Presse - Intendant


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promedia-Interview "Wir müssen Neues ausprobieren"

Intendant Ulrich Wilhelm über Trimedialität und Pläne für ein Aktualitätszentrum im BR. Interview: Helmut Hartung (promedia 1/2012).

Stand: 19.12.2011

1. Welche Rolle spielt heute der Bayerische Rundfunk für die Information der Bayern?
Der BR ist eine wichtige Klammer für die Identität Bayerns. Unsere Mitarbeiter nehmen ihren  Auftrag, regional umfassend aus Bayern zu berichten , Bayern in all seinen Färbungen, Facetten und Lebensbereichen darzustellen, sehr ernst. Das findet auch über Bayern hinaus Beachtung. Es gibt kein anderes Medium, das aus dem Freistaat flächendeckend in dieser Intensität berichtet. Wir haben 22 Korrespondentenbüros, senden zwei Fernsehprogramme, zehn Hörfunkprogramme und informieren online rund um die Uhr. Täglich erreichen wir 7,55 Millionen Menschen in Bayern, das entspricht 65 Prozent der Bevölkerung. Wir haben uns einen wachen, kritischen Blick auf die Entwicklungen in unserem Land bewahrt.

2. Müssen Sie sich nicht Sorgen machen, dass Ihr Sender durch web-Radios, Hybrid-TV und regionale Online Angebote anderer Medien oder Dienstleister seine bedeutende Position einbüßt?
Selbstverständlich bleibt es eine Herausforderung, unsere Stellung auf allen neuen, sich entwickelnden Verbreitungswegen zu halten. Wie die gesamte Branche arbeiten wir täglich daran, in einem sich rasant wandelnden Umfeld, technisch Schritt zu halten. Alle unsere Hörfunkprogramme sind bereits via Internet empfangbar, viele Sendungen des Bayerischen Fernsehens können über die Mediathek live gesehen oder später abgerufen werden. Der BR ist außerdem zusammen mit den anderen ARD-Anstalten, dem ZDF und dem Institut für Rundfunktechnik in München maßgeblich an der Weiterentwicklung des Hybrid TV beteiligt. Die linearen Hörfunk- und Fernsehprogramme des BR wachsen im Onlinebereich immer enger zusammen. Unsere starken Marken Rundschau und Abendschau gibt es auch als Apps für iPhone und iPad. Außerdem steht beim BR die Umstellung auf das HD-Fernsehen an. Wir haben mit Bayerntext Plus auch unser Teletextangebot verbessert. Die Gebührenzahler erwarten zurecht, dass wir sie in technisch zeitgemäßer Form und in hoher Qualität bedienen. Es ist eine Herausforderung, aber wir sind gerne gefordert. Im Übrigen: vier von fünf Bürgern zählen uns seit Jahren zu den angesehensten Institutionen Bayerns, entweder Platz eins oder Platz zwei.
Bayern 1 bleibt das meistgehörte Radio Bayerns, Bayern 3 hatte in der letzten Mediaanalyse die besten Einschaltquoten seit über 20 Jahren.

3. Sie sprechen seit Ihrem Amtsantritt davon, dass Qualitätsmedien in Deutschland eine Verantwortungsgemeinschaft bilden. Sie haben sich immer wieder für eine Verständigung mit den Verlegern eingesetzt, trotz deren Klage gegen die Tagesschau-App. Können Sie sich auch weitergehend, bei digitalen regionalen Angeboten, eine Kooperation mit Zeitungen oder Zeitschriften vorstellen?
Wenn eine Säule der Gemeinschaft der Qualitätsmedien bricht, beschädigt dies unmittelbar den gesellschaftlichen Diskurs. Wir brauchen zum Funktionieren der Demokratie einen lebendigen, medialen Resonanzboden. Die vielen Gespräche, die wir seitens der Intendanten mit den Verlegern führen, zeigen mir, dass es den Konsens gibt, dass wir uns gegenseitig  stärken und nicht schwächen sollten. Ein schwacher öffentlich-rechtlicher Rundfunk würde das Gesamtsystem der Qualitätsmedien beschädigen. Die Qualitätszeitungen und öffentlich-rechtlichen Sender ergänzen sich mit ihren Kernkompetenzen ideal. Beide Gruppen müssen ihren Platz haben in der sich stark verändernden Medienlandschaft, die international von finanzstarken Internet-Konzernen dominiert werden wird. Wir sind offen für mehr Kooperation auch im Regionalen.

4.  Sie möchten innerhalb von fünf Jahren ein gemeinsames Aktualitätenzentrum von Fernsehen, Hörfunk und Online schaffen. Ist das angesichts der zunehmenden Bedeutung des Internets und einer veränderten Mediennutzung nicht zu langsam und zu spät?
Wir erleben in der Medienbranche international wohl den größten Umbruch seit der Erfindung des Buchdrucks. Niemand kann heute sicher vorhersagen, welche Entwicklung das Internet in den nächsten zehn Jahren nimmt. Unbestritten ist jedoch, dass klassische Medien ihre Kompetenzen im Internet stärker zur Geltung bringen müssen, um ihre Stellung zu sichern. Uns geht es beim BR darum, auf allen Distributionswegen - also Hörfunk, Fernsehen und Online – stärker zu werden, indem wir journalistische Kompetenzen bündeln. Dies erfordert ein intensives Miteinander der Kollegen, zum Beispiel durch arbeitsteilige Recherche und crossmediale Themenplanung. Das soll im neuen trimedial ausgelegten Aktualitätszentrum geschehen, das jetzt geplant und gebaut werden wird. In der Praxis sind wir damit bereits in unseren Studios in Nürnberg und in Würzburg mit medienübergreifenden Einheiten. Selbstverständlich werden auch Erfahrungen anderer Sender einbezogen. Der Prozess der trimedialen Integration des BR läuft unter enger Beteiligung der Mitarbeiter. Ein Gemeinschaftsprojekt dieser Dimension muss von den Mitarbeitern getragen werden.

5. Bereits heute verfügen Radio Bremen und der RBB über gemeinsame Redaktionen für TV, Hörfunk und Online und es existiert nur noch ein Programmdirektor für alle Bereiche. Warum lässt sich so etwas nicht bei Ihnen schneller umsetzen?
Der Bayerische Rundfunk ist die erste große ARD-Anstalt, die eine solch großangelegte trimediale Reform startet. Das Aktualitätenzentrum ist ja nur ein Element.  Überall dort, wo es sinnvoll ist, werden wir uns multimedial integriert aufstellen. Jeder Sender, muss den trimedialen Prozess vor dem Hintergrund der jeweiligen Gegebenheiten planen. Beim BR sind Hörfunk und Fernsehen traditionell getrennt an kilometerweit auseinanderliegenden Standorten angesiedelt. Dies macht die Reform aufwendiger. Gemeinsam mit den Mitarbeitern entwickeln wir derzeit verschiedene, alternative Pläne, um zu optimalen Arbeitseinheiten an den verschiedenen Standorten zu gelangen.

6. Wie sehen sie perspektivisch beim Bayerischen Rundfunk das Zusammenwirken von TV-Berichterstattung, Hörfunk und Online (incl. Mobile)?
Die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hing immer davon ab, dass er allen Gebührenzahlern seine Informationen auf allen technischen Verbreitungswegen zur Verfügung stellt. Technische Trends und Standards ändern sich ständig. Die Grenzen zwischen den medialen Erlebniswelten Fernsehen, Kino, Hörfunk und Online werden verschwimmen, sich aber nicht auflösen. Es gibt auch ein starkes Bedürfnis nach mehr Nutzerfreundlichkeit, das zeigt der Siegeszug der Apps.

7. Müssen bei Ihnen im Haus vielleicht auch neue Online-Angebote, die auch mobile verbreitet werden, entwickelt werden? Beim SWR, Radio Bremen oder beim SR existieren dafür "Laboratorien". Ein Vorbild für Sie?
Die Laboratorien sind wirklich eine gute Idee. Die Grundsatzfrage ist: Wie schaffen wir es, dass die besten Ideen, ganz gleich wo sie im Unternehmen entstehen, gebündelt, priorisiert und schnell entschieden werden?  Hier  wollen wir flexibler werden.
Bei unserem Online-Auftritt gab es Ende Oktober ein Facelifting mit neuer Optik, mit  deutlich mehr Videos und einer verbesserten Struktur unter www.BR.de. Unsere Nachrichtensendung Rundschau im Bayerischen Fernsehen bietet 100-Sekunden-Nachrichtenpakete an, die laufend aktualisiert werden und via Smartphone über das Wichtigste aus Bayern, Deutschland und der Welt informieren. Die Abendschau, unser tägliches Regionalmagazin, bietet seit diesem Jahr eine App für das iPad mit allen wichtigen Beiträgen aus Bayern an. Zudem haben wir schon seit mehreren Jahren eine Hörfunk-App, mit der sechs Radiosender des BR via Smartphone empfangbar sind.

8. Kommen Sie dazu mittelfristig um eine Budget-Umverteilung von analogen Inhalten und analoger Verbreitung, zu digitalen Inhalten und Verbreitung, herum?
Es geht nicht um Umverteilung in einem statischen System, sondern darum, sich den Veränderungen der Medienwelt anzupassen.

9. Der BR hat - wie alle Dritten Programme - Probleme junge Menschen zu erreichen? Welche ersten Überlegungen existieren bei Ihnen, um wieder mehr Jüngere an den BR zu binden?
Im Bayerischen Fernsehen setzen wir über weite Programmstrecken bewusst auf  Information, jüngere Publika nutzen jedoch öfter Unterhaltungsangebote. Gleichwohl haben wir gute Formate für Jüngere, zum Beispiel die "Sebastian-Winkler-Show", außerdem „quer“, das multimediale Jugendangebot „on3“ oder die neue Reihe "Checker Can", die wir für das Erste und den Kinderkanal produzieren.  Das Fernsehen hat es oftmals schwerer als Hörfunk, junges Publikum zu erreichen. Mit unseren fünf über UKW verbreiteten Hörfunkprogrammen erreicht der Bayerische Rundfunk täglich mehr als eine Million der 10- bis 29-Jährigen in Bayern, der Marktanteil in dieser Zielgruppe liegt bei fast 40 Prozent. Allein BAYERN 3 schalten jeden Tag knapp 800.000 der 10- bis 29-Jährigen ein.

10. Die ARD will, um mehr junge Leute zu erreichen die Erfahrungen der jungen Radiowellen nutzen. Da hat es der BR aber wahrscheinlich schwer. Ist es aus Ihrer Sicht erforderlich, dass auch der BR eine junge Welle wie "Fritz" oder NJoy" oder "1 Live" erhält?
Der Bayerische Rundfunk bietet bereits seit mehreren Jahren eine vergleichbare junge Welle. 2008 haben wir die zu diesem Zeitpunkt bereits vorhandenen Jugendangebote aus Hörfunk und Fernsehen unter der gemeinsamen Marke "on3" gebündelt und zu einem multimedialen Programm speziell für junge Menschen ausgebaut.  2012 werden wir das Angebot für junge Hörer auch auf den UKW-Frequenzen stärken, konkret in den Wellen von BAYERN 3 und Bayern 2.

11. Bietet sich mit DAB+ eine Chance für ein junges Radioprogramm, mit dem Sie viele junge Bayern erreichen?
Der BR hat ja von Anfang an auf das digitale Radio, also DAB bzw. das Nachfolgeformat DAB+ gesetzt und sendet sein Jugendprogramm "on3" auch auf DAB. Das digitale Radio bietet gerade für die jüngeren Hörerinnen und Hörer interessante Zusatzinformationen wie Titel, Interpret und das passende CD-Cover - so wie sie es zum Beispiel von ihrem iPod gewohnt sind. Der BR hat vor wenigen Wochen zudem ein Pilotprojekt mit dem neuen Verkehrsservice TPEG gestartet, der einen weiteren Vorteil von DAB+ darstellt. TPEG liefert detaillierte Informationen über Alternativrouten, arbeitet enger mit dem Navigationsgerät im Auto zusammen und kann somit helfen, dem Fahrer Zeit und Kraftstoff zu sparen. Im nächsten Jahr soll die Zahl verkaufter DAB+-Empfänger deutschlandweit die Zahl von einer Million überschreiten. Die breite Masse der Bevölkerung wird aber auch in den kommenden Jahren nach wie vor über UKW Radio hören.

12. Was halten Sie von einer ARD-Online-Seite für junge Leute, die sich aus Radio- und TV-Angeboten aller Anstalten speist?
Die ARD hat sich vorgenommen, das Angebot für jüngeres Publikum zu erhöhen. Zum Beispiel im nächsten Jahr mit einer "tagesWEBschau" im Internet und auf Eins Extra. Sie wird etwa zwei bis drei Minuten lang sein. Es soll ein Zusatzangebot zu den bekannten Nachrichtensendungen werden und beispielsweise berichten, wie das Netz auf bestimmte Nachrichten reagiert hat. Untersucht wird parallel, ob junge Menschen ein solches Angebot annehmen. Wir müssen Neues ausprobieren und uns die Flexibilität bewahren, uns schnell auf veränderte Interessen des jungen Publikums und neue Trends einzustellen.


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