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Intendant Ulrich Wilhelm SZ-Interview zum Konzertsaal für München

Zwei Philharmonien am Gasteig? Nur eine Renovierung der bestehenden Säle? Oder ein Neubau am Finanzgarten? Der Streit um Münchens Konzertsäle ist wieder voll entbrannt, seitdem Ministerpräsident Horst Seehofer eine enge Kooperation zwischen Staat und Stadt vorgeschlagen hat. BR-Intendant Ulrich Wilhelm positioniert sich in der Debatte klar.

Stand: 25.11.2014

Der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm | Bild: BR / Foto Sessner

"München läuft Gefahr, sich zu blamieren"

Interview von Franz Kotteder und Christian Krügel

SZ: Der Bayerische Rundfunk will für seine Orchester einen Konzertsaal haben, der Staat soll ihn im Wesentlichen bezahlen. Verstehen Sie, dass mancher fragt: "Braucht's des wirklich?"

Ulrich Wilhelm: Unsere Interessen als BR sind das eine. Wir rufen hier ja nur deshalb nach der öffentlichen Hand, weil wir durch das europäische Beihilferecht eingeschränkt sind und den Konzertsaal nicht selbst bauen können. Rundfunkbeiträge sind ja in erster Linie für das Programm bestimmt. Das andere ist die grundlegende Frage: Welche Infrastruktur für große Orchestermusik braucht München, braucht Bayern? Der Großraum München ist in den letzten Jahrzehnten um mehrere 100 000 Bürger gewachsen. Viele der neu Zugezogenen bringen ein hohes Interesse an Kultur mit. Museen wurden erweitert und ergänzt: die Pinakotheken, das Lenbachhaus, die Sammlung Brandhorst etwa. Aber bei den Sälen, die für sinfonische Orchestermusik geeignet sind, ist - was die Gesamtkapazität angeht - seit Eröffnung des Herkulessaals im Grunde nichts passiert. Der frühere Kongresssaal des Deutschen Museums wurde 1985 bei nahezu identischer Platzzahl durch die Philharmonie im Gasteig ersetzt. Was wir daher brauchen - und "wir", das ist einerseits der BR mit seinem Weltorchester und andererseits der große, lebendige Musikstandort München - ist ein zusätzlicher Saal mit einer Kapazität von ungefähr 2000 Plätzen.

SZ: Warum so groß?

In dieser Größenordnung können Säle wirtschaftlich betrieben werden. Das ist vor allem ein Thema für Gastorchester und freie Konzertveranstalter. Und wir wollen ja auch, dass mehr Spitzenorchester aus der ganzen Welt zu uns nach Bayern kommen. Zum anderen ist diese Größe aber auch für die Akustik wichtig. Wenn die Räume zu klein sind, dann klingen dort schon die Werke des späten 19. Jahrhunderts und des 20. Jahrhunderts nicht mehr adäquat. Wir können das immer wieder im Herkulessaal erleben, der an seine akustischen Grenzen stößt, wenn Sie etwa Mahler, Richard Strauss, Schostakowitsch oder Hindemith aufführen.

SZ: Sie sehen das also als Problem aller Münchner Klassikfreunde?

Ich spreche mit sehr vielen Künstlerpersönlichkeiten aus dem Bereich der Musik. Ich treffe nicht einen, weltweit, der nicht dringend Bedarf für einen zusätzlichen Saal mit erstklassiger Akustik in München sieht. Sehr viele Städte in der Welt, die auf ihre Musiktradition etwas geben, haben neue Säle verwirklicht. Es gibt einen regelrechten Boom an neuen, erstklassigen Sälen: Helsinki, Reykjavik, Dortmund, Luzern, Luxemburg, Kattowitz, demnächst Breslau. Säle mit erstklassiger Akustik ziehen Spitzenkünstler und ein größeres Publikum an und befruchten die musikalische Nachwuchsarbeit.

SZ: In München ist von diesem Boom nichts zu spüren. Die aktuellen Vorschläge sprechen eher vom Umbau vorhandener Säle.

Ja, ich wundere mich manchmal über die öffentliche Diskussion in München. Wir haben mit unseren drei Spitzenorchestern die wahrscheinlich lebendigste Musikszene in Europa im Bereich der Klassik. Wir haben aber nicht das, was diese Klangkörper auch brauchen: Säle mit einer erstklassigen Akustik. Dabei gibt es nur wenige Städte mit einem derartigen musikalischen Erbe und einer so reichen Tradition wie München, mit Uraufführungen von Mozart über Mahler, über Richard Wagner und Richard Strauss bis hinein in die Moderne. Jede Generation von Verantwortlichen hat die Aufgabe, ein so großartiges Erbe immer wieder neu zu beleben.

SZ: Es geht Ihnen aber doch auch um Ihr Symphonieorchester.

Wir haben das beste Orchester von allen ARD-Sendern. Wir könnten mehr Konzerte geben, wir könnten die Zahl unserer Abonnenten erhöhen. Nur die Hälfte unserer Abonnenten kommt übrigens aus München, die andere Hälfte aus ganz Bayern und darüber hinaus. Die Berliner Philharmoniker haben mit ihrer digitalen Konzerthalle weltweit Maßstäbe gesetzt. Das konnten sie tun, weil sie immer in der Philharmonie auftreten und dort feste Kameraplätze und Technik einrichten konnten. All das können wir, wenn wir ständig umziehen müssen, nicht auf dem erforderlichen Niveau tun.

SZ: Zu Ihrem Amtsantritt als Intendant 2011 sagten Sie: Das ist ein Projekt, das ich unbedingt verwirklichen will. Ministerpräsident Seehofer versprach im Januar 2012, einen Saal zu bauen. Seither ist fast nichts passiert. Waren Sie zu naiv?

Wir hatten in der Arbeitsgruppe Konzertsaal schnell einen Konsens, dass der Standort auf der Museumsinsel ein hervorragender Standort sein könnte. Für uns war es eine große Enttäuschung, dass sich die Diskussion um diesen Standort im Kreise gedreht hat und wir letztlich nur Zeit verloren haben. Umso wichtiger ist, dass wir jetzt vorankommen. München läuft allmählich Gefahr, sich mit dieser Endlosdebatte zu blamieren. Die Rolle des Verspotteten wollen aber auf Dauer weder die Stadt noch der Freistaat.

SZ: Eine neue Studie sagt, dass die Auslastung des Herkulessaals und anderer Spielstätten nach unten gehen würde, wenn es einen zusätzlichen Saal gäbe.

Ich glaube überhaupt nicht daran. Die freien Konzertveranstalter können ja bei Weitem nicht den Bedarf decken, den sie sehen. Sie könnten viel mehr Konzerte anbieten. Uns sagen auch viele Spitzenorchester aus anderen Teilen der Welt, dass sie nach München wollen. Man schätzt den Sachverstand des Publikums, natürlich auch die Kaufkraft der Münchner und der vielen Touristen hier. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir einen zusätzlichen Saal gut nutzen könnten.

SZ: Auf den Vorschlag Seehofers, mit der Stadt im Gasteig eine Lösung zu suchen, haben Sie reserviert reagiert. Warum?

Wir müssen festhalten: Wir brauchen zusätzliche Kapazität in München und nicht nur einen Umbau der bestehenden Säle, weil wir heute schon an die Grenzen stoßen.

SZ: Und zwei Konzertsäle am Gasteig - ist das eine Option für Sie?

Dazu müsste der Gasteig ja aufwendig umgebaut werden, doch was passiert in der Zwischenzeit mit dem Spielbetrieb? Außerdem sind im Gasteig ja neben der Philharmonie auch die Stadtbibliothek und die Volkshochschule untergebracht. Es wird von der Stadt zu bewerten sein, ob für diese Einrichtungen eine Unterbringung an anderer Stelle in München möglich ist. Oberbürgermeister Dieter Reiter möchte zu Recht schnell Klarheit. Und es liegt ja nicht im Interesse der Stadt und auch nicht in unserem, jahrelang die Sanierung des Gasteigs aufzuschieben, um diese Frage aufwendig zu prüfen.

SZ: Das Kunstministerium favorisiert offenbar den Komplettumbau des Herkulessaals. Was halten Sie davon?

Der Herkulessaal ist heute mit rund 1300 Sitzplätzen ein sehr guter Saal -allerdings für kleinere Orchesterbesetzungen oder für Kammermusik. Er hat eine hervorragende Akustik für Werke, die kein so großes Klangvolumen entfalten. In den Grenzen seiner heutigen Mauern und der Raumhöhe mehr Sitzplätze zu schaffen, würde das Problem der Akustik bei größeren Orchesterbesetzungen nicht lösen. Plakativ gesagt: Selbst wenn wir innerhalb der bestehenden Kubatur des Herkulessaals 2000 Sitzplätze irgendwie realisieren würden, wäre die Akustik nicht auf Weltniveau. Für eine wirklich gute Lösung müsste man den Herkulessaal unter Einbeziehung des Apothekenhofs erweitern.

SZ: Ist für Sie also nur ein Neubau beim Finanzgarten die Lösung?

Ich glaube, dass der Standort direkt hinter dem Landwirtschaftsministerium der beste wäre. Ein neues Odeon an der Stelle.

SZ: "Neues Odeon" - stammt das von Ihnen?

Das alte Odeon war ein weltberühmter Saal. Er ist bei einem Bombenangriff 1944 zerstört worden. Es wäre großartig, an die damals untergegangene Tradition anzuknüpfen und in Nähe zum alten Standort ein neues Odeon zu schaffen.

SZ: "Neues Odeon hinter dem Landwirtschaftsministerium" klingt viel besser als "ein Konzertsaal im Finanzgarten".

Tatsächlich geht es ja um einem Bauplatz am Rande des Finanzgartens, also eine Fläche, die ältere Münchner noch als Parkplatz mit Tankstelle in Erinnerung haben und die übrigens auch die Arbeitsgruppe für am besten geeignet hält. Die Reste der Münchner Wallanlagen und der alte Baumbestand würden dabei in keiner Weise angetastet. Und warum nicht etwa die Galeriestraße in eine Grünfläche umwandeln - für eine einzigartige Synthese aus Natur, Musik und Architektur.

SZ: Naturschützer haben gegen den Standort schon vorsorglich protestiert.

Es ist ja abzuwägen: Kommt es wirklich zu Konflikten mit dem Naturschutz, und was gewinnen wir durch einen erstklassigen Saal? Wenn wir das intelligent begründen und die Sorgen der Naturschützer ernst nehmen, kommen wir am Standort hinter dem Landwirtschaftsministerium schneller und in größerem Einvernehmen mit allen zum Ziel, als es bei einem Standort in der Residenz der Fall wäre. Ich frage mich, ob nicht ein großer Umbau des Herkulessaales Debatten auslösen könnte, die die um den Finanzgarten sogar übertreffen würden, sei es unter Denkmalschützern oder auch unter denjenigen, die die Residenz bewahrt wissen wollen.

SZ: So weit waren Sie schon vor zwei Jahren. Inzwischen wurden 21 Standorte geprüft, jetzt geht es wieder um den Finanzgarten.

Es gibt keinen Ort in München, der konfliktfrei wäre. Wo auch immer wir hingehen, gibt es Spannungen. Diese Spannungen auszugleichen wird uns nur gelingen, wenn wir uns klarmachen, was auf dem Spiel steht. München ist nicht irgendeine Stadt, sondern eine der führenden Klassik-Städte in der Welt, auf einer Stufe mit Wien, mit Paris, mit London, mit Berlin. Wir sind aber die einzige vergleichbare Musikstadt, die so ein notwendiges Projekt nicht zu schaffen scheint.

SZ: Das sagt öffentlich so klar nur der Chef Ihres Symphonieorchester, Mariss Jansons. Spaenle oder Seehofer halten sich dagegen oft bedeckt. Vertrösten die beiden Jansons, bis sein Vertrag 2018 ausläuft?

Ich bin überzeugt, dass es den politischen Gestaltungswillen gibt. Ich glaube, dass es keinen politischen Repräsentanten gibt, der nicht den Zusammenhang sieht zwischen Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum, Lebensqualität, Wissenschaft und Kunst. Und zur Kunst gehört entscheidend die klassische Musik. Sie ist Teil dessen, was die Stärke Bayerns und die Stärke Münchens ausmacht. Wir wären dankbar, wenn in dieser Legislaturperiode des Landtags alle entscheidenden Schritte gegangen werden.

SZ: Die dauert aber noch bis 2018.

Öffentliches Bauen ist immer mit aufwendigen Verfahren verbunden. Was wichtig ist, dass schnell Grundsatzbeschlüsse gefasst werden und dass sie auch schnell Stück für Stück verwirklicht werden.

SZ: Warum ging das alles bei der Pinakothek der Moderne relativ schnell? Ist beim Konzertsaal das bürgerschaftliche Engagement nicht so groß?

Wenn wir uns auf einen Standort geeinigt haben, werden wir eine große Spendenbereitschaft erleben. Ich treffe viele Bürger, die sich gerne finanziell beteiligen möchten, die aber eine Zusage vom Standort abhängig machen. Eben den gab es damals bei der Pinakothek im Museumsquartier.

SZ: Sie brauchen aber jemanden, der sagt: Ich zahle eine Million dafür.

Mariss Jansons hat ja schon zugesagt, das Preisgeld aus dem Siemens-Musikpreis zu stiften - immerhin 250 000 Euro. Und ich weiß von Millionenzusagen von musikbegeisterten Bürgern, die auf einen tollen Standort setzen.

Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 11. November 2014


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