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Einmal wirklich sterben Resilienzexpertin Nicole Willnow

Stand: 20.11.2015

Nicole Willnow | Bild: Romy Geßner

Nicole Willnow ist Mitbegründerin der "Gesellschaft für Resilienz", die 2014 ins Leben gerufen wurde, um für das Thema zu sensibilisieren. Sie hat den Tatort: „Einmal wirklich sterben“ gesehen und erklärt im Interview, was "Resilienz" bedeutet und welche Formen von Resilienz im aktuellen Tatort zu finden sind

 Was sehen Sie in der Figur der Ella/Emma im Tatort „Einmal wirklich sterben“?

Nicole Willnow: Der wichtigste Aspekt, den ich in diesem Tatort sehe, ist, dass Ella als Kind ihr wichtigstes Netzwerk, ihre Familie verliert. Die Personen, die ihr am meisten hätten helfen können, sind weggebrochen – also im Grunde der für Kinder entscheidende Faktor beim Aufbau von Resilienz. In einem so schweren Fall von Kindheitstrauma, wie es der Tatort zeigt, ist von einer Erholung ohne professionelle Hilfe von Beginn an eigentlich nicht auszugehen.   

Der Tatort zeigt also in gewisser Weise die Grenzen von Resilienz?

Nicole Willnow: Richtig. Der Vater, der sich wieder ein neues Leben aufgebaut hat, ist im Grunde wesentlich resilienter als das Kind. Er war nach der Tat zunächst ein Jahr in Therapie, ihm wurde professionell geholfen. Bei Ella hingegen wissen wir nicht, ob sie nach diesem Erlebnis professionelle Hilfe erfahren hat. Wenn dies nicht der Fall war, dann ist dies sicher eine Form von Trauma, die keine oder kaum Resilienz zulässt.

Die Figur der Ella bzw. Emma zeigt uns also die Grenzen von Resilienz. Vermutlich hätte man sie mit rechtzeitiger, therapeutischer Hilfe vor sich selbst schützen können, aber nach dieser Vorgeschichte, an dem vermeintlichen Tod des Vaters und dem Tod seiner unschuldigen Frau nicht zu zerbrechen, das wäre vermutlich auch mit professioneller Hilfe kaum jemandem wirklich gelungen.

Wovon hängt Resilienz und die Frage, inwieweit diese sich überhaupt entwickeln kann, entscheidend ab? 

Die Faktoren, die bei Resilienz eine Rolle spielen, haben oft gar nicht zwingend etwas mit der akuten Krise zu tun. Man kann schon sagen, dass man grundsätzlich mit Traumata umgehen lernen kann. Es gibt dabei die unterschiedlichsten Interpretationen und Ansätze, je nach Fall spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle. Grob gesagt ist Resilienz die Fähigkeit, sich nach einem Schicksalsschlag oder einer schweren Zeit wieder aufrichten und nach vorne blicken zu können. Dahinter stehen die verschiedensten Geschichten, die ganz unterschiedlich erlebt und von den einzelnen Personen auf die unterschiedlichste Weise verarbeitet wurden – oder eben nicht. Dazu kommt, dass Resilienz etwas ist, was immer wieder aufgefrischt werden muss, je nach Lebenssituation kommen andere Resilienz-Faktoren zum Tragen, die zusammen zur mentalen Stabilität beitragen.

Und wie kann Resilienz aufgefrischt und dauerhaft gestärkt werden? Kann man Resilienz „trainieren“?

Ja, es ist möglich, Resilienz zu trainieren. Die Bewusstwerdung der Resilienz-Faktoren, die das persönliche Resilienz-Profil bestimmen, ist schon der erste wichtige Schritt, denn sie zeigen uns den Weg zu den eigenen Stärken. Wenn ich z.B. verstehe, dass es in meiner Selbstverantwortung liegt, eigene Entscheidungen zu treffen, die mich aus einer Krise herausführen, erwarte ich nicht mehr, dass sich von alleine etwas ändert und jemand anders das Problem beseitigen wird. Entscheidungen zu treffen, fällt vielen Menschen schwer, aber man kann es üben. Man kann sich z.B. mehr Informationen über die Konsequenzen einer Entscheidung besorgen und dann leichter das Für und Wider abwägen. Jede getroffene Entscheidung führt einen Schritt raus aus der Krise. 

Auch ausgehend davon, dass keine schwere Traumatisierung vorliegt – Wie kann jeder Einzelne die eigene Resilienz stärken – gibt es gar „Alltags-Tipps“?

Nach den Alltagstipps werden wir häufig gefragt, aber damit tue ich mich schwer. Es ist schon ein System, das hier ineinandergreift, und keine Liste zum Abarbeiten. Aber verlassen Sie doch einfach mal öfter angestammte Wege, suchen Sie neue Orte auf, probieren Sie neue Dinge aus: das hilft Ihre Kreativität zu steigern, um im Ernstfall durch neue Ideen andere Lösungswege aus schwierigen Situationen zu finden. 

Welche Erfahrungen machen Sie als Mitgründerin der Gesellschaft für Resilienz, wenn es um Resilienz bei Kindern geht?

Ich werde oft gefragt, ob wir auch Resilienz-Kurse für Kinder anbieten. Es scheint also ein zunehmender Wunsch der Eltern vorhanden zu sein, ihre Kinder möglichst von klein auf zu stärken für die Unwägbarkeiten des Lebens. Viele, heute wichtige Erkenntnisse zum Thema Resilienz kommen aus der Kinderpädagogik. Bei einigen Pädagogen gehört das Fachgebiet Resilienz zur Ausbildung, aber leider nicht bei allen. Meiner Meinung nach besteht hier Änderungsbedarf, denn man kann gar nicht früh genug anfangen, die eigene Resilienz zu stärken, im Kindesalter kann das ja ganz spielerisch passieren.


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