lassen musste. Prädikat "legendär": Puls DJ Lili Tralala legt Schlachthofbronx auf, Kate Tempest fühlt sich plötzlich so inspiriert, dass sie einen Kopfhörer in den Mikrofoneingang stöpselt und nochmal ne Runde freestyled. Kwabs schaut auch noch vorbei, Kate will nen härteren Beat, ballert Reime und Verse wie ein Maschinengewehr und der Traum eines jeden Festivalbesuchers geht in Erfüllung: Künstler und Publikum werden eins. Naja, für mich bleibt es noch beim Traum – den erfüll ich mir dann eben nächstes Jahr.


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