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Interview im Münchner Merkur "Zu viele Krimis, zu viele Talkshows“

Interview des Münchner Merkur mit BR-Intendant Ulrich Wilhelm am 19. Oktober 2017: Seit Februar 2011 ist Ulrich Wilhelm Intendant des Bayerischen Rundfunks. Im Interview spricht der 56-jährige gebürtige Münchner, der zuvor Regierungssprecher von Angela Merkel war, über die Zukunft seines Hauses angesichts von Spardruck und massiver Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, übt Kritik an den Talkshows im Ersten - und verrät, dass er noch mit Diskussionen im Rundfunkrat über den Schlagzeilen-trächtigen Porno-"Tatort" rechnet.

Stand: 11.12.2017

Der Intendant des Bayerischen Rundfunks (BR), Ulrich Wilhelm, aufgenommen am 01.12.2017 in München (Bayern). Im jahrelangen Streit um eine UKW-Frequenz für die digitale Jugendwelle Puls lenkt der BR ein. Er verzichte darauf, Puls auf der UKW-Frequenz von BR-Klassik auszustrahlen, kündigte Intendant Ulrich Wilhelm am 08.12.2017 im BR-Rundfunkrat in München an. (zu dpa «BR verzichtet auf UKW-Frequenz für Jugendwelle» vom 08.12.2017) Foto: Sven Hoppe/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Bild: dpa-Bildfunk/Sven Hoppe

Frage: Hätten Sie gedacht, dass ausgerechnet der immer noch als konservativ geltende BR einmal Schlagzeilen machen würde mit einem Porno-Tatort?

Wilhelm: Das war für viele überraschend, auch für mich. Auf der anderen Seite behandelt der "Tatort" seit jeher Themen, die gesellschaftlich brisant sind und diskutiert werden. So war es auch in diesem Fall. Wichtig ist für mich, dass die zuständige Redaktion die Brisanz des Themas gesehen und die weisungsunabhängig arbeitende Jugendschutzbeauftragte des BR von Anfang an eingebunden hat.

Frage: Erwarten Sie noch Diskussionen im Rundfunkrat, dem Kontrollgremium des Bayerischen Rundfunks, oder in dessen Programmausschuss?

Wilhelm: Mit Sicherheit. Alle Themen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, bilden sich auch im Rundfunkrat ab. Und das ist richtig so.

Frage: Waren Sie als Intendant in die Entscheidung eingebunden, ob dieser "Tatort" um 20.15 Uhr ausgestrahlt werden kann?

Wilhelm: Nein. Die Redaktionen im BR haben seit jeher ein hohes Maß an Freiheit. Meine Funktion als Intendant ist auch nicht die eines Chefredakteurs, der im Detail ins Alltagsgeschäft eingebunden ist, sondern eher vergleichbar der eines Herausgebers oder Verlegers. Das heißt aber nicht, dass es mir nicht wichtig wäre, eine Qualitätsdiskussion über das Programm zu führen - im Gegenteil. Das ist mir außerordentlich wichtig.

Frage: Mit welchem Qualitätsprogramm geht der BR denn in die Zukunft?

Wilhelm: Mit einem Grundangebot von hohem journalistischen Wert, das von den Menschen auch angenommen wird. Hier bietet der BR eine große programmliche Vielfalt: Mit "B5 aktuell" eines der erfolgreichsten Info-Radios, mit der "Rundschau" eine renommierte Nachrichtensendung, mit "Dahoam is Dahoam" eine eigene bayerische Serie, die gerade ihr zehnjähriges Jubiläum feiert. Nicht zu vergessen: Bayern 2, BR-Klassik, unsere fantastischen Orchester und der Chor sowie die vielen Filme und Serien, die eine Existenzgrundlage für zahlreiche Filmschaffende im Freistaat darstellen. Insgesamt muss unser Anspruch sein, in der Qualität nicht nachzulassen. Auf der anderen Seite müssen wir selbstverständlich neue digitale Angebote wie BR24 und die geplante neue Mediathek entwickeln, da sich immer mehr Menschen, nicht nur die Jüngeren, zunehmend mobil und im Netz bewegen. Und wir brauchen immer wieder Highlights im Programm.

Frage: Zum Beispiel?

Wilhelm: Die Serie "Hindafing" etwa oder das Dokumentarfilmereignis "24h Bayern", das zahlreiche Menschen in Bayern fasziniert hat und mit dem wir ein zeitgeschichtliches Dokument geschaffen haben. Ganz aktuell startet im Ersten am Sonntag die vom BR koproduzierte Miniserie "Das Verschwinden" von Hans-Christian Schmid, und wir bringen eine große Strecke geschichtlicher Sendungen, etwa zum 100. Jubiläum des Freistaats Bayern im kommenden Jahr. Und wir müssen immer wieder überprüfen, ob wir alle Themenfelder abdecken.

Frage: Woran denken Sie konkret?

Wilhelm: An das Thema der regionalen Identität und Verwurzelung. Wir wissen spätestens seit der so erfolgreichen Gründung von "BR Heimat", unserem 24-Stunden-Programm für Volks- und Blasmusik, dass Themen rund um bayerische Geschichte und Kultur die Menschen sehr stark interessieren. Da könnten wir noch mehr machen - ebenso wie für junge Familien. Themen wie Erziehung, populäre Wissenschaft oder Mobilität sind Felder, die viele Menschen bewegen. Andersherum bin ich der Meinung, dass wir in Deutschland insgesamt zu viele Krimis im Programm haben.

Frage: Da sprechen Sie sicher vielen Lesern aus der Seele - gleichzeitig hat Mord und Totschlag aber fast immer eine super Quote. Wilhelm: Natürlich, so argumentieren viele Programmgestalter auch. Trotzdem ist es mir zu viel von einem Genre. Frage: Wollen Sie Batic und Leitmayr in Rente schicken? Wilhelm: Nein. Der Münchner "Tatort" verfolgt in der Auswahl von Filmstoffen gezielt eine junge Linie und bringt Generationen miteinander ins Gespräch. Das macht ihn so beliebt.

Frage: Der Rundfunkbeitrag, von vielen Zuschauern auch als "Zwangsgebühr" bezeichnet, ist immer wieder Thema. Die FDP will ihn halbieren, die AfD würde ihn am liebsten ganz abschaffen. Wie ist es zu rechtfertigen, dass Sie den Menschen immer mehr Geld abverlangen, gleichzeitig aber Ihre Akzeptanz beim Publikum schwindet?

Wilhelm: Zunächst einmal: Mehr Geld ist es seit vielen Jahren ja nicht, im Gegenteil, und der BR ist in Bayern meiner Kenntnis nach sehr beliebt. Aber zum Wesentlichen: Der BR dient dem Zusammenhalt unseres Landes. Er ist die wichtigste Klammer Bayerns und stiftet mit seiner klaren Ausrichtung Identität. Deutschland ist zu groß, auch Bayern ist zu groß, als dass alles am Marktplatz in direkter Abstimmung ausgetragen werden könnte. Wer ein mündiger Bürger sein will, muss das große Ganze mitbekommen. Wenn sich aber immer mehr Menschen nur noch in eigenen Zirkeln im Internet oder in den Sozialen Netzwerken bewegen, wo sie vor allem die Infos bekommen, die ihre eigenen Meinung bestärken, dann zerbricht unsere Gesellschaft. Und das bedroht am Ende die rechtsstaatliche Demokratie. Unsere Aufgabe als Qualitätsmedien - und dazu zähle ich natürlich auch Zeitungen und Zeitschriften - ist es, eine Gesamtöffentlichkeit herzustellen. Ohne ARD und ZDF kann das nicht gelingen. Würden diese geschwächt, und müsste der BR wesentliche Teile seiner Programmangebote einstellen, würde die Gesellschaft einen hohen Preis zahlen.

Frage: Dann müssen aber auch Journalisten informieren und nicht erziehen wollen, wie es gerade ARD und ZDF etwa in der Zeit der Flüchtlingskrise oft vorgeworfen wurde.

Wilhelm: Ich halte nichts von pauschaler Schelte. Gerade im Umgang mit der Vielzahl ankommender Flüchtlinge im Sommer/Herbst 2015 hat es die behauptete einseitige Mediensicht nicht gegeben. Unterschiedliche Zeitungen haben von Anfang an unterschiedlich kommentiert. Wir beim BR haben schon sehr früh gesagt: Wir müssen das ganze Bild zeigen, auch Themen ansprechen wie: Was passiert, wenn Flüchtlinge ihre Pässe wegwerfen und angeben, sie kommen aus einem anderen Land? Kann der Staat so etwas überprüfen? Kann die Infrastruktur Deutschlands überhaupt so schnell wachsen, um dem Bedarf gerecht zu werden? Gibt es genügend Wohnraum? Für den BR finde ich, haben unsere Redakteure diese Themen journalistisch vielfältig aufbereitet.

Frage: Das Reizthema waren vor allem die Talkshows von ARD und ZDF. Haben Plasberg und Co. mit zum Erfolg der AfD beigetragen?

Wilhelm: Wir alle müssen mit Provokationen gelassener umgehen - das ist der Schlüssel. Es ist das Prinzip der Protestparteien, Provokationen zu setzen, die dann die ganze Diskussion beherrschen. Das zeigen auch die Twittermeldungen von Donald Trump. Natürlich muss man auf gezielte Tabubrüche eingehen - aber eben sachorientiert. Gerade in dem Bereich müssen wir sehr sauber trennen zwischen Nachricht und Meinung. Unser Publikum hat einen Anspruch auf Erklärung, aber ohne Bevormundung. Wir dürfen nicht schon zuspitzen oder Etiketten verkleben, bevor ein Thema überhaupt ausreichend recherchiert ist. Ich bin sicher, unser Journalismus kann mehr leisten.

Frage: Da schwingt aber durchaus Kritik an den Talkshows mit.

Wilhelm: Dass ich Talkshows als allzu dominierendes Format der journalistischen Auseinandersetzung sehe, habe ich schon unmittelbar nach meinem Amtsantritt gesagt. Ich würde mir zur Durchdringung der vielen komplexen politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Sachverhalte mehr journalistische Vielfalt wünschen, mehr Themenabende, mehr Dokumentationen, mehr Erklär-Runden mit Experten.

Frage: Die ARD hatte mal an fünf Abenden in Folge je eine Talkshow im Programm.

Wilhelm: Und ich bin froh, dass wir die Zahl auf drei gesenkt haben.

Frage: Wie wäre es denn mal mit einer Talkshow vom BR im Ersten?

Wilhelm: Da kommen wir zum Thema Finanzen. Vieles, was wir gerne anbieten würden, können wir unter dem gegenwärtigen Spardiktat gar nicht leisten. Wir mussten ja bereits das für uns wertvolle ARD-"Mittagsmagazin" an den rbb abgeben, weil wir es nach fast 30 Jahren nicht mehr stemmen konnten. Der Rundfunkbeitrag wurde seit 2009 nicht nur nicht erhöht, sondern 2015 erstmals gesenkt. Unser Problem ist, dass wir als BR seit Jahren nicht mal mehr die Teuerung ausgeglichen bekommen, als einziger Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge. In Kaufkraft bewertet, schrumpfen wir von Jahr zu Jahr, während zum Vergleich die Steuereinnahmen sprudeln. Allein als BR müssen wir in jedem Jahr über 20 Millionen Euro einsparen, haben also immer weniger Mittel zur Verfügung, obwohl wir den Menschen neue, auch digitale Angebote machen müssen.

Frage: Sie müssen sparen, das ist richtig. Wo sehen Sie denn Potenzial?

Wilhelm: Wem öffentliches Geld anvertraut ist, der muss sparsam wirtschaften. Zu dieser Verpflichtung stehen wir. So haben wir im BR zum Beispiel die Redaktionen München und Oberbayern zusammengelegt, die traditionellen Funkbälle gestrichen ebenso wie die Betriebsausflüge. Mit einem Abbau von 450 Stellen halbieren wir bis 2025 unsere Fernsehproduktion. Zudem werden wir uns im ARD-Verbund insgesamt in unseren Strukturen - in den Bereichen Verwaltung, Produktion und Technik - weiter verschlanken. Über die Struktur allein werden wir die notwendigen Einsparungen aber nicht erreichen.

Frage: Und im Programm?

Wilhelm: Bevor wir ganze Angebote streichen, wollen wir die Kosten für die einzelnen Sendungen senken. Das fing bei der Zahl der Drehtage für "Tatorte" und anderen wichtigen Filmen an und hört bei der Zahl der eingesetzten Kameras auf. Als ich Intendant wurde, hatten wir zum Beispiel drei Studios in Rom: Eines im Vatikan, ein TV-Studio Rom für die Republik Italien und ein Hörfunkstudio. Jetzt gibt es nur noch eines. Fest steht aber: Wenn wir weiter keinen Inflationsausgleich erhalten, wären wir zu massiven Einschnitten im Programm gezwungen. Unser Publikum würde das zu Recht mit großem Protest ablehnen. Ich hoffe hier auf die Unterstützung der Politik in Bayern.

Frage: Sie betonen die Sparzwänge, denen Sie unterliegen. Die Zeitungs-Verleger allerdings sagen, dass Sie viel zu viel Geld in Textangebote lenken und dort den Zeitungen Konkurrenz machen, die sich anders als Sie am Markt finanzieren müssen.

Wilhelm: Wir unterscheiden uns doch deutlich von den Angeboten der Verlage. Die Schnittmenge ist überdies auch nicht so groß. Rund drei Viertel der BR-Sendeminuten sind jenseits dessen, was Zeitungen machen: Unterhaltung, Film, Live-Sportübertragungen, Musik, Hörspiele - da kommen wir uns gar nicht in die Quere.

Frage: Na ja, ein Viertel sind ja auch schon eine ganze Menge.

Wilhelm: Auch davon sind aber vieles Audio- und Videobeiträge, also der Kern unseres Auftrags. Nachdem alle Haushalte für uns zahlen, müssen wir auch allen auf allen Ausspielwegen, also TV, Hörfunk, Online, einen Gegenwert bieten. Uns vom Digitalen zu trennen, würde bedeuten, dass wir diejenigen verlieren, die unsere Angebote mobil nutzen - gerade die jüngere Generation. Auch das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass wir alle Menschen erreichen müssen - unabhängig vom Alter oder der Gesellschaftsschicht. Abgesehen davon haben wir inzwischen in Abstimmung mit den Verlagen unser digitales Angebot weiterentwickelt und sind weiter gesprächsbereit. Wir respektieren die Überlebensnotwendigkeit der Verlage, aber wir bitten darum, dass man unsere auch sieht.

Das Gespräch führten Georg Anastasiadis, Rudolf Ogiermann und Stefanie Thyssen.
Veröffentlichung mit feundlicher Genehmigung des Münchner Markur


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