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Nürnberger Zeitung "Regionalität hat für uns sehr hohen Stellenwert"

Ulrich Wilhelm bezeichnet den Journalismus gern als seine "erste berufliche Leidenschaft". Im Gespräch mit Sebastian Linstädt teilt er seine Ansichten über das Wesen der Franken, spricht über die bisherigen Herausforderungen seiner Intendanz beim Bayerischen Rundfunk und verteidigt die öffentlich-rechtliche Rundfunkabgabe. (Nürnberger Zeitung vom 29. 12. 2012)

Stand: 09.01.2013

NZ: Herr Wilhelm, Sie haben mit der Ankündigung Mitte Oktober, den Franken einen eigenen Tatort zu schenken, in diesem eher beschaulichen Landstrich schon fast eine Hysterie ausgelöst. Sind Sie überrascht?

Ulrich Wilhelm: Es freut mich außerordentlich, dass unser neuer Franken-Tatort seit dem Startschuss im Sommer in ganz Franken sehr hohe Aufmerksamkeit erfährt. Wir sind zwar erst am Beginn der Tatortentwicklung, aber unser Blog unter www.frankentatort.de hat bereits viele Fans. Die Internet-Community entwickelt eigene Ideen und sucht nach passenden Darstellern und Drehorten. Wir wussten natürlich, dass der Franken-Tatort ein großes Echo auslösen wird, schließlich ist dieser ein Begehr seit vielen Jahren. Der BR hätte den Tatort gerne schon früher eingeführt. Der Sender arbeitet aber schon länger mit eingefrorenen Etats, und das bei allgemein steigenden Kosten. Wir können den Franken-Tatort nur durch Umschichtungen realisieren. Dies ist kein leichtes Unterfangen.

NZ: Wie beurteilen Sie die große Bedeutung, die die Franken „ihrem“ Tatort beimessen? Wie kommt diese Leidenschaft – die mitunter ja nun schon wieder in Zwistigkeiten der Franken untereinander ausartet – im Münchner Funkhaus an?

Wilhelm: Die Franken können zu Recht stolz sein auf ihre bedeutende Geschichte, ihre tief verwurzelten Traditionen, ihren in Jahrhunderten gewachsenen Kulturraum und auf viele namhafte Künstler. Der Tatort ist die bekannteste und erfolgreichste TV-Reihe der Nachkriegsgeschichte. Er hat mittlerweile den Rang eines Kulturguts. Dass man sich in Franken leidenschaftlich für den Tatort eingesetzt hat und nun mitfiebert, wo wir ihn ansiedeln, ist verständlich. Bis zum Sommer wird die Tatort-Entwicklung so weit vorangeschritten sein, dass der Hauptspielort benannt werden kann. Filmdramaturgische Aspekte spielen bei der Verortung eine große Rolle. Es müssen sehr unterschiedliche Geschichten erzählbar sein.

NZ: Kann es überhaupt gelingen, die Regionalität, die Sie anderswo bereits als "Megathema" bezeichnet haben, innerhalb Bayerns ausgeglichen zu gewichten? Der BR steht bei manchen Kritikern ja eher in dem Ruf, die Landeshauptstadt und Oberbayern bevorzugt zu bedienen...

Wilhelm: Bayern und seine Regionen sind fester täglicher Bestandteil in der Berichterstattung. Wir bemühen uns sehr, alle Regionen angemessen zu berücksichtigen. In Nachrichtensendungen steht der Nachrichtenwert einer Meldung oder eines Beitrages im Vordergrund. Deshalb kann es sein, dass je nach Ereignislage eine bestimmte Region eine Zeit lang im Mittelpunkt steht. Jeden Tag ist die Gewichtung eine andere. Da die Landeshauptstadt viele wichtige Institutionen, etwa den Landtag, beherbergt, kommen aber automatisch bestimmte Berichte aus München. Dies ist nicht anders im vergleichbaren Fall der Bundeshauptstadt: Berlin ist öfter in der Tagesschau vertreten als andere Großstädte. Bei allem Bemühen, jede Region entsprechend zu würdigen, orientieren wir uns wie andere Medien bei der Themenauswahl an anerkannten Kriterien. Nehmen Sie beispielsweise unsere aufwendig produzierte Geschichts-Reihe „Das Bayerische Jahrtausend“, die zehn Städte in zehn Jahrhunderten portraitiert hat. Fünf der zehn Städte liegen im heutigen Franken, zwei im heutigen Oberbayern. Maßgeblich war die historische Bedeutung der Städte.

NZ: Nun kann man den Franken-Tatort ja eigentlich getrost als Nebenkriegsschauplatz bezeichnen – Ihre großen Herausforderungen als Intendant des Bayerischen Rundfunks liegen ja derzeit eigentlich eher woanders. Das Haus ist in einem Umstrukturierungsprozess begriffen, dem Sie den Titel "BR hoch drei" verliehen haben. Was verbirgt sich hinter dieser Formel?

Wilhelm: Unter dem Dach des BR haben sich Hörfunk, Fernsehen und später auch Online weitgehend getrennt voneinander entwickelt. Dies hatte historische und technische Gründe. Internet und Mobilkommunikation schweißen nun die Medien zusammen: Auf einem Smartphone können Sie Videos ansehen, Radio hören und Texte lesen. Auch die neuen Fernseher vereinen in sich Internet, Hörfunk- und TV-Signal. Diese Entwicklung vollziehen wir in ähnlicher Weise nun auch organisatorisch: „BR hoch drei“ steht für die Bündelung der Kräfte von Hörfunk, Fernsehen und Online. Redaktionen wachsen zusammen, planen und recherchieren gemeinsam. Im Ergebnis erhält der Beitragszahler ein noch besseres journalistisches Angebot mit mehr Hintergrundberichten und Analysen. Das müssen wir mit dem gleichen Personalbestand leisten. In unserem "Studio Franken" ist die Reform am weitesten fortgeschritten. Das Studio hatte schon oft eine Vorreiterrolle.

NZ: Ist die Annäherung zwischen Rundfunk und Fernsehen auch vor dem Hintergrund zu verstehen, dass das Funkhaus am Rundfunkplatz in München einer Renovierung bedarf und deswegen ja wohl ein teilweiser Umzug nach Freimann ohnehin ansteht, oder ist dies ein zufälliges Zusammentreffen?

Wilhelm: Natürlich müssen wir Gebäude sanieren. Statt aber in den Erhalt einer überalterten, nicht mehr passenden Gebäudestruktur zu investieren, passen wir uns der neuen, digitalen Medienwelt an: Wir bündeln und integrieren Hörfunk, Fernsehen sowie Onlineredaktionen in Freimann, weil sich die gewünschte enge Kooperation dort am einfachsten, schnellsten und günstigsten realisieren lässt.

NZ: Gibt es bereits konkrete Pläne, wie diese Bau- und Umzugsaktivitäten aussehen werden und was sie kosten könnten? Plant der BR, grundsätzlich an den drei Münchener Standorten Rundfunkplatz, Freimann und Unterföhring festzuhalten? Gibt es auch Diskussionen über Studio Franken und die Regionalstudios?

Wilhelm: Aus drei Standorten in München werden langfristig zwei: Unterföhring wird in etwa zehn Jahren verkauft, der Erlös fließt in den Umbauprozess. Wir prüfen derzeit im Detail, ob im Zuge der Reform ein Digitalprogramm und ein Produktionsstudio nach Nürnberg verlagert werden können. Im Sommer haben wir dort bereits das neue trimediale Aktualitätenzentrum "AktZent" eingeweiht. Und auch in Würzburg haben wir einen gemeinsamen Planungsraum von Hörfunk, Fernsehen und Online eingeführt. Regionalität hat für uns einen sehr hohen Stellenwert. In Augsburg werden wir etwa ein "Studio Schwaben" einrichten. Wir haben vor, die Reform "BR hoch drei" über einen Zeitraum von 25 Jahren zu finanzieren. Die jährlichen Etats werden somit nicht zu stark beansprucht. Die BBC und international viele andere Sender führen sehr ähnliche Reformen durch.

NZ: Wie rechtfertigt man in Zeiten, in denen Informationen im Internet kostenlos zur Verfügung stehen, überhaupt noch eine verpflichtende, öffentlich-rechtliche Rundfunkabgabe? Oder provokant formuliert: Reichen für die Unterhaltung der Massen nicht auch werbefinanzierte, private Angebote wie RTL oder ProSieben/Sat1?

Wilhelm: Kein Privatsender und keine Internetplattform, ob kostenlos oder kostenpflichtig, bietet Ihnen im deutschsprachigen Raum diese Fülle an Information, Bildung, Sport und Kultur. Bei ARD und ZDF erhalten Sie zum Beispiel zu jeder Ereignislage weltweit in Kürze umfassende Audio und Video-Berichte von unseren Korrespondenten, die in der jeweiligen Region zuhause sind. Wir bieten hochwertige Angebote für alle gesellschaftlichen Gruppen, etwa für Familien mit unserem Kinderprogramm, für Schüler und Studenten im Bereich der Bildung oder für Liebhaber von Klassik-Konzerten in Spitzenqualität. Unsere Unterhaltungssendungen unterscheiden sich wohltuend deutlich von vielen Formaten der Privaten. ARD und ZDF waren ein wichtiger Faktor im demokratischen Diskurs und der Entwicklung der Bundesrepublik. Und sie behalten ihre Orientierungsfunktion gerade in Zeiten des explosionsartigen Anstiegs ungeprüfter Informationsangebote im Netz. Wir machen jedem Angebote, auch beispielsweise Gehörlosen: Fast die Hälfte der Sendungen im Bayerischen Fernsehen sind bereits untertitelt, unsere Zulieferungen für „Das Erste“ ab 2013 sogar zu 100 Prozent. Der Rundfunkbeitrag ermöglicht hochwertige Programme, die Private nicht über Werbung finanzieren könnten.

NZ: Ist eine Bezahlpflicht dennoch gerecht?

Wilhelm: Wir sind uns des Privilegs der Finanzierung über den Rundfunkbeitrag bewusst. Dies unterstreicht unsere Verpflichtung, für die breite Bevölkerung und die verschiedenen Altersgruppen gute Programmangebote zu machen. Wichtig ist: Über 90 Prozent zahlen nach der Umstellung entweder den gleichen Betrag wie bisher oder weniger. 97 Prozent der Haushalte besitzen einen Fernseher. Und in Härtefällen gibt es weiterhin Befreiungsmöglichkeiten.

NZ: Wie sehen Sie die Rolle der Nachrichten und des Aktuellen derzeit in den Medien? Geht der Trend zum Infotainment?

Wilhelm: Aktualität und Glaubwürdigkeit sind die Grundprinzipien jeder Nachrichtensendung. ARD und ZDF haben anerkannt höchste Standards. Eine distanziert-sachliche Präsentation ist das Erfolgsprinzip der Tagesschau. Das Format wurde bislang nur in Nuancen angepasst und hat auch nach 60 Jahren die höchste Akzeptanz und Seriosität. Vom Versuch, Nachrichten unterhaltend zu verkaufen, kann ich nur abraten. Im Vordergrund muss immer die klassische Nachricht stehen, nicht eine an Quoten ausgerichtete Sendungsdramaturgie. Die klassische Nachrichtensendung bleibt der sichere Anker in Zeiten der Informationsflut.

NZ: Sie haben in einem Gespräch unlängst die Nürnberger Moderatorin Sandra Rieß als Nachwuchshoffnung bezeichnet. Was schätzen Sie an ihr?

Wilhelm: Jeder Moderator gibt einer Sendung seine Prägung. Sandra Rieß hat das große Talent, sehr frisch und pfiffig Themen aufzugreifen und den Zuschauer mitzunehmen.

NZ: Sie gelten seit Ihrem Amtsantritt als ein Intendant, der stets auch den Ausgleich mit den Printmedien sucht. Im Streit um die Tagesschau-App haben Sie von Anfang an versucht, zu vermitteln – und dadurch die ein oder andere hochgezogene Augenbraue innerhalb der ARD in Kauf genommen. Warum ist eine friedliche Koexistenz von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Print möglich?

Wilhelm: Die Zeitungen und öffentlich-rechtlichen Sender stehen als Qualitätsmedien in einer Verantwortungsgemeinschaft für das Funktionieren des demokratischen Diskurses. Es ist sehr kritisch zu sehen, wenn sich anerkannte Zeitungen in Deutschland nicht mehr finanzieren können. Unser Anliegen ist es, dass Qualitätszeitungen und öffentlich-rechtliche Sender ihren Platz finden in der neuen digitalen Welt. Wenn sich beide auf ihre Stärken konzentrieren, die Zeitungen mehr auf Text und die Sender mehr auf Audio und Video, kann der Markentransfer ins Internet am besten gelingen. Ohne die Qualitätszeitungen und ohne die Öffentlich-Rechtlichen würde die Demokratie Schaden nehmen. ARD und ZDF haben signalisiert, dass weiterhin großes Interesse an einer Einigung mit den Verlegern besteht.


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