Presse - Intendant


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Gastbeitrag Jung aus Überzeugung

In einem Gastbeitrag für ein Dossier in der Reihe "Politik & Kultur" des deutschen Kulturrats e. V. legt BR-Intendant Ulrich Wilhelm dar, warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich technisch und inhaltlich verjüngen muss.

Stand: 31.10.2014 | Archiv

BR-Intendant Ulrich Wilhelm | Bild: BR / Vanessa Schütz

Die Akzeptanz unserer Kultur-, Informations- und Unterhaltungsangebote wird in Zukunft immer stärker davon abhängen, dass wir unser Publikum auf allen verfügbaren Verbreitungskanälen gleichermaßen erreichen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht die Möglichkeit, sich technisch zu verjüngen, neue Wege zu gehen und seine qualitativ hochwertigen Inhalte noch stärker als bisher mit den interaktiven Möglichkeiten des Internet zu verknüpfen.

Noch sind es vorwiegend die jüngeren Nutzer, die mit den neuen digitalen Möglichkeiten leben – doch der Wandel im Mediennutzungsverhalten ist unaufhaltsam. In den vergangenen Jahren haben die Menschen deutlich mehr Kontrolle über die Nutzung der Medieninhalte bekommen. Heute muss niemand um 20 Uhr zu Hause sein, um die Tagesschau zu sehen. Wenn sich erst die Mehrheit an die mobilen und flexiblen Möglichkeiten der Online-Mediennutzung gewöhnt hat, braucht der öffentlich-rechtliche Rundfunk entsprechende Antworten, um seine breite Verankerung in der Bevölkerung nicht zu verlieren.

Ebenso wichtig wie die technische Verjüngung ist allerdings die inhaltliche Öffnung für junge Themen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf auch in seinen Hauptprogrammen den Kontakt zur Jugend nicht abreißen lassen. Kommunikation zwischen den Generationen ist keine Einbahnstraße. Für einen funktionierenden demokratischen Diskurs ist es unerlässlich, dass auch die älteren Generationen mit Themen, Problemen und Herausforderungen der Jugend in Berührung kommen. Der Austausch von Argumenten, von unterschiedlichen Ansichten und Anschauungen ist ein unverzichtbarer Teil unserer demokratischen Kultur – und gehört zu den gesetzlichen Kernaufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Mit unseren Angeboten bilden wir eine wichtige Klammer unserer Gesellschaft.

Doch mit dem zunehmenden Verzicht des jüngeren Publikums auf den klassischen, linearen Rundfunk droht ein mediales Auseinanderdriften der Generationen. Wenn ARD, ZDF und Deutschlandradio ihren gesetzlichen Auftrag auch weiterhin erfüllen sollen, sind sie geradezu verpflichtet, sich den Herausforderungen der neuen Medienwelt zu stellen, um auch in Zukunft den Austausch zwischen allen gesellschaftlichen Schichten und Generationen zu ermöglichen. Hinzu kommt, dass auch junge Menschen Rundfunkbeitrag zahlen – und somit einen Anspruch auf ein adäquates Programmangebot haben.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Jugend sind kein Gegensatz. Erfolgreiche ARD-Jugendwellen beweisen, dass der klassische UKW-Hörfunk bei jungen Hörern weiterhin populär ist. Zwar widmen die 14- bis 29-Jährigen dem Internet mit 233 Minuten täglich die meiste Aufmerksamkeit – allerdings bevorzugen die Jüngeren auch beim Online-Medienkonsum vor allem professionelle TV-Inhalte; ob als Live-Stream der Sender, als zeitversetzter Abruf über die Mediatheken oder über Streaming-Plattformen und Videoportale. In der Summe aller Verbreitungswege lässt sich feststellen, dass crossmedial erfolgreiche Rundfunkformate noch nie so viel Aufmerksamkeit, so viele Nutzer und damit so viel Gesprächswert hatten wie heute.

Kultur braucht Öffentlichkeit und mediale Begleitung. Die inhaltliche wie technische Verjüngung ist deshalb nicht nur für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk elementar. Eine solche "Frischzellenkur" kommt auch dem Kulturleben in Deutschland zugute. Denn nur wenn die gesellschaftliche Akzeptanz immer wieder "nachwächst", können wir auch weiterhin unsere Rolle als wichtiger Kulturförderer und Kulturträger erfüllen. Ohne das langfristige finanzielle, künstlerische und programmliche Engagement des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wäre die deutsche Musik-, Theater- und Filmlandschaft spürbar ärmer.

Relevant bleibt, wer sich dem Neuen nicht verschließt. Auch für den Rundfunk gelten dieselben Gesetzmäßigkeiten wie für Theater, Musik oder Malerei: Zur künstlerischen Fortentwicklung braucht es immer wieder die Provokation, die Kontroverse und auch den Bruch mit den Traditionen. Schon aus diesem Grund darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Jugend mit ihrem Hang zur Rebellion und Erneuerung nicht aus den Augen verlieren. Rebellion und Lebenserfahrung, neue Ideen und bewährte Denkmuster: Nur wer alle Altersgruppen und Bevölkerungsschichten gleichermaßen anspricht, steht auch weiterhin in der Mitte der Gesellschaft. Und genau dort ist der Platz für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

aus Politik & Kultur, Dossier: "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk", herausgegeben vom Deutschen Kulturrat e. V., November 2014


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